Wer die Lage der CVP erfassen will, muss nicht lange herumstochern. Drei Zahlen reichen dafür: 11, 24 und 18. Bei 11 der 12 kantonalen Parlamentswahlen seit den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 verlor die CVP Mandate. 24 Sitze musste die Partei insgesamt abgeben, allein deren 18 waren es in ihren Stammlanden. Die Arithmetik eines elektoralen Abstiegs.
Wie gelingt der CVP die Trendwende? Und vor allem: wann? Dem Mann, der vor bald zwei Jahren das Parteipräsidium übernahm, um Antworten auf diese ewigen Fragen zu liefern, werden die Niederlagen in den Kantonen bisher nicht persönlich angelastet: Gerhard Pfister. Der Zuger Nationalrat, am rechten Flügel der CVP gestartet, will der Mittepartei ein «bürgerlich-soziales» Profil verpassen. Sie müsse deutlicher Position beziehen und sich ihrer Identität bewusst werden, lautet die Kurzfassung seiner Losung.
Befürworter wie Gegner attestieren ihm, dass er der CVP neues Selbstvertrauen eingehaucht habe. «Pfister arbeitet wie verrückt für die Partei, er ist in den Kantonen extrem präsent», sagt etwa die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Pfister selbst betont: Der Weg zu einer erfolgreichen CVP sei lang. «Ein Turnaround braucht Zeit.» Die Verluste in den Kantonen fallen in seine Schonzeit, so geht die Erzählung, die von den Spindoktoren der Partei bei jeder Gelegenheit verbreitet wird.
Nun allerdings steht die CVP vor kantonalen Wahlen, deren Ausgang sich nur schwer von der Person Pfisters abkoppeln lässt: In den nächsten Monaten werden Regierungen und Parlamente in drei CVP-Hochburgen neu bestellt. Bereits am 4. März in Obwalden und Nidwalden, am 7. Oktober dann in Pfisters Heimatkanton Zug. «Verlieren wir in der Zentralschweiz an Boden, kratzt das am Standing unseres Präsidenten», sagt ein Mitglied der nationalen Parteispitze, das nicht namentlich zitiert werden will. Bei einer Niederlage könne die Euphorie, die Pfister entfacht habe, kaum mehr aufrechterhalten werden.
Die Kantonalwahlen, sie werden für Gerhard Pfister zum Stresstest vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019. Wie wird er – wie wird die Partei – diesen meistern? Pfister ist Politikfuchs genug, um sich nicht selbst in die Fänge einer Schicksalsfrage zu manövrieren. «Die anstehenden Wahlen in den Kantonen sind wichtig für uns», sagt er betont vage. Jeder Urnengang werde mit der gleichen Ernsthaftigkeit angegangen. Es stehe aber fest: «Die CVP muss in den Kantonen den Aufwärtstrend konsolidieren.»
Konsolidieren also. In Obwalden und Nidwalden jedenfalls sieht Pfister seine Partei, kurz vor den Wahlen, «sehr gut aufgestellt». Tatsächlich ist die Ausgangslage schwer kalkulierbar (siehe Infobox). So dürfte man in der CVP bereits erleichtert aufatmen, wenn sie ihre Pfründe verteidigen kann.
Stagnation als Erfolg? Das gehört zum Dilemma einer Partei, die in ihren Stammlanden erodiert. Profitiert hat fast in allen Fällen die SVP, in der Zentralschweiz noch mehr als anderswo.
Gerhard Pfister hat einen Reformprozess eingeleitet, eine Wertediskussion angestossen. Die Befürchtungen des linken Flügels, wonach er gleich eine «konservative Revolution» durchsetzen könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Vielmehr ist es ihm gelungen, die Christdemokraten auf eine wertkonservative Linie einzuschwören.
Die pfistersche Leseart: Begriffe wie bürgerlich stünden dafür, dass die CVP mit den Werten der Schweiz verbunden sei – und nicht, dass sie rückständig sei. Ebenso bedeute das C im Parteinamen nicht, dass die CVP an ihre Politik höhere moralische Ansprüche stelle. Dass er unermüdlich das «christliche Fundament» des Landes betont, ist breit abgestützt in der ansonsten so streitlustigen Partei. Ewiges Austarieren, langatmiges Abwägen? «Wir wollen Antworten auf die Fragen der Stunde liefern», sagt Pfister. Wichtig sei, dass die CVP ihre Positionen früh und eigenständig beziehe. «Wischiwaschi»-Etiketten will er abschütteln.
Es ist ein Anspruch, der bei einer Mittepartei per Definition nicht frei von Widersprüchen ist. Zu den wenigen, die offen Mühe bekunden mit dem eingeschlagenen Kurs, gehört Babette Sigg. Die Präsidentin der CVP-Frauen hadert besonders mit dem Label «wertkonservativ». Als sie in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» kürzlich zu einem Rundumschlag ansetzte, nahmen ihr das manche übel. Sigg jedoch hält die Betonung des Konservativen für falsch. «Ich befürchte stark, dass wir mit dieser Ausrichtung keinen Blumentopf gewinnen.»
Dabei denkt sie einerseits an Wähler in urbanen Gebieten, die abgeschreckt werden könnten. Andererseits glaubt sie, dass an die SVP verlorene Wähler ohnehin nicht mehr zur CVP zurückkehren.
Von solchen Zwischentönen abgesehen, scheint die Geschlossenheit in der CVP so gross wie lange nicht mehr. Gerade aus der Zentralschweiz kommt viel Zuspruch für Pfisters Kurs. Der Obwaldner Ständerat Erich Ettlin sagt, die Basis könne sich klar damit identifizieren. «Wir setzen uns mit der Frage auseinander, wofür die CVP steht und wohin sie steuern soll. Das belebt.» In seinem Heimatkanton beobachtet er, wie Pfisters Wertedebatte in den Wahlkampf einfliesst. «Damit sind wir nahe bei den Leuten, ohne gleich ins Religiöse abzudriften.»
Gleichzeitig dürfe man nicht ignorieren, mahnt Ettlin, dass die Partei sehr föderalistisch aufgestellt sei. «Die Wähler messen die CVP letztlich an der Politik in den Kantonen.» Daran also, wo dieses Jahr auch Gerhard Pfister gemessen werden wird – unausweichlich. Der Parteichef weiss: Es müssen Resultate her. Die Schonfrist ist abgelaufen. (aargauerzeitung.ch)