Es ist ein Spruch, den die Flughafen-Zürich-Chefs nicht gerne hören. «Shopping statt Shipping». Die Airlines und Cargo-Firmen in Kloten monieren immer wieder mal, dass die Airport-Betreiberin den Fokus zuweilen zu stark auf das Kommerz-, als auf das eigentliche Kerngeschäft, die Fliegerei, setzt. Dies, obwohl der Flughafen regelmässig Branchenauszeichnungen für seine aviatischen Leistungen gewinnt.
Symbol dieser Kommerz-Fokussierung ist «The Circle». Die Idee wurde vor rund zehn Jahren lanciert. «The Circle bildet den Schweizer Dreh- und Angelpunkt für Kosmopoliten, die sich an Neuem und Aussergewöhnlichem erfreuen», hiess es damals. Und: «In einer durchdachten Infrastruktur treffen gehobene Angebote auf einen weltgewandten Lebensstil. Beeinflusst von Schweizer Qualitätswerten, von denen auch Premium-Marken profitieren.»
Am 5. November 2020 wurde der Glaspalast mit einer Nutzfläche von 180'000 Quadratmeter mit drei Jahren Verspätung eröffnet. Kostenpunkt: Mehr als eine Milliarde Franken. Jahrelang war es die grösste Baustelle der Schweiz. Der japanische Stararchitekt Riken Yamamoto zeichnete sich für die Ausgestaltung verantwortlich. Das Ziel: Der Flughafen soll weniger von der Luftfahrt abhängig werden, mit Hilfe von Showrooms für teure Marken, Luxushotels, einem grossen Kongresszentrum, medizinischen Angeboten, bekannten Büromietern wie Microsoft und SAP, und edlen Restaurants. Mit 49 Prozent ist der Versicherungskonzern Swiss Life am Circle beteiligt.
Ein Jahr ist seit der Eröffnung vergangen. Zeit für eine Bilanz - und diese sieht nicht gut aus, wie ein Rundgang und Gespräche mit Mieterinnen und Mietern vor Ort diese Woche zeigen. Der erste Eindruck an einem Morgen ist von der Leere bestimmt. In den verwinkelten Gassen sind Passanten Fehlanzeige. In den verschiedenen Shops ist vor allem etwas zu sehen: Beschäftigungstherapie der Angestellten. Sie falten T-Shirts, rücken Schokolade zurecht oder pützeln die Regale.
«So ist es fast immer», sagt eine Angestellte in einem Geschäft. «Die Kunden fehlen.» Klar, Corona sei noch immer einer der Hauptgründe für das Fernbleiben der zahlenden Gäste, das sei nun mal grosses Pech gewesen, dass der «Circle» just in der Pandemie eröffnet wurde. «Aber die Architektur ist nun mal auch nicht ideal, die Leute finden sich oft nicht zurecht.»
Tatsächlich wirkt der Eingangsbereich vis-à-vis des Flughafens nicht besonders opulent. Der Hauptplatz, mit einem durchaus belebten Café mit Aussenbestuhlung, einem Jelmoli-Geschäft und Omega-Showroom, strahlt Flair aus. «Aber danach wird alles zu verwinkelt, und es mangelt bei der Beschilderung, wo welches Geschäft ist», sagt die Verkäuferin.
Die offiziellen Stellungnahmen der Shop-Mietenden fallen unterschiedlich aus, wie eine Umfrage zeigt. Praktisch alle betonen, vom Konzept nach wie vor überzeugt zu sein. Jelmoli-Chefin Nina Müller verweist auf den negativen Einfluss des Lockdowns. «Und nach wie vor spüren wir die tieferen Frequenzen aufgrund von Homeoffice.» Mehr Werbung für den Circle sei nötig. Beim Schoggi-Verkäufer Läderach heisst es: Der Umsatz und die Kundenfrequenz liegen zur Zeit unter unseren Erwartungen.
Doch es gibt auch die Zufriedenen: «Wir sind begeistert von den Ergebnissen», sagt Raynald Aeschlimann, Präsident und CEO der Uhrenmarke Omega. Und eine Coop-Sprecherin sagt in Bezug auf das italienische Spezialitätengeschäft Sapori: «Die Geschäftsentwicklung entspricht den Erwartungen, mit weiterhin positivem Trend.»
Doch es ist nicht nur die menschliche Leere. Denn der Rundgang zeigt, dass zwölf Monate nach dem Start noch viele Geschäftsflächen im Parterre nicht vermietet sind - oft an prominenter Lage. Wo sich Flughafen-Präsident Andreas Schmid und sein CEO Stephan Widrig trendige Boutiquen und Showrooms wünschten, sind nur karge Betonwände und herumliegende Kabel zu sehen. Pop-up-Filialen wie der Pflegeprodukte-Verkäufer Soeder oder ein temporärer Ausstellungsraum der Fitnesskette Kieser sind wieder verschwunden. Und von den beiden Hyatt-Hotels ist erst eines für offen. «Es läuft leider sehr schleppend», sagt der Geschäftsführer eines bekannten «Circle»-Mieters.
