Wenn die Szenerie ein Vorbote war für den Wahltag, dann müssen sich die Bürgerlichen auf etwas gefasst machen. An einem Podium der Zürcher Regierungsratskandidaten von SVP, FDP und CVP in der Agglogemeinde Wallisellen am Mittwochabend nahmen etwa gleich viele Interessierte teil wie Referenten. Also ungefähr fünf. Die «Top 5», wie sie sich nennen, machten das Beste daraus und führten die Diskussion im Rahmen eines erweiterten Apéros.
Die magere Beteiligung sei untypisch, sagte FDP-Kandidatin Carmen Walker Späh im Gespräch mit watson: «Ich weiss nicht, was schief gelaufen ist.» Andere Veranstaltungen seien sehr gut besucht worden. Trotzdem wurde man den Eindruck nicht los, der Anlass in Wallisellen sei ein Abbild der Kampagne für die Regierungs- und Kantonsratswahlen vom 12. April. Sie verläuft flau und emotionslos. «Es fliesst kein Blut», sagt Walker Späh.
Zündstoff wäre vorhanden: Die Bürgerlichen wollen den fünften Sitz in der Kantonsregierung zurückerobern, den sie vor vier Jahren durch die Abwahl von Hans Hollenstein (CVP) an Martin Graf (Grüne) verloren hatten. Dieser hat sich in der Affäre um einen gewissen jugendlichen Straftäter nicht mit Ruhm bedeckt. Die SP wiederum hat für die Nachfolge von Bildungsdirektorin Regine Aeppli eine Frau nominiert, die zwar über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügt, aber auch als stramm linke Reizfigur gilt.
Beste Voraussetzungen also für einen toughen Wahlkampf. Warum findet er nicht statt? Ein Blick auf die grossen Parteien und ihre Bewerber:
Die SVP ist die klar stärkste Zürcher Partei und eigentlich immer für einen harten Fight zu haben. Davon ist jedoch nichts zu sehen. Einer der Gründe: Die SVP strebt keinen Sitzgewinn an. Sie hat schon zwei Regierungsräte und begnügt sich damit. Baudirektor Markus Kägi und Ernst Stocker, der Vorsteher der Volkswirtschaftsdirektion, sind keine Hardliner, sondern gmögige Langeweiler. Trotzdem, oder gerade deshalb, dürften sie problemlos wiedergewählt werden.
Dabei steht Markus Kägi in der Kritik, ihm wird Führungsschwäche nachgesagt. «Er hat seinen Laden nicht im Griff», sagt ein langjähriger Beobachter der Zürcher Politik. Die Baudirektion sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen, etwa in Zusammenhang mit dem umstrittenen Polizei- und Justizzentrum auf dem Areal des alten Güterbahnhofs in der Stadt Zürich. Bereits vor Baubeginn stellte sich heraus, dass es zu klein ist. Um sein Amt zittern muss Kägi dennoch nicht.
Sie tragen den gleichen Nachnamen und waren zusammen im Nationalrat. Viel mehr aber haben der amtierende Sicherheitsdirektor Mario Fehr und die neu kandidierende Jacqueline Fehr nicht gemeinsam. Er ist ein Pragmatiker, sie gilt als linke Überzeugungstäterin. Sie seien nicht nur zerstritten, sondern regelrecht verfeindet, besagen Gerüchte. Im Wahlkampf allerdings haben Fehr und Fehr das Kriegsbeil begraben und ihre Differenzen gekonnt überspielt.
Während Mario Fehrs Wiederwahl gesichert ist, galt Jacqueline Fehr als Risikokandidatin. Als «Traumgegnerin der Bürgerlichen» bezeichnete sie der «Tages-Anzeiger», als sie sich im letzten Herbst gegen namhafte innerparteiliche Konkurrentinnen durchgesetzt hatte. Doch nun attestieren ihr Beobachter einen extrem cleveren Wahlkampf. Sie verleugne ihre linke Gesinnung nicht und wage sich gleichzeitig mit Erfolg in die Mitte vor. Das scheint sich auszuzahlen: Laut der Tagi-Wahlbörse wird Jacqueline Fehr den zweiten SP-Sitz verteidigen.
