Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz haben in den letzten Jahren rasant zugenommen: Immer mehr Menschen leiden unter Stress, Mobbing oder Belästigung und werden krank. Seit geraumer Zeit informiert das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Unternehmen über diese Risiken und versucht, Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren. Heute publizierte das SECO eine Studie zur Wirksamkeit dieser Sensibilisierung.
Valentin Lagger, Ressortleiter Eidgenössische Arbeitsinspektion beim SECO erklärt, wie der Arbeitgeber auch für das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen muss und trotzdem niemals zum Arzt werden darf.
Herr Lagger, Sie empfehlen den Unternehmen, präventiv gegen Stress, Mobbing und Belästigung vorzugehen. Ersetzt der Arbeitgeber in Zukunft bald Arzt und Psychologe?
Valentin Lagger: Nein, auf keinen Fall. Der Arbeitgeber ist weder Arzt noch Psychologe. Aber er muss von gesetzeswegen nicht nur für das physische, sondern auch das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen.
Was heisst das konkret?
Der
Arbeitgeber muss sich den psychosozialen Risiken bewusst sein und alle nötigen
Massnahmen treffen, um die psychische und auch physische Gesundheit der
Mitarbeiter zu gewährleisten. Unternehmen können eine Anlaufstelle schaffen, an
die sich Mitarbeiter bei Problemen wenden können. Diese Stelle kann den
Mitarbeitern dann weiterhelfen und sie, wenn nötig, an weitere Fachleute verweisen.
Der Umgang mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter ist komplex, da
Menschen häufig sehr verschieden auf Belastungen reagieren. Bei der Sicherung der psychischen Gesundheit haben die Arbeitgeber noch Aufholbedarf.
Woran liegt das?
Der
Arbeitgeber muss für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen. Im
Bereich der Sicherheit sind die Kausalzusammenhänge viel evidenter. Ein
Beispiel: Wenn zwei Mitarbeiter eines Dachdeckerunternehmens vom Dach fallen,
ist häufig die Ursache für den Unfall klar und auch die Konsequenzen, also die
Verletzungen dürften ähnlich sein. Der Kausalzusammenhang liegt vielfach auf
der Hand: Sie waren zu wenig gesichert. Sind aber zwei Mitarbeiter zum Beispiel
Stress ausgesetzt, so ist das ein Gesundheitsrisiko. Und Menschen reagieren sehr verschieden auf
Stress. Insofern sind die Kausalzusammenhänge in diesem Bereich viel komplexer.
Und darum ist der Umgang mit solchen Risiken für den Arbeitgeber auch
schwieriger.
Sie empfehlen Anlaufstellen für Mitarbeiter. In einem Kleinstunternehmen fehlen dazu aber meist die Ressourcen.
Das ist natürlich so. Aber auch da gibt es Wege,
präventiv vorzugehen. Es ist wichtig, dass der Arbeitgeber, sei das Unternehmen
auch noch so klein, für die Thematik sensibilisiert ist. Bei kleinen
Unternehmen wäre auch eine extern mandatierte Stelle denkbar.
Der Trend geht aber in eine andere Richtung: Immer mehr Leute arbeiten im Home Office, da ist Zeiterfassung eher schwierig.
Nein,
im Home Office ist die Arbeitszeiterfassung nicht schwierig. Aber natürlich
bergen neuere Beschäftigungsformen andere Risiken.
Sie können aber auch eine Chance sein. Wenn jemand um 17 Uhr das Büro verlässt,
um danach zwei Stunden Fussball zu spielen, und dann am Abend weiterarbeitet,
kann das durchaus positive Effekte haben. Es erfordert aber auch sehr viel
Eigendisziplin, dass man nicht zu viel macht oder sich selbst zu stark unter
Druck setzt.
Was soll man als Mitarbeiter tun, wenn man ständig gestresst ist oder Probleme mit Mitarbeitern hat?
Als
Erstes ist sicherlich der Gang zum Vorgesetzten zu empfehlen. Gemeinsam,
allenfalls auch mit Hilfe von Fachpersonen, sollte man die Ursachen zu eruieren
versuchen. Wie vorher erwähnt, sind die Kausalzusammenhänge im Bereich der
psychischen Gesundheit nicht immer evident.
Hat Ihre Sensibilisierungskampagne gefruchtet? Sind die Schweizer Arbeitgeber hellhöriger geworden im Umgang mit Stresssymptomen oder Hinweisen auf Belästigung?
Wir konnten eine Verbesserung der Kompetenzen der
Arbeitgeber im Umgang mit psychosozialen Risiken feststellen. Aber es gibt noch
immer Informations- und Klärungsbedarf. Nach wie vor kommt es vor, dass psychosoziale
Risiken als individuelle Probleme der Mitarbeiter angesehen werden. Es ist auch
im Interesse des Arbeitgebers, gesunde Mitarbeiter zu haben. Deshalb ist es
wichtig, in Unternehmen Präventionsinstrumente zu haben, um das Auftreten von
psychosozialen Risiken zu verhindern. Solche Risiken sind beispielsweise ein zu
grosser Leistungsdruck oder auch unklare Schnittstellen.
Was sollte der Arbeitgeber denn konkret tun?
Er muss versuchen präventiv gegen solche Situationen vorzugehen. Studien zufolge braucht es für eine wirksame Prävention von psychosozialen Risiken nicht nur individuelle Unterstützung, sondern insbesondere die Erarbeitung eines Systems, das aufzeigt, wie die Prävention und der Umgang mit psychosozialen Risiken im Unternehmen ausgestaltet sind.