Ehe man sich's versieht, steht wieder der EsC vor der Tür! Oder anders ausgedrückt, zum Erstaunen aller steht Eurovision vor der Tür. Denn die meisten Musik-Massenveranstaltungen für 2021 wurden und werden abgesagt. Dass man ausgerechnet den grössten TV-Musik-Event der Welt durchzieht, erstaunt doch sehr. Versuchen wir also, ein paar Fragen zu beantworten. Und ein paar Song-Tipps zu liefern, natürlich!
Der 65. Eurovision Song Contest findet in Rotterdam statt; und zwar ...
In Rotterdam, weil die Niederlande den Eurovision Song Contest 2019 gewannen mit Duncan Laurence und seinem Song «Arcade»:
Mögt ihr euch erinnern? Wir uns auch nicht.
Ist ja auch schon zwei Jahre her. Da die Veranstaltung 2020 wegen der COVID-19-Pandemie abgesagt wurde, macht man nun dort weiter, wo man zuletzt aufgehört hatte.
ABER: Im März 2020 entschied die Europäische Rundfunkunion EBU, dass die Lieder, die ursprünglich für 2020 ausgewählt wurden, nicht für 2021 nochmal eingereicht werden dürften. Es war den Rundfunkanstalten der teilnehmenden Länder aber überlassen, ob derselbe oder ein anderer Künstler für den ESC 2021 ausgewählt werde. Die russischen Little Big, zum Beispiel, werden also nicht mit ihrem Song «Uno» antreten können:
Schade.
Viele Länder – etwa auch die Schweiz – schicken aber denselben Act, bloss mit einem neuen Song. Mitunter wird ‹neu› aber eher lose definiert. Aserbaidschan galt 2020 als Favorit mit ihrem Track «Cleopatra». 2021 sind sie nochmals mit Sängerin Samira Efendi am Start mit dem haargenau gleichen Song, nur diesmal heisst der Song «Mata Hari».
Da im Herbst 2020 weiterhin Ungewissheit über die Durchführung des Song Contests herrschte, veröffentlichte im September 2020 die EBU vier mögliche Szenarien, wie der Wettbewerb 2021 doch stattfinden könnte:
Der Entscheid ist gefällt: Szenario B, beziehungsweise eine aktualisierte Version davon.
Schwierig, zu beurteilen, ob die Aufmerksamkeitsspanne seit dem Release von Will Ferrells Komödie «Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga» im Juni 2020 bis heute noch andauert. Fakt ist, dass der Film einem bisher weitgehend ahnungslosen Nicht-EBU-Publikum ausserhalb Europas erstmals einen Einblick in den Wahnsinn namens Eurovision gab.
Wohl aber dachten die meisten Eurovisions-Unkundigen, der Streifen sei eine krasse komödiantische Übertreibung. Wir aber wissen, dass ... ach, seht selbst, der Ukrainer Beitrag von 2014:
Es wird sich zeigen, ob Eurovision 2021 markant mehr Zugriffe aus Nicht-EBU-Staaten haben wird. Wir sind gespannt.
Tja, mit den Favoriten ist es immer so eine Sache. Und mit «eine Sache» meinen wir: Im Vorfeld als Favorit gehandelt zu werden, bedeutet wenig bis gar nichts. Trotzdem gibt es auch dieses Jahr die von Umfragen und Wettbüros gehandelte Besten-Listen. Und dort führt gerade *reibt sich die Augen* ... Frankreich?
Wow. Frankreich, das bekanntermassen stets The Most French Things Ever ins Rennen schickt und danach erstaunt ist, dass sie genau niemanden ausser den Franzosen interessieren, präsentiert heuer ... The Most French Thing Ever. Mit einem klitzekleinen Unterschied zu den Vorjahren:
Es ist Hammer.
Ob Barbara Pravis Old-School-Chanson tatsächlich im Final reüssiert, steht dennoch in den Sternen. Bekanntlich kommen noch viele andere Variablen ins Spiel – nationale Allianzen, etwa, von denen ausgerechnet The Big Five (die Länder, welche die Hauptgeldgeber der EBU sind – Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Spanien) so gut wie keine haben. Doch Madame Pravi könnte hier ein Ass in der Hand halten: Bürgerlich heisst sie nämlich Barbara Piévic, da sie serbischer Abstammung ist. Ob sie von einem Balkan-Bonus profitieren könnte? Es wird spannend.
Knapp dahinter liegt Malta:
Oh ja. Das ist eindeutig urtypischer ESC-Stoff. Ein buntes Sammelsurium an gay-friendly Vibes, lustigen Kostümen, Dance Beats und souliger Powerstimme. Dazu etwas Body Positivity und Feminismus Light. Alles super. Wenn da nicht bloss der bittere Nachgeschmack wäre, dass diese Herangehensweise so was von berechnend und anbiedernd sich anfühlt. Kommt noch dazu, dass die Musik selbst, die (ebenso berechnend) von einem angemieteten hochkarätigen schwedisch-englischem Team geschrieben und produziert wurde, ein bisschen vergessenswert ist. Trotzdem: Das gibt garantiert eine grossartige Performance. Und Gegensätze, wie sie der französische Zigaretten-zum-Znacht-Chanson einerseits und die maltesische Castingshow-Lizzo andererseits darstellen, machen das Rennen erst spannend. Es gibt etliche Beispiele dafür, dass beim ESC Form über Inhalt obsiegte – und umgekehrt. 2018 gewann Israels farbenfrohe Netta mit einem hyperaktiven Feuerwerk namens «Toy», ein Jahr vorher der introvertierte Portugiese Salvador Sobral mit dem filigranen «Amar Pelos Dois». Anything goes.
Die Schweiz erarbeitet sich den dritten Platz in der Favoritenliste, das macht sie!
Ja, kaum zu glauben, aber die Schweiz ist einer der Favoriten. Gjon's Tears nennt sich der Herr (oder ist das der Bandname?) und es sieht sehr danach aus, als würde die Schweiz versuchen, die Franzosen in ihrem eigenen Spiel zu schlagen: Einen éxistentialiste im schwarzen Rollkragenpulli ennui raushängen lassen und so ... doch, halt! Verkehrsdurchsage! Autounfall auf der Passstