Nachdem wir uns letzte Woche bereits mit der diesjährigen Empfehlungsliste von «Spiel des Jahres» befasst haben, folgt nun der zweite Teil.
Praktischerweise hat die Jury, dessen Vorsitzender ich bin, die Spiele nämlich in drei farblich voneinander unterscheidbare Kategorien eingeteilt, die ein bisschen ähnlich wie die Einteilung von Skipisten für Skifahrer funktionieren: blau, rot und anthrazit. Anthrazit steht dabei für Spiele, die sich an Leute richten, die bereits Erfahrung im Lesen und Erfassen von komplexeren Spielregeln haben.
Es sind aber keine unnötig komplizierten Spiele. Auch geübtere Familien sollten diese problemlos bewältigen können.
Sechs Spiele hat die Jury in dieser Kategorie auf ihre Liste gepackt. Drei davon sind in der Auswahl zum Hauptpreis «Kennerspiel des Jahres» nominiert, der am 23. Juli in Berlin vergeben werden wird.
Zum ersten Mal seit acht Jahren vergibt die Jury dieses Jahr aber auch wieder einen Sonderpreis, er geht an «Pandemic Legacy Season 2». Dazu muss man wissen, dass der kalifornische Spieleautor Matt Leacock schon dreimal mit Vorgänger-Spielen, die aus demselben spielerischen Grundsystem heraus entwickelt waren, nominiert war, ohne dass seine Werke jeweils den Hauptpreis gewannen:
Zudem war er auch 2010 mit dem Spiel «Im Wandel der Zeiten – das Würfelspiel – Bronzezeit» nominiert. Welches Spiel jeweils den Hauptpreis gewinnt, wird erst einen Tag vor der Preisverleihung in einer geheimen, demokratischen Wahl von den Jurymitgliedern ermittelt, ist also bis zuletzt unsicher. Ehrlich: Als Jury-Vorsitzender hätte es mir auf der Bühne schlicht das Herz gebrochen, hätte ich den Kalifornier ein fünftes Mal ohne Preis wieder nach Hause schicken müssen.
Das ist das beste Legacy-Spiel, das es bisher gibt und an dem sich alle zukünftigen Legacy-Spiele messen müssen. Es zeigt vor allem auch, wie wichtig eine spannende, passende und sinnvolle Hintergrundgeschichte für solche Spiele ist.
In Legacy-Spielen verändern sich der Spielplan, die Spielkomponenten und die Spielregeln ständig. Es werden neue Überraschungs-Boxen mit Material geöffnet, Sticker auf den Spielplan und auf Karten geklebt, Karten vernichtet. Man spielt über mehrere Partien eine Geschichte, die sich entwickelt, wie in einer TV-Serie. Hier sind es 12 bis 24 Partien.
Die Story knüpft an «Pandemic Legacy 1» an. Das Spiel kann aber auch ohne Vorkenntnisse gespielt werden. Wir befinden uns im Jahr 71 nach dem Weltuntergang. Eine Seuche verwüstete die Erde. Als Überlebende kämpfen die Spieler gemeinsam gegen die Krankheit und entdecken dabei laufend neue Gebiete auf der sich erweiternden Weltkarte. Das bereits geniale Spielprinzip wurde dabei auf Top-Niveau weiter entwickelt.
Kooperatives Legacy-Spiel von Matt Leacock und Rob Daviau für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren, Kampagne: 12 bis 24 Partien, eine Partie ca. 60 min, Z-Man Games/Asmodee, ca. 90 Franken
Was? Ein reines Würfelspiel in der anspruchsvollen Kategorie auf der Nominierungsliste? Jawohl, und selbst fleissige watson-Leser kennen es noch nicht. «Ganz schön clever» benutzt das aus Qwixx bekannte Grundprinzip: Würfel werden gewürfelt und zu Kombinationen zusammengestellt, die auf einem Notizzettel eingetragen und abgekreuzt werden.
Auch die Mitspieler sind ständig involviert, da sie fremde Würfel ebenfalls nutzen dürfen. Dabei gibt es unzählige komplexe Kombinationsmöglichkeiten, um zu einträglichen Kettenzügen und Boni zu kommen. «Ganz schön clever» ist eines von drei nominierten Spielen, die in der Endauswahl zum «Kennerspiel des Jahres» stehen.
