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«Arbeiter werden ausgepresst wie Zitronen» – Gewerkschafter warnen vor 50-Stunden-Woche

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hält nicht viel von den Forderungen des Gewerbeverbandes. Zentralsekretär Luca Cirigliano sagt dazu: «Das einzige Ziel hinter der 50-Stunden Woche ist, die Arbeit  ...
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hält nicht viel von den Forderungen des Gewerbeverbandes. Zentralsekretär Luca Cirigliano sagt dazu: «Das einzige Ziel hinter der 50-Stunden Woche ist, die Arbeit billiger zu machen. Der Arbeiter wird ausgepresst wie eine Zitrone.»bild: shutterstock

«Arbeiter werden ausgepresst wie Zitronen» – Gewerkschafter warnen vor 50-Stunden-Woche

Der Schweizerische Gewerbeverband hält das aktuelle Arbeitsgesetz für verstaubt. Er fordert flexiblere Pausen- und Ruhezeiten und eine 50-Stunden-Woche für alle. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die Unia nehmen Stellung zu den fünf wichtigsten Forderungen. 
07.11.2017, 19:0808.11.2017, 08:00
Helene Obrist
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Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) will die Arbeitszeiten flexibler regeln. Das heutige Arbeitsgesetz «atme den Geist der 50er Jahre und sei schlicht nicht mehr zeitgemäss», heisst es von SGV-Präsident und SVP-Nationalrat Jean-François Rime.

Um das «veraltete» Arbeitsgesetz zu modernisieren, präsentierte der SGV heute zahlreiche Forderungen. Wir haben die wichtigsten fünf herausgepickt und liessen Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz der Unia und Luca Cirigliano vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) dazu Stellung nehmen.

Die 50-Stunden-Woche

Darum geht's:

Heute ist die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 45 Stunden begrenzt. Das gilt für Büropersonal, industrielle Betriebe und Angestellte in Grossbetrieben des Detailhandels. Der SGV will das ändern. Er will die Höchstarbeitszeit für alle Arbeitnehmer auf 50 Stunden anheben. 

Das sagt der SGB:

«Die meisten Schweizer haben eine 45-Stunden-Woche. Übrigens bereits die längste Arbeitswoche in ganz Europa. Wird länger als diese 45 Stunden gearbeitet, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Zuschlag zahlen oder Kompensationszeit gewährleisten. Das einzige Ziel hinter der 50-Stunden-Woche ist, die Arbeit billiger zu machen und an der Freizeit des Arbeitnehmers zu schrauben. Der Arbeiter wird ausgepresst wie eine Zitrone.»
Luca Cirigliano, Zentralsekretär

Das Streichen der Mittagspause

Darum geht's:

Arbeitspausen sind im Arbeitsgesetz sehr genau geregelt. So ist beispielsweise immer in der Mitte eines Arbeitstages eine Pause anzusetzen. Diese Pausenregelungen sind dem SGV zu «starr» und «detailliert». Er fordert mehr Flexibilität und eine Streichung der betreffenden Zeilen aus dem Gesetz. 

Das sagt die Unia:

Arbeitspausen aus dem Gesetz zu streichen, ist alles andere als zeitgemäss. Gerade heute, wo oft auch von Zuhause aus gearbeitet wird, braucht es einen gesetzlichen Rahmen. Modernisierung ja, aber nicht auf dem Buckel der Arbeitnehmer.
Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz

Die Auflösung der «industriellen Betriebe»

Darum geht's

Das Arbeitsgesetz unterscheidet zwischen «industriellen» und «nicht industriellen» Betrieben. In industriellen Betrieben werden materielle Güter hergestellt, verarbeitet oder umgewandelt. Eine Kaffeerösterei oder ein Textilhersteller sind industrielle Betriebe. Ein Dienstleistungsunternehmen wie beispielsweise ein Callcenter ist kein industrieller Betrieb. Der SGV hält diese Unterscheidung für überflüssig. Er will die Trennung abschaffen. Denn, so der SGV, hätten vor allem kleine industrielle Betriebe darunter zu leiden, weil sie viel schärfere Vorschriften beachten müssen.

Als Beispiel führt der SGV ein Kleinbetrieb mit sechs Personen an: «Diese Mikro-KMU müssen dann wie Grossorganisationen eine Betriebsordnung erlassen, die Plangenehmigungspflicht mit baurechtlichen Folgen erfüllen, die Arbeitszeit auf maximal 45 statt 50 Stunden pro Woche reduzieren, die jährliche Überzeit auf 170 Stunden begrenzen oder zwingend die Versicherung bei der SUVA abschliessen».

