Was sollen Gnadengesuche der Regierungen der Waldstätte und des Abts von Einsiedeln, von Untertanen, Frauen und Kindern, wenn die «Herrgotts Lumpen» endlich hinter Schloss und Riegel sind? Nein, jetzt wird abgerechnet.
Im ganzen Aufstandsgebiet werden Hunderte von Bauern verhört, teilweise gefoltert, verurteilt: zu Hausarrest und Verbannung, Kriegsdienst gegen die Türken und Ruderdienst auf venezianischen Galeeren, was einem Todesurteil gleichkommt. 45 Untertanen werden von den Gnädigen Herren als «Rädlifuerer» zum Tode verurteilt und hingerichtet, in Bern 23, in Basel acht, in Luzern 13, in Solothurn einer.
Der Anführer der Berner Aufständischen, Niklaus Leuenberger, gehört als hablicher Bauer und Mitglied des Landgerichts Ranflüh zur ländlichen Oberschicht. Das trifft auf den Entlebucher Landeshauptmann Hans Emmenegger erst recht zu. Seine Güter sind mehr als 30‘000 Gulden wert. Für den Kirchenbau in Schüpfheim stiftet er 500 Gulden, dazu eine Glocke.
Zuerst ist er Weibel, dann Landeshauptmann, schliesslich Landespannermeister, eine Identifikationsfigur, so einflussreich, dass er der Luzerner Obrigkeit die Stirn bieten kann. Bereits 1635 ruft er zur Verweigerung des Huldigungseids auf und wird nur auf Bitten seiner Familie begnadigt.
Später wird er wegen kritischer Äusserungen zum Pensionenwesen mit 300 Gulden gebüsst. Das sind zwei bis drei Jahreslöhne eines Handwerkers in der Stadt. Angeführt werden die Bauern nicht von verarmten, verelendeten «Bauernzütteln», sondern von ihren Spitzenkräften.
Als einer der reichsten Untertanen der alten Basler Landschaft seiner Zeit reiht sich hier Hans Gysin ein, Wirt in Hölstein, an der Hauensteinroute. Er verfügt über reichlich Land und Vieh und hat als Geldgeber grossen Einfluss. Kein Zufall, dass er wirtet. Im Luzernischen gehören mehrere Wirte zum Führungskreis der Bauern. Christian Schibi, der charismatische Haudegen, wirtet im «Drei Königen» in Entlebuch. Johann Ulrich Amstein, Sternenwirt in Willisau, wird 1653 mit zehn Jahren Galeerendienst bestraft.
Schliesslich verdient Heinrich Peyer Erwähnung. Nach den ersten Hinrichtungen von Bauern äussert der Willisauer Kronenwirt seinen Zorn zwar verschlüsselt, aber alle verstehen ihn. Nicht die Obrigkeit werde das letzte Wort haben, meint Peyer, sondern «der uf der blauwen dillen», gemeint der Herrgott im Himmel, auf der blauen Diele. Er werde «entlich gross und klein richten».
Willisau war ein wichtiger Treffpunkt der Aufständischen. Sursee hingegen hat von Beginn weg zur Obrigkeit gehalten. Das mag dazu geführt haben, dass der Entlebucher Bauernführer Christian Schibi im Rathaus von Sursee gefoltert wird. – Auf der rechten Seite drei Vertreter der Macht. Ratsherr Kaspar Pfyffer, behangen mit Pelz und goldener Kette, leitet Verhör und Folterung. Die eine Hand auf der Bibel, vereinnahmt er das göttliche Recht für die Obrigkeit.
Der Protokollführer krümmt sich angestrengt und entsetzt zugleich über sein Buch, bemüht, nichts zu verpassen. Zur nachträglichen Rechtfertigung des peinlichen Verfahrens soll ihm keine Äusserung entgehen. Der Dritte im unseligen Bund demonstriert mit einem Szepter Rang und Würde der Ratsvertretung. Das Kreuz auf dem Tisch bringt zum Ausdruck, dass hier die Stellvertreter Gottes auf Erden am Werk sind.