Taktisches Würfelspiel von Wolfgang Warsch für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren, ca. 30 min; Schmidt, ca. 15 Franken
Das zweite Spiel, das noch Chancen auf den Hauptpreis hat, ist «Heaven & Ale». Also gut: Es geht hier zwar um das Brauen von Bier in mittelalterlichen Klöstern. Während des Spieles merkt man davon aber wenig, weil die Gehirnzellen dampfen und kochen. Es ist das wohl anspruchsvollste Spiel auf der Liste.
Auf einem zentralen Rundkurs ziehen die Spieler ihre Figuren über Felder, um Rohstoffe und Mönche zu ergattern, die sie klug in ihren Klostergärten platzieren. Durch geschickt ausgelöste Wertungen müssen dann Marker der fünf Rohstoffe Hopfen, Gerste, Hefe, Wasser und Holz sowie eine Braumeister-Figur auf Zählleisten möglichst weit voran gebracht werden.
Optimierungsspiel von Michael Kiesling und Andreas Schmidt für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren, 60 bis 90 min; eggertspiele, ca. 60 Franken.
Ich habe euch ja bereits eingetrichtert, dass dies ein super Spiel ist, zu dem man Nerven aus Stahl braucht, um das Risiko einzuschätzen, wann man aufhören soll, Plättchen aus seinem Zutatensack zu ziehen.
Auf dem Basar von Quedlinburg treffen sich Quacksalber und Kurpfuscher, um Tinkturen gegen Schweissfüsse und Heimweh zu brauen. Zu viele Knallerbsen im Trank bringen den Kessel jedoch zum Explodieren und alles war für die Katz. Man könnte zwar unendlich mogeln, falls die Mitspieler nicht aufpassen. Aber wenn alle ihren Sack immer sichtbar schütteln, bevor sie ein Plättchen daraus ziehen, geht das dann doch regelkonform. So viele emotionelle Schübe wie in diesem Spiel erlebt man selten. Auch Die «Quacksalber von Quedlinburg» kann noch den Hauptpreis «Kennerspiel des Jahres» gewinnen.
«Push your luck»-Spiel von Wolfgang Warsch für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren; ca. 60 min; Schmidt, ca. 40 Franken.
Und hier kommt das Deckbau-Spiel, bei dem man keinen Lärm machen darf, weil sonst der Drache aufwacht und wütend wird.
Diebe schleichen durch ein Verlies, in dem der Drache haust, um möglichst wertvolle Schätze zu klauen. Jedes Geräusch erregt aber die Aufmerksamkeit des Drachens und jedes gestohlene Artefakt bringt ihn mehr in Rage.
Dabei müssen alle auf das Verhalten der Mitspieler achten: Sobald der erste Dungeon-Held nämlich hinaus rennt, beginnt die Zeit abzulaufen, die die anderen zur Lösung der Aufgabe noch zur Verfügung haben. Nicht jeder schafft es wieder heil hinaus. Der Reichste gewinnt zum Schluss.
Deckbau-Spiel von Paul Dennen für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren, 60 bis 90 min; Schwerkraft-Verlag, ca. 80 Franken.
In diesem Spaghetti-Western eines italienischen Spieleautors versuchen die Spieler im Wilden Westen, Ortschaften mit einem Netz von Postkutschen-Strecken zu verbinden und ihre Pioniere in möglichst vielen Städten anzusiedeln.
Postkutschen gibt es in verschiedenen Grössen zu kaufen. Die unterschiedlichen Berufsgattungen der Pioniere eröffnen vielfältige taktische Möglichkeiten: Bankiers erhöhen das Einkommen, Händlerinnen ermöglichen mehr Shopping-Erlebnisse, Sergeanten helfen beim Strassenbau, Barkeeper machen andere Passagiere besoffen und Goldgräber, ja die buddeln nach Gold.
Western von Emanuele Ornella für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren, ca. 60 min, Queen Games, ca. 60 Franken.