Die Freisinnigen halten ebenfalls zwei Sitze in der Regierung. Mehr als einen könnten sie mit einem Wähleranteil von knapp 13 Prozent (2011) eigentlich nicht beanspruchen. Trotzdem haben sie gute Chancen, ihren Besitzstand zu wahren. Was auch daran liegt, dass ihre gefährlichsten Konkurrenten in der Mitte, die Grünliberalen, nicht zur Regierungsratswahl antreten. Ihr einziger valabler Kandidat, Parteipräsident Martin Bäumle, hat verzichtet.
FDP-Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger muss um seinen Sitz nicht bangen. Für die Nachfolge der zurücktretenden Finanzdirektorin Ursula Gut bewirbt sich Kantonsrätin Carmen Walker Späh. Die 56-jährige Baujuristin führt einen engagierten Wahlkampf und sorgt auch für farbige Akzente, etwa mit ihrer kecken Frisur. Ihren guten Umfragewerten traue sie nicht, sagte die gebürtige Urnerin zu watson und verwies auf Hans Hollenstein. Vor vier Jahren konnte er laut den Umfragen mit einer glänzenden Wiederwahl rechnen, am Ende landetet er als Überzähliger auf dem achten Platz. Trotzdem: Walker Späh kann die Wahlfeier planen.
Hollensteins Leid war Martin Grafs Freude. Der langjährige Stadtpräsident von Illnau-Effretikon und seine Grüne Partei profitierten 2011 von der Atomkatastrophe in Fukushima und verdrängten die CVP aus der Regierung. Dort musste der studierte Agronom Graf die Justizdirektion übernehmen, mit der er einige Mühe bekundete. In der Endlos-Affäre um den Straftäter «Carlos» agierte er ungeschickt, und auch die in letzter Zeit massiv angefeindete Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) untersteht seinem Amt.
Im Wahlkampf wird der schweizerisch-australische Doppelbürger, der als beratungsresistent gilt, offenbar sehr gut beraten. Er hat sich keinen Ausrutscher geleistet und ist allen Fettnäpfen ausgewichen. Für ihn sprechen auch seine sympathische Ausstrahlung und der Bisherigen-Bonus, der in Zürich traditionell viel Gewicht hat. Hans Hollenstein war der erste abgewählte Regierungsrat seit fast einem halben Jahrhundert. Auf der sicheren Seite ist Martin Graf trotzdem nicht, auch wegen seiner Partei: Der Fukushima-Effekt ist verpufft, die Grünen stecken im Formtief.
Die CVP will den verlorenen Regierungssitz mit der 56-jährigen Silvia Steiner zurückgewinnen. Die studierte Kriminologin war Kripo-Chefin in der Stadt Zürich und in Zug und ist heute Staatsanwältin, sie verfügt über einen beachtlichen Bekanntheitsgrad. Im Wahlkampf sorgte sie ungewollt für die emotionalste Episode: Ein anonymes Flugblatt verunglimpft sie als Gegnerin der Sterbehilfe. Geschadet hat ihr das Pamphlet kaum, aber nützt es ihr auch?
Bislang sieht es nicht danach aus. Steiner sei «keine zündende Figur», meint der Zürcher Politikbeobachter, und im Wahlkampf konzentriere sie sich auf ihr Stammthema Kriminalität. Was angesichts der rückläufigen Verbrechensrate nicht einfach ist. Silvia Steiner bezweifelt die statistischen Daten, dennoch musste sie in Wallisellen einräumen: «Wir leben in einem sicheren Kanton.» Ihr wohl grösstes Problem aber ist ihre Partei: Der Wähleranteil der CVP sank 2011 von 7,2 auf 4,9 Prozent. Damit erodiert auch ihr Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung.