M.V.* ist eine unauffällig Erscheinung: Gedrungener Körper, kurze schwarze Haare, beige Jacke, Brille ohne Rand, dunkler Teint. Doch laut Staatsanwaltschaft steht auf der Anklagebank ein Mann mit zwei Gesichtern: V. wird beschuldigt, zwei Frauen in die Schweiz geholt und sie auf den Strassenstrich geschickt zu haben. Die Einkünfte – die Staatsanwaltschaft geht von insgesamt rund 900'000 Franken aus – knöpfte er ihnen gemäss Anklageschrift ab.
Eine der Frauen soll ausserdem ein Kind von ihm erwartet haben. Da er dieses nicht wollte, soll er sie zu Boden gestossen und auf ihren Bauch gestanden sein. Die Frau erlitt Krämpfe, starke Blutungen und verlor schliesslich das Kind.
V. bestreitet alle Vorwürfe. Er vermutet eine Verschwörung und hofft auf einen Freispruch.
Die Staatsanwaltschaft hat den 45-jährigen Mann aus Ungarn unter anderem wegen Menschenhandel, Förderung der Prostitution und strafbarem Schwangerschaftsabbruch angeklagt. Sie fordert dafür eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und eine unbedingte Geldstrafe von 160 Tagessätzen à 30 Franken.
Für die Staatsanwältin ist der Beschuldigte ein Mann mit zwei Gesichtern: Einerseits freundlich und höflich, andererseits unberechenbar, gewalttätig und skrupellos. «Sein Verhalten ist weder moralisch noch rechtlich tolerierbar», sagte die Staatsanwältin vor Gericht.
Für sie ist erwiesen, dass der Mann als Zuhälter tätig war, die zwei Frauen bedroht und geschlagen und den Schwangerschaftsabbruch herbeigeführt hat. «Er holte sie in die Schweiz, damit sie für ihn arbeiten», sagte sie.
Die Staatsanwältin stützt sich dabei hauptsächlich auf die Aussagen der zwei Frauen und von Zeugen. Sie stuft dabei die zwei Frauen glaubwürdiger ein als den Beschuldigten. «Seine Aussagen sind lebensfremd und nicht nachvollziehbar», sagte sie.
So sagte er beispielsweise vor Gericht, dass er den Frauen das Trinken von Alkohol verboten habe. «Vielmehr ist es aber so, dass Prostituierte dazu animiert werden, Alkohol zu trinken, um beispielsweise lockerer zu werden.»
Der Beschuldigte, der im vorzeitigen Strafvollzug sitzt und in seiner Heimat bereits einschlägig vorbestraft ist, bestritt sämtliche Vorwürfe. Er bezeichnete sich selbst nicht als Zuhälter, sondern als Aufpasser, Sicherheits- und Wachmann der Frauen.
Die Frauen, die beide vorher schon als Prostituierte gearbeitet hätten, seien zu ihm gekommen, um für ihn zu arbeiten. Er habe sie weder auf den Strich gezwungen noch ihnen vorgeschrieben, wie sie zu arbeiten hätten. «Sie haben immer selber bestimmt, wann und wo sie arbeiten wollten», sagte er vor Gericht.
Er selber sei jeweils vier bis fünf Kilometer von ihnen entfernt gewesen, so dass er, falls dies nötig geworden wäre, schnell hätte eingreifen können. Die Frauen hätten ihn jeweils aus Sicherheitsgründen kurz angerufen, damit die Freier wussten, dass ein Aufpasser da ist und sie sich beispielsweise keine Gewalt leisten konnten.
Die Einnahmen – die Zahlen der Staatsanwaltschaft seien übrigens reine Fantasie – seien stets wie abgemacht geteilt worden und er habe nie jemanden geschlagen, getreten oder bedroht. «Die Frauen lügen permanent», sagte er. «Ich habe mich ihnen gegenüber immer korrekt verhalten.» Dabei handle es sich im Übrigen nicht um naive Mädchen. «Sie wussten was sie taten, man musste sie nicht antreiben.»
Er befürchtet eine Verschwörung gegen sich, da die Frauen wohl Geld wollten und eine von ihnen Probleme mit der Aufenthaltsbewilligung hatte. «Sie wissen, wie der Hase läuft. Sie schwärzen jemanden bei der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration an und dürfen dafür in der Schweiz bleiben.»
Der 45-Jährige hofft deshalb auf einen Freispruch, damit er nach Ungarn zurückkehren und sein «kaputtes Leben in Ordnung bringen kann». (dwi/sda)
*Name der Redaktion bekannt