Das sagt die Unia: 

«Diese Regulierungen sind die Standards in industriellen Betrieben. Sie dienen dem Schutz des Arbeitnehmers. Diese Regelungen sollten für alle Betriebe übernommen werden, denn sie dienen auch der Prävention. Mit dieser Forderungen schneidet sich der SGV meiner Meinung nach ins eigene Fleisch.»
Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz

Flexiblere Arbeitszeiten

Darum geht's

Dem SGV sind nicht nur fixe Pausen ein Dorn im Auge. Er kritisiert auch die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten. So muss jedem Arbeitnehmer eine Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen von mindestens elf aufeinander folgenden Stunden gewährleistet werden. Einmal in der Woche, so das Gesetz, darf die Ruhezeit auf acht Stunden gekürzt werden. Der SGV will diese Regelung von einmal pro Woche auf zweimal anheben. Zudem will er die zusätzliche Regelung streichen, wonach die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten werden muss. Seine Begründung: Betriebe, die saisonal stark gefordert sind, brauchen diese Flexibilisierung, damit die Angestellten zu stark ausgelasteten Zeiten mehr arbeiten können.  

Das sagt der SGB:

«Das ist ein Schlag ins Gesicht des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss mit einer solchen Lockerung des Gesetzes einfach niemanden zusätzlich einstellen in der Hochsaison, weil seine Mitarbeiter doppelt so viel leisten müssen. Er diktiert ihnen so, wann und sogar ob sie schlafen und Pause machen dürfen. Und die Angestellten arbeiten so möglichst lange und billig. Genau eine solche Flexibilisierung macht die Leute krank. Wir sind in der Schweiz bereits jetzt mit einer Burnout-Epidemie konfrontiert, weil sich die Leute je nach Branche fast zu Tode arbeiten. Der Mensch braucht geregelte minimale Pausen und Ruhezeiten – das ist schlicht und einfach ein wissenschaftlicher Fakt. Die Forderung des SGV ist in meinen Augen zynisch.»
Luca Cirigliano, Zentralsekretär

Mehr Nachtarbeit und Sonntagseinsätze

Darum geht's:

Zu den flexibleren Arbeitseinsätzen gehören in den Augen des SGV auch Sonntagseinsätze und Nachtarbeit. Denn die Einschränkungen für die Sonntagsarbeit seien, so Vorstandsmitglied Daniela Schneeberger und Präsidentin von Treuhandsuisse, für die Treuhandbranche «wenig praxistauglich». Zudem kritisiert der SGV, dass bereits Betriebe ab vier Personen eine Bewilligung für Nacht- und Sonntagsarbeit beantragen müssen. Er will die Zahl auf zehn erhöhen. 

Das sagt die Unia:

«Wer seine Angestellten nachts oder am Sonntag arbeiten lassen will, muss dies begründen und bewilligen lassen. Das ist essentiell und auch ein zentraler Punkt im Gesundheitsschutz. Hier muss man strikt bleiben. Die Dichte der Arbeitszeit ist zudem schon sehr hoch. Ruhe- und Freizeit muss vom Arbeitgeber eingehalten werden.»
Christine Michel, Fachsekretärin für Gesundheitsschutz

Fazit

SGB:

«Diese Forderungen in der Diskussion über Digitalisierung zu bringen ist eine Nebelpetarde. In der Essenz geht es dem SGV darum, Geld zu sparen – auf dem Buckel des Arbeitnehmers. Dieser bezahlt dann mit mit seiner Gesundheit. Ohne den heutigen gesetzlichen Rahmen kann sich der Arbeitnehmer nicht wehren.»
Luca Cirigliano, Zentralsekretär

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174 Kommentare
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G.
07.11.2017 19:31registriert Dezember 2014
Ach ja, dass sind doch diese weisshaarigen Silberfüchse, die die Lösung in noch verknöchereten und noch dumpfbackigeren Strukturen finden. Alles zu Ungunsten des Arbeitnehmers, was ja wohl selbstverständlich ist.

Ich schlage vor, dass zuerst im Offshore-Paradies aufgeräumt wird!
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chnobli1896
07.11.2017 19:18registriert April 2017
wir haben bei uns im büro seit kurzerczeit relativ oft 50+ stunden woche und mittagspause am arbeitsplatz. es gibt viele arbeitnehmer die das auf dauer nicht aushalten, die kosten aufgrund von burn-outs (oder ähnlichem) wären immens, aber nicht vom SGV zu tragen, und darum gehts ihnen wohl
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Ramsay
07.11.2017 21:29registriert Juni 2016
Junge Junge... was soll die 50-Stundenwoche bringen? Zurück in die Steinzeit? Das Gegenteil von Produktivität und Effizienz? Burnouts und Depressionen und den Grossteil des Lebens im muffigen Büro?

Bringt lieber den Vorschlag zur 35-Stundenwoche!
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