Egal, wo und wie du zu Gange bist, du wirst mal an einen Punkt auf deiner Reise kommen, an dem du warten musst (war das gerade eine Metapher auf das Leben? Niemand weiss es). Und an genau diesem Punkt entpuppt sich der Schweizer durch seine archetypische Art zu warten. Nämlich nervös. Immer.
Die Gründe dafür sind nur zu vermuten und werden in der Fachliteratur gemeinhin in den folgenden Fragen umrissen:
Als Symptome sind hierbei vor allem Schweissausbrüche, nervöse Blicke in alle Richtungen, minütliche Kontrolle der Uhr, kontinuierliches Studieren des Fahrplans, entgeistertes Schnauben und enttäuschtes Kopfschütteln aufzuführen.
Es entspricht der helvetischen Mentalität, stets verpflegt zu sein. Selbst nach einer eineinhalbstündigen Schlemmerei am Frühstücksbuffet oder dem z'Morge-Tisch zuhause wird dafür gesorgt, dass man für alle Eventualitäten, die während der Reise auftreten könnten, gewappnet ist.
Wer jetzt denkt, dass dies in erster Linie Nahrung ist, der sieht sich getäuscht. Nein, mein Freund. Ein Schweizer auf Reisen ernährt sich nicht einfach. Er ernährt sich auch auf fremden Terrain ausgewogen.
Es folgt die bekannte Allegorie «Des Schweizers Ballast»:
«Was tust du?», fragte ich.
«Ich bin», sagte der Fremde.
«Mit all dem Ballast?», fragte ich.
«Müssigkeit der Existenz», antwortete der Fremde.
«Wieso legst du ihn nicht ab?», fragte ich.
«Er ist Teil des Weges, mein Kind», ward mir vom Fremden gesagt.
«Nur ein Weg? Wieso nicht darnieder mit dem Ballast und zu neuen Wegen aufbrechen?», fragte ich.
«Treibende Kraft des Schicksals, kleiner Narr», liess ich mich belehren.
«Nein, jetzt im Ernst, was willst du mit all diesen leeren PET-Flaschen und der zerknüllten Alufolie?», fragte ich.
«Wie will ich Gut von Böse trennen, wenn ich nicht mal PET von Alu trennen kann?», fragte der Fremde zurück.
«Ah, au Schwiizer, hä?», fragte ich.
Mein Freund lächelte. Endlich.
Und wir setzten uns zum Fondue in der sengenden Hitze Punta Canas nieder und frönten dem Fendant, während wir zum Jodel-Gesang von Tracht-tragenden Landsleuten unsere Uhren abglichen und uns gegenseitig Geld auf dubiose Bankkonten überwiesen.
Auch wenn sich über Geschmäcker streiten lässt (oder eben nicht?), so haben sich über die Jahre einige grundlegende Muster eingependelt, was die textile Ausprägung der Schweizer Mentalität betrifft – hier vereinfacht zusammengefasst in einer Grafik:
Was bei anderen Nationen oder Kulturen eine ausgeprägt charmante Ausstrahlung, eine ganz spezifische Art sich zu bewegen oder eine eigene Form der Gestik ist, ist beim Schweizer der Umgang mit dem Sackmesser.
In einer globalisierten Welt steht es dem Schweizer sicherlich nicht zu, alleiniges Anrecht auf den Besitz eines Sackmessers zu proklamieren, jedoch ist der unglaublich selbstverständliche, vertraute, ja, harmonische Umgang damit über die Jahre Teil seiner DNA geworden. Das Sackmesser scheint Sinnesextension manchen Schweizers zu sein.
In dieser Hinsicht verraten sich Eidgenossinnen und Eidgenossen ennet der Grenze nur, wenn sich Unrechtmässiges innerhalb ihres Wahrnehmungshorizonts zuträgt.
Während andere lautstark die Ungerechtigkeit oder das Fehlverhalten anderer anprangern, strebt der Schweizer ein höheres Gut an: Harmonie. Siehst du also zähneknirschende Individuen, die apathisch lächeln, während sie beim Anstehen übergangen werden, kannst du ihnen getrost zuflüstern «Gälledsi, das isch e Frächheit».
Die Schweiz ist eine Willensnation. Kunterbunt zusammengewürfelt, mit diversen kulturellen Einschlägen gespickt und quadrilingual bestückt. Was uns eint, ist der Glaube an das weisse Kreuz im roten Quadrat.
Dieser Wille zur Zusammengehörigkeit wird dann ans Tageslicht befördert, wenn im Ausland beispielsweise Schweizerdeutsch gesprochen wird.