Schweiz
Zürich

Zupf- und Hüpf-Burg: Der Gaia Mother Tree im HB Zürich

Gaia Mother Tree
Ja, gut, der transparente Riese ist irgendwie schön.Bild: sme

Hoden halten Baum am Boden! Ich war in der Häkel-Esoterik am HB Zürich

Er heisst «Gaia Mother Tree» und ist ein irres Meditationszentrum für Reisende. Ich hab mich mal umgesehen und umgehört. Übrigens under the influence of Gewürz.
02.07.2018, 18:1303.07.2018, 07:10
Simone Meier
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Ihr Lieben, ich war weg, fünf Wochen lang, und in der Zwischenzeit ist Unglaubliches passiert: Die Bachelorette ist mit irgendeinem Typen und die deutsche Fussballnationalmannschaft ohne irgendwelche Meriten nach Hause gegangen. Es war heiss und dann wieder nicht. Und wundersamerweise funktioniert mein billiger Tischventilator 2018 besser als die vier Sommer davor. Altersweisheit wahrscheinlich.

Und: Im Zürcher Hauptbahnhof wächst jetzt ein zwanzig Meter hoher Häkelbaum. Mit einem Meditationszentrum und Gewürzhoden. Ich übertreibe nicht, denn ich hab’s gesehen und gerochen.

Was hier so schwer runterhängt, ist mit Gewürzen gefüllt.
Was hier so schwer runterhängt, ist mit Gewürzen gefüllt.Bild: sme

Das Geschwür, pardon, die Skulptur, heisst «Gaia Mother Tree» also sowas wie «Mutter Erde Baum», was mir in der Kombination mit Häkeln und Meditation ein ganz klein wenig, nun ja, esoterisch aufstösst. Zudem schrieb die NZZ, man müsse in das Ding «hineinkriechen».

Ich kriech nicht gern in Dinge hinein, weder in harte noch gehäkelte und schon gar nicht in esoterische. Aber ich hatte ansonsten keine Ahnung, worüber ich heute schreiben könnte, deshalb auf und frisch hineingekrochen in das Netzwerk der Verunsicherung beziehungsweise Selbstfindung.

Okay, keine Ahnung wie gross die Kollegen bei der riesengrossen NZZ so sind, ich kann aufrecht durch den sogenannten Geburtskanal gehen. Der mit Kinderwagen vollgestellt ist. Was irgendwie passt. Und mit Schuhen. Die muss man nämlich ausziehen. Zum Glück ist es erst zehn Uhr morgens und noch nicht heiss, weshalb es hier nur die schmerzhaft häufige Anwesenheit des Hallux festzustellen gilt, diesem gröberen Problem from High-Heel-Hell.

The art installation "GaiaMotherTree" of Brazilian artist Ernesto Neto displayed at the Zurich Central Station in Zuerich, Switzerland, Friday, June 29, 2018. The GaiaMotherTree sculpture, m ...
Der Innenraum bei der Pressebesichtigung.Bild: AP/Keystone

Das Innere von Gaia ist nett und soft, man geht und sitzt auf Polstern, starrt nach oben ins löchrige Gehäkel, das mit Gegengewichten festgehalten wird. In den Gewichtssäcken befinden sich rund 420 Kilogramm Kurkuma, Gewürznelken, Kreuzkümmel und schwarzer Pfeffer. Riecht man die? Irgendwie nicht.

Aber vielleicht macht es ja etwas mit uns, wenn wir so under the influence of Gewürz liegen. Viele legen sich nämlich sofort verzückt auf den Rücken, das gibt die schönsten Handybilder der Blume, die auf einem orangen Stengel aus einem Sack voller Samen in die Decke wächst. Schon schön, die Blume. Hellgrüne Stoffresten sind auf den Boden genäht. Theoretisch sollten sie ein Weltkarte darstellen. «Hat das eine Schulklasse gemacht?», fragt ein Junge.

