Jeweils am letzten Freitagabend des Monats um 18:45 Uhr versammeln sich etliche begeisterte Velofahrende am Bürkliplatz in Zürich zu einer gemeinsamen Rundfahrt durch die Stadt. Die Bewegung nennt sich Critical Mass (CM) – folgendes musst du darüber wissen:
Jeden letzten Freitag im Monat findet die Critical Mass in Zürich statt. Was vor circa 25 Jahren mit ein paar Dutzend Teilnehmern begann, hat mittlerweile eine beachtliche Grösse erreicht. An der Veranstaltung am 28. Mai 2021 waren es laut SP-Kantonsrat Nicola Sigrist etwa 2500 «schöne Menschen auf dem Velo». Laut Beobachtern sollen es aber fast 10'000 Teilnehmerinnen gewesen sein.
Wie der Name vermuten lässt, ist die Teilnehmerzahl durchaus wichtig: Die Idee hinter der Bewegung ist nämlich, dass sich eine grosse Anzahl Leute – also eine kritische Masse – an einem Ort trifft und gemeinsam mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt.
Es geht natürlich nicht darum, lediglich eine gute Zeit auf dem Velo zu haben und ein wenig Sightseeing zu machen. Die Teilnehmerzahl soll so hoch sein, dass dem motorisierten Verkehr auf Augenhöhe begegnet werden kann – es steckt demnach eine klare Message dahinter:
Gemäss der Webseite des Zürcher Ablegers der Critical Mass ist ein solcher Anlass deshalb notwendig, weil Fahrradfahrer sich im Strassenverkehr täglich grossen Gefahren aussetzen und «als minderwertige Verkehrsteilnehmer marginalisiert» werden.
Die Ur-Critical-Mass fand 1992 in San Francisco (CA) statt, als einige Velofahrerinnen und Velofahrer gemeinsam die Strassen eroberten. Heute – 30 Jahre später – finden solche monatlichen Rundfahrten unter dem Titel Critical Mass in gut 300 Städten weltweit statt.
Auf der offiziellen Zürcher Homepage distanziert man sich klar davon, dass es sich um eine Demonstration handelt. Das erhöhte Verkehrsaufkommen der Velos soll zwar Aufmerksamkeit erregen, ist jedoch eher mit einem Flash-Mob zu vergleichen: Es gibt keine Verantwortlichen, kein zentrales Organisationskomitee im Hintergrund, keine festgelegte Route und die Strassen werden nicht absichtlich blockiert.
Auf den Velozug aufmerksam gemacht wird über verschiedene Kanäle – beispielsweise Social Media, Plakate oder Mundpropaganda. Wenn genügend Personen am vereinbarten Treffpunkt auftauchen und somit die kritische Masse erreicht ist, geht die Fahrt los. Die Route diktiert der vorderste Velofahrer. Je nach Grösse und Route kann es jedoch zu Verkehrsblockaden kommen.
Es handelt sich um eine globale Angelegenheit – die Critical Mass findet in grossen und kleinen Städten auf der ganzen Welt statt. Dazu zählen etwa New York, Barcelona, Berlin, Wien, Oslo, Lausanne und viele mehr. Die Philosophie und der Termin – der letzte Freitag im Monat – ist überall gleich.
In Zürich wächst die Szene seit mehreren Jahren. 2018 waren es noch einige Dutzend, 2019 einige Hundert, an der letzten Austragung nahmen etwa 2500 Velofahrerinnen und Velofahrer teil. Auch für diesen Freitag rechnet man mit einer beachtlichen Anzahl Teilnehmern.
Wenn einige Tausend Velofahrer durch die Stadt cruisen, braucht es bestimmt auch irgendwelche Vorgaben.
Wenn um 18.45 Uhr die Menschen langsam am Bürkliplatz eintreffen, wird meist eine halbe Stunde gewartet – dann sollten alle Teilnehmer vor Ort sein. Bevor es jedoch losgeht, werden die Regeln kommuniziert:
Solche Regeln sind wichtig: Die wachsende Teilnehmerzahl und der Anspruch der «CM», dass alles sicher und friedlich abläuft, verlangt von den Velofahrern ein gewisses einheitliches Agieren.
Im Juni 2019 kam es zu einer grösseren Verkehrsblockade am Zürcher Hauptbahnhof. In einem offenen Brief bat Andreas Moschin – Chef der Einsatzabteilung – die Teilnehmer zur Kommunikation und Einhaltung der Handlungsrichtlinien.
Auch im Mai 2021 äusserte sich die Polizei zur riesigen Critical Mass. Die Beamten hätten die Beteiligten auf die Corona-Verordnungen aufmerksam gemacht, seien jedoch ignoriert worden. Masken seien nur vereinzelt getragen worden. Ausserdem sei es zu mehreren verbalen Entgleisungen zwischen Velo- und Autofahrern gekommen, Tätlichkeiten konnten jedoch verhindert werden. Abseits des Umzugs fuhr ein Autofahrer aus unbekannten Gründen einen Velofahrer an.
Seit Juli 2023 ist die Velodemo in Zürich bewilligungspflichtig. Dies geht auf eine Aufsichtsbeschwerde des Zürcher FDP-Präsidenten Përparim Avdili zurück. Das Statthalteramt gab der Beschwerde recht. Die Verantwortlichen haben sich trotz Gesprächsaufforderung im Juli aber nicht bei der Stadt gemeldet, weshalb der Event am 28. Juli wohl ohne Bewilligung stattfindet.
Die Grüne Stadträtin kündigte kurz vor der Demo an, dass die Stadt Zürich trotzdem eine «Politik der Toleranz» weiterführen werde. Die Demo soll also nicht von einem Polizeigrossaufgebot aufgelöst werden. Teilnehmende werden aber mit einer Verzeigung rechnen müssen. (mma/leo)