Schweiz
Wirtschaft

«Der Arbeitgeber muss für das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen»

büro stress
Stress im Job: Wenn sich Mitarbeiter überfordert fühlen, sollen die Arbeitgeber weiterhelfen. Bild: shutterstock
Interview

«Der Arbeitgeber muss für das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen» 

Stress, sexuelle Belästigung oder Mobbing: Viele Menschen leiden am Arbeitsplatz. Mit einer neuen Studie will das Sekretariat für Wirtschaft die Arbeitgeber in Zukunft noch mehr in die Pflicht nehmen. 
22.06.2018, 06:0422.06.2018, 20:00
Helene Obrist
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz haben in den letzten Jahren rasant zugenommen: Immer mehr Menschen leiden unter Stress, Mobbing oder Belästigung und werden krank. Seit geraumer Zeit informiert das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Unternehmen über diese Risiken und versucht, Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren. Heute publizierte das SECO eine Studie zur Wirksamkeit dieser Sensibilisierung.

Valentin Lagger, Ressortleiter Eidgenössische Arbeitsinspektion beim SECO erklärt, wie der Arbeitgeber auch für das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen muss und trotzdem niemals zum Arzt werden darf. 

Herr Lagger, Sie empfehlen den Unternehmen, präventiv gegen Stress, Mobbing und Belästigung vorzugehen. Ersetzt der Arbeitgeber in Zukunft bald Arzt und Psychologe?
Valentin Lagger: Nein, auf keinen Fall. Der Arbeitgeber ist weder Arzt noch Psychologe. Aber er muss von gesetzeswegen nicht nur für das physische, sondern auch das psychische Wohl der Mitarbeiter sorgen. 

Was heisst das konkret?
Der Arbeitgeber muss sich den psychosozialen Risiken bewusst sein und alle nötigen Massnahmen treffen, um die psychische und auch physische Gesundheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Unternehmen können eine Anlaufstelle schaffen, an die sich Mitarbeiter bei Problemen wenden können. Diese Stelle kann den Mitarbeitern dann weiterhelfen und sie, wenn nötig, an weitere Fachleute verweisen. Der Umgang mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter ist komplex, da Menschen häufig sehr verschieden auf Belastungen reagieren. Bei der Sicherung der psychischen Gesundheit haben die Arbeitgeber noch Aufholbedarf. 

Middle-aged person working in a café
Atypische Arbeitsmodelle wie Home Office bergen Chancen und Risiken. Bild: shutterstock

Woran liegt das?
Der Arbeitgeber muss für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen. Im Bereich der Sicherheit sind die Kausalzusammenhänge viel evidenter. Ein Beispiel: Wenn zwei Mitarbeiter eines Dachdeckerunternehmens vom Dach fallen, ist häufig die Ursache für den Unfall klar und auch die Konsequenzen, also die Verletzungen dürften ähnlich sein. Der Kausalzusammenhang liegt vielfach auf der Hand: Sie waren zu wenig gesichert. Sind aber zwei Mitarbeiter zum Beispiel Stress ausgesetzt, so ist das ein Gesundheitsrisiko. Und Menschen reagieren sehr verschieden auf Stress. Insofern sind die Kausalzusammenhänge in diesem Bereich viel komplexer. Und darum ist der Umgang mit solchen Risiken für den Arbeitgeber auch schwieriger.

Sie empfehlen Anlaufstellen für Mitarbeiter. In einem Kleinstunternehmen fehlen dazu aber meist die Ressourcen. 
Das ist natürlich so. Aber auch da gibt es Wege, präventiv vorzugehen. Es ist wichtig, dass der Arbeitgeber, sei das Unternehmen auch noch so klein, für die Thematik sensibilisiert ist. Bei kleinen Unternehmen wäre auch eine extern mandatierte Stelle denkbar.