Zur Belebung beitragen sollen die Restaurants und Bar. Deren Bilanz ist etwas positiver, wie eine Umfrage zeigt. «Wir sind zufrieden. Wir haben bereits nach wenigen Wochen Gäste, die immer wieder kommen», sagt Salome Ramseier, Sprecherin der SV Group, die das Restaurant «Chreis 14» und eine Cafeteria betreibt. Sie verweist auf das nach wie vor weit verbreitete Homeoffice. «Das spüren wir natürlich. Wir sind noch nicht voll ausgelastet.» Am besten läuft das Mittagsgeschäft.
Wegen der Pandemie wurde das Restaurant ein Jahr später als geplant eröffnet, sagt Ramseier. In der Kaffeebar habe die SV Group die Öffnungszeiten am Morgen und Nachmittag «auf die Frequenzen angepasst». Bei einem Besuch am Montagmorgen sind die Journalisten in der Kaffeebar denn auch die einzigen Kunden.
Zufriedener ist hingegen die US-Hotelkette Hyatt, die das Hotel Hyatt Regency und das Restaurant Babel betreibt. «Wir schauen positiv auf die letzten Monate zurück», sagt Sprecherin Fabia Roos. Seit der Lockerung der Massnahmen gebe es einen «vielversprechenden Anstieg» von Buchungen für kleine bis mittelgrosse Veranstaltungen – wichtig für das Hotel, das mit seinem «Convention Centre» Kongresse mit bis zu 2500 Gästen an den Flughafen holen will.
Die Lage sehe erfolgversprechend aus. «Dieser klare Aufschwung des Geschäfts stimmt uns positiv für die Zukunft», sagt Roos. In den vergangenen Monaten habe Hyatt auch einen Anstieg von Hotelgästen aus der nahen Umgebung verzeichnet. Die Buchungslage erlaubt es der Gruppe nun, das zweite Hotel im «Circle» zu eröffnen, das bisher fertig ausgebaut auf bessere Zeiten wartete. Am 15. Dezember soll das «Hyatt Place» den Betrieb aufnehmen.
Corona, die Kritik der Mietenden - und dann wären da noch bauliche Mängel und Probleme. Am Tag der Besichtigung müssen Glasscheiben ausgewechselt werden, weil manche klar sichtbar Risse aufweisen. Bei Regen und Wind tropft es zudem in manchen Gassen stark auf den Boden, weil die Glasdächer nicht komplett geschlossen sind - eine offensichtliche Fehlplanung. «Da werden wir wohl etwas machen müssen», sagt ein Insider dazu.
Nur warten kann der Flughafen hingegen auf einen Entscheid in der kommerziell wichtigen Frage, ob die Geschäfte am «Circle» sonntags geöffnet sein dürfen. Wenn er von den zuständigen Behörden und Gerichten als Teil des Flughafens betrachtet wird, ist das möglich – wenn nicht, wäre die Sonntagsöffnung Geschichte. Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit hat sich bereits auf die Seite des Flughafen gestellt. Die Gewerkschaft Unia hat im Januar aber Rekurs dagegen eingelegt. Sie ist der Meinung, dass der unterirdische Tunnel, der als Verbindung vom Flughafen zum Circle fungiert, nicht genügt, um die geforderte Nähe herzustellen – auch wenn er als Instagram-Hotspot sehr beliebt ist.
Der Flughafen Zürich wollte sich auf Anfrage zu allen geäusserten Kritikpunkten nicht äussern.
Der Flughafen Zürich bemüht sich derweil, den «Circle» bekannter zu machen. Im Shoppingbereich steht eine digitale Wand, die auf das «neue Quartier» aufmerksam macht. Und Ende November startet im «Circle»-Park ein neues Winterfestival, mit Weihnachtsständen Starpower dank Musikauftritten von Loco Escrito, Baschi, Anna Rossinelli oder Luca Hänni. Zudem wird die Erholung in der Aviatik auch die Kundenzahlen im «Circle» steigen lassen.
Ob es diesmal klappt? Denn 2001 plante der Flughafen schon einmal ein zweites Standbein namens Airport City - ein Hotel-, Dienstleistungs- und Konferenzzentrum für 300 Millionen Franken. Ein «Mini-Circle» quasi. Doch 9/11 und das Swissair-Grounding machten diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. Und sogar für eine Casino-Lizenz hatte sich der Flughafen einst beworben und sich dabei verwettet. Der «Circle» hingegen - der bleibt ein Pokerspiel. (aargauerzeitung.ch)