Ihr Lieben, ich war weg, fünf Wochen lang, und in der Zwischenzeit ist Unglaubliches passiert: Die Bachelorette ist mit irgendeinem Typen und die deutsche Fussballnationalmannschaft ohne irgendwelche Meriten nach Hause gegangen. Es war heiss und dann wieder nicht. Und wundersamerweise funktioniert mein billiger Tischventilator 2018 besser als die vier Sommer davor. Altersweisheit wahrscheinlich.
Und: Im Zürcher Hauptbahnhof wächst jetzt ein zwanzig Meter hoher Häkelbaum. Mit einem Meditationszentrum und Gewürzhoden. Ich übertreibe nicht, denn ich hab’s gesehen und gerochen.
Das Geschwür, pardon, die Skulptur, heisst «Gaia Mother Tree» also sowas wie «Mutter Erde Baum», was mir in der Kombination mit Häkeln und Meditation ein ganz klein wenig, nun ja, esoterisch aufstösst. Zudem schrieb die NZZ, man müsse in das Ding «hineinkriechen».
Ich kriech nicht gern in Dinge hinein, weder in harte noch gehäkelte und schon gar nicht in esoterische. Aber ich hatte ansonsten keine Ahnung, worüber ich heute schreiben könnte, deshalb auf und frisch hineingekrochen in das Netzwerk der Verunsicherung beziehungsweise Selbstfindung.
Okay, keine Ahnung wie gross die Kollegen bei der riesengrossen NZZ so sind, ich kann aufrecht durch den sogenannten Geburtskanal gehen. Der mit Kinderwagen vollgestellt ist. Was irgendwie passt. Und mit Schuhen. Die muss man nämlich ausziehen. Zum Glück ist es erst zehn Uhr morgens und noch nicht heiss, weshalb es hier nur die schmerzhaft häufige Anwesenheit des Hallux festzustellen gilt, diesem gröberen Problem from High-Heel-Hell.
Das Innere von Gaia ist nett und soft, man geht und sitzt auf Polstern, starrt nach oben ins löchrige Gehäkel, das mit Gegengewichten festgehalten wird. In den Gewichtssäcken befinden sich rund 420 Kilogramm Kurkuma, Gewürznelken, Kreuzkümmel und schwarzer Pfeffer. Riecht man die? Irgendwie nicht.
Aber vielleicht macht es ja etwas mit uns, wenn wir so under the influence of Gewürz liegen. Viele legen sich nämlich sofort verzückt auf den Rücken, das gibt die schönsten Handybilder der Blume, die auf einem orangen Stengel aus einem Sack voller Samen in die Decke wächst. Schon schön, die Blume. Hellgrüne Stoffresten sind auf den Boden genäht. Theoretisch sollten sie ein Weltkarte darstellen. «Hat das eine Schulklasse gemacht?», fragt ein Junge.
Das Gedränge in der Erdgebärmutter mit Innerhoden ist irr und auf freundliche Weise irrational. Alles, was in Zürich eine gebatikte Windel besitzt, ist hier, eine ganze spanische Familie trägt T-Shirts mit der Aufschrift «Everyone smiles in the same language». Willkommen in der eso-globalisierten Welt. «Das hat jetzt eben eine Portugiesin oder Brasilianerin gemacht», weiss eine Frau, «oh nein, ein Mann! Das hat ein Mann gemacht!»
Krass. Ein Mann hat gehäkelt und gewürzt und Mutter-Erde-Meditation im Angebot! Er heisst Ernesto Neto und ist Brasilianer. Er macht das mit viel Erfahrung und Erfolg.
Zwischen den Kissen stehen Tontöpfe mit den üblichen Kollegen vom Balkon: Minze, Basilikum, Currykraut, Lavendel. Menschen riechen an der Minze, als hätten sie noch nie einen Mojito getrunken: «Ist das jetzt Basilikum?» «Sea Ya!», steht auf einem Buben-T-Shirt, «Messi» auf einem andern. Zwei Frauen und ein Mann verharren in perfekten Yoga-Schneidersitzen. Die diversen Inhalte der parkierten Kinderwagen sind ausser sich, Gaia ist auch eine Hüpf- und Zupf-Burg.
Zwei verstrahlte Boys in Flipflops und T-Shirts, auf denen «Change Means Cents» steht, werden von ihren Girls aus Gaia gerettet. Hat das Ding eigentlich schon jemanden verdaut? Oder ein Alien aus dem Geburtskanal gespien? Eine Liegende sagt: «Verrückt, von hier aus sieht der Bahnhof aus wie eine Moschee. Oder wie ein riesiger Traumfänger.»
Was Leute alles so denken, denk ich, steh auf und geh. Eine ganze Stunde ist vergangen. Meine Notizen brechen nach höchstens zwölf Minuten ab. Was ist in den restlichen 48 Minuten geschehen? Bin ich noch mich selbst? Oder jetzt erst recht?
Die Installation «Gaia Mother Tree» gibt's bis Ende Juli im Zürcher HB zu sehen.