Gottes Sohn aber befindet sich den Machthabern gegenüber, in der Gestalt von Schibi. Grausam gemartert auf einer Folterwinde, dennoch kraftvoll und unbeugsam, überragt Schibis Kopf unübersehbar alle anderen. Man wird ihn töten. Aber er stirbt für eine gerechte Sache und bleibt Sieger. So jedenfalls sieht es der Zeichner Martin Disteli, der klar Partei ergreift.
Zu beiden Seiten Schibis, wie damals auf Golgatha, der Kreuzigungsstätte Christi, zwei Mitgefangene; direkt über ihnen Ketten, zu denen auch sie verdammt sind. In einer Maueröffnung stehen als Gefängniskost Wasser und Brot bereit. Disteli macht daraus einen Tabernakel mit Brot und Wein für das (letzte) Abendmahl.
Das massive Gitter in der Maueröffnung deutet an, dass es hier kein Entrinnen gibt. Aber das helle Licht, das aus dieser Öffnung dringt, fällt nicht etwa auf die Peiniger, sondern auf Schibi. Diese Tortur mitansehen zu müssen, ist selbst einem Tier zu viel. Der Hund kriecht unter den Tisch.
Überall soll das grauenhafte Spektakel der Hinrichtungen vor möglichst zahlreichem Publikum stattfinden. Mit theatralisch inszenierten Strafaktionen schüchtert die Obrigkeit die Untertanen ein und beugt weiterem Aufbegehren vor. Zu diesem Zweck werden die Leichen auf den Richtstätten demonstrativ zur Schau gestellt.
Noch ein halbes Jahr nach der Hinrichtung hängt der Leichnam des Emmentaler Bauernführers Ueli Galli am Galgen. «Im Mai hat man den erhenkten Ulli Galli von dem Galgen abgeschnitten, welcher hernach aus oberkeitlichem Befehl vom Meister Michel, dem Scharpfrichter, wiederum mit einer Kette unter den Armen aufgehenkt und der abgehowene Kopf an das Corpus gesetzt wurde. Ist dieser also zum anderen [weiteren] Mal gehenkt und einmal geköpft worden.»
Nach dem Bauernkrieg nehmen die «Wallfarten zu der Rihtstatt by dem Hochgericht» für die Obrigkeit bedrohliche Ausmasse an. Die Bittgänge rücken in die Nähe volkstümlicher Heiligenverehrung. Die Luzerner Regierung sieht in diesen Wallfahrten politische Kundgebungen und verbietet sie bei Todesstrafe. Viele Angehörige lassen sich jedoch nicht abhalten, wie das Lied vom Buecher Fridli dokumentiert:
Wie so oft in der Geschichte ist die Frage nach den Siegern von 1653 vordergründig rasch beantwortet: die Herren natürlich, wer denn sonst?! Jedenfalls nicht die «armen Bauernzüttel», die aufs Rad geflochten und von Galgenvögeln gefressen werden. Wenn man Geschichte allerdings als Prozess begreift, ergibt sich auch hier ein differenziertes Bild.
Die Obrigkeiten können nach 1653 selbst von Gottes Gnaden nicht mehr schalten und walten, wie sie wollen. Systematisch direkte Steuern zu erheben, ist kaum möglich. Damit fehlt das Geld für ein stehendes Heer zur dauernden Disziplinierung der Untertanen. Damit fehlen auch die Mittel für einen Verwaltungsapparat, für städtische Beamte auf dem Land.
Die Untertanen haben zwar keine politischen Rechte, aber sie verwalten sich weitgehend selber. Das trägt wohl zur bemerkenswerten Entwicklung der Vorindustrialisierung bei. Jedenfalls ist die Schweiz um 1800, am Vorabend der technischen Revolution, womöglich der grösste Hersteller von Baumwollwaren in ganz Westeuropa