Gaia Mother Tree
The flower of power.Bild: sme

Das Gedränge in der Erdgebärmutter mit Innerhoden ist irr und auf freundliche Weise irrational. Alles, was in Zürich eine gebatikte Windel besitzt, ist hier, eine ganze spanische Familie trägt T-Shirts mit der Aufschrift «Everyone smiles in the same language». Willkommen in der eso-globalisierten Welt. «Das hat jetzt eben eine Portugiesin oder Brasilianerin gemacht», weiss eine Frau, «oh nein, ein Mann! Das hat ein Mann gemacht!»

Krass. Ein Mann hat gehäkelt und gewürzt und Mutter-Erde-Meditation im Angebot! Er heisst Ernesto Neto und ist Brasilianer. Er macht das mit viel Erfahrung und Erfolg.

Zwischen den Kissen stehen Tontöpfe mit den üblichen Kollegen vom Balkon: Minze, Basilikum, Currykraut, Lavendel. Menschen riechen an der Minze, als hätten sie noch nie einen Mojito getrunken: «Ist das jetzt Basilikum?» «Sea Ya!», steht auf einem Buben-T-Shirt, «Messi» auf einem andern. Zwei Frauen und ein Mann verharren in perfekten Yoga-Schneidersitzen. Die diversen Inhalte der parkierten Kinderwagen sind ausser sich, Gaia ist auch eine Hüpf- und Zupf-Burg.

Gaia Mother Tree
Der Innenraum an einem ganz normalen Tag.Bild: sme

Zwei verstrahlte Boys in Flipflops und T-Shirts, auf denen «Change Means Cents» steht, werden von ihren Girls aus Gaia gerettet. Hat das Ding eigentlich schon jemanden verdaut? Oder ein Alien aus dem Geburtskanal gespien? Eine Liegende sagt: «Verrückt, von hier aus sieht der Bahnhof aus wie eine Moschee. Oder wie ein riesiger Traumfänger.»

Was Leute alles so denken, denk ich, steh auf und geh. Eine ganze Stunde ist vergangen. Meine Notizen brechen nach höchstens zwölf Minuten ab. Was ist in den restlichen 48 Minuten geschehen? Bin ich noch mich selbst? Oder jetzt erst recht? 

Die Installation «Gaia Mother Tree» gibt's bis Ende Juli im Zürcher HB zu sehen.

«Ihr müsst mein Kind nicht toll finden, aber...»

Video: watson/Emily Engkent

Fast wie Häkeln: Er strickt Pullis von Orten und macht Fotos davor

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Er strickt Pullis von Orten und macht Fotos davor
Sam Barsky strickt. Ist ja erstmal nichts Aussergewöhnliches. Aaaaaber: Er strickt nicht einfach 0815-Weihnachtspullis. Nein. (Bild: Facebook/colorknit)
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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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fiodra
02.07.2018 21:03registriert Juni 2014
Ich finde das Kunstwerk ganz ohne bissige und abschätzige Nebenbemerkungen schön und eindrücklich, Frau Meier.
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Simsalabum
03.07.2018 09:36registriert September 2015
Schade, dass die persönliche Meinung der Autorin so stark einfliesst. Ein wenig Zurückhaltung wäre schön gewesen. Teilt man den Gedanken nicht, ist es ok. Die Leistung der Künstler so herabzuwürdigen hinterlässt jedoch einen fahlen Nachgeschmack. Ist es nicht gerade Vielfältigkeit die unser Leben schön macht?
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TheRabbit
02.07.2018 18:27registriert Mai 2014
Finde das Kunstwerk sehr gelungen. Die sterile HB-Halle und das farbenfrohe Häkel-Ungetüm passen gut zusammen.

PS. SRF hat einen Dok zum Fondation Beyeler Leiter gemacht. Hierbei wird das Kunstwerk thematisiert.
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