Der Trend geht aber in eine andere Richtung: Immer mehr Leute arbeiten im Home Office, da ist Zeiterfassung eher schwierig. 
Nein, im Home Office ist die Arbeitszeiterfassung nicht schwierig. Aber natürlich bergen neuere Beschäftigungsformen andere Risiken. Sie können aber auch eine Chance sein. Wenn jemand um 17 Uhr das Büro verlässt, um danach zwei Stunden Fussball zu spielen, und dann am Abend weiterarbeitet, kann das durchaus positive Effekte haben. Es erfordert aber auch sehr viel Eigendisziplin, dass man nicht zu viel macht oder sich selbst zu stark unter Druck setzt.

Die Arbeitszeiterfassung ist extrem wichtig. Sie ist wie eine rote Ampel, die sagt: «Jetzt ist genug.»
Valentin Lagger

Was soll man als Mitarbeiter tun, wenn man ständig gestresst ist oder Probleme mit Mitarbeitern hat?
Als Erstes ist sicherlich der Gang zum Vorgesetzten zu empfehlen. Gemeinsam, allenfalls auch mit Hilfe von Fachpersonen, sollte man die Ursachen zu eruieren versuchen. Wie vorher erwähnt, sind die Kausalzusammenhänge im Bereich der psychischen Gesundheit nicht immer evident.

Hat Ihre Sensibilisierungskampagne gefruchtet? Sind die Schweizer Arbeitgeber hellhöriger geworden im Umgang mit Stresssymptomen oder Hinweisen auf Belästigung? 
Wir konnten eine Verbesserung der Kompetenzen der Arbeitgeber im Umgang mit psychosozialen Risiken feststellen. Aber es gibt noch immer Informations- und Klärungsbedarf. Nach wie vor kommt es vor, dass psychosoziale Risiken als individuelle Probleme der Mitarbeiter angesehen werden. Es ist auch im Interesse des Arbeitgebers, gesunde Mitarbeiter zu haben. Deshalb ist es wichtig, in Unternehmen Präventionsinstrumente zu haben, um das Auftreten von psychosozialen Risiken zu verhindern. Solche Risiken sind beispielsweise ein zu grosser Leistungsdruck oder auch unklare Schnittstellen.

Was sollte der Arbeitgeber denn konkret tun?
Er muss versuchen präventiv gegen solche Situationen vorzugehen. Studien zufolge braucht es für eine wirksame Prävention von psychosozialen Risiken nicht nur individuelle Unterstützung, sondern insbesondere die Erarbeitung eines Systems, das aufzeigt, wie die Prävention und der Umgang mit psychosozialen Risiken im Unternehmen ausgestaltet sind. 

Dieser YouTube-Trend heilt Schlaflosigkeit und Stress

Video: srf

Du willst irgendwann Kinder? Dann schau dir diese Bilder NICHT an!

1 / 21
Du willst irgendwann Kinder? Dann schau dir diese Bilder NICHT an!
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
17 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
badbart
22.06.2018 06:54registriert Juli 2014
Tja, soviel zur Theorie. Bei uns gibt es einen Burnout nach dem anderen. Die Chefs schauen weg, und üben noch mehr druck auf immer weniger Leute. Wenn man das Management drauf hinweist, ignorieren sie es.

Der Gewinn ist wichtiger als das psychische Wohl der Mitarbeiter!!

Da gibt es nur eines... gehen.
1243
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sándor
22.06.2018 09:39registriert Februar 2017
Der Kapitalismus macht auch nicht halt vor der Ausbeutung der Psyche halt in der der westlichen Welt.

Die Kosten zahlt die Arbeitnehmer, Management holt sich den nächsten jungen, ausgebildeten, Idealisten zu einem günstigeren Preis.
244
Melden
Zum Kommentar
17
«Anmassende Boni-Exzesse»: FDP-Präsident ruft zu mehr Bescheidenheit auf

FDP-Parteipräsident Thierry Burkart kritisiert die Bezüge von UBS-Chef Sergio Ermotti. Der Tessiner habe zwar nach der Zwangsfusion der CS und der UBS Vertrauen geschaffen. Doch seine Vergütung von 14,4 Millionen Franken nach neun Monaten an der Spitze der UBS sei unverhältnismässig und stossend und «schlicht eine Ohrfeige».

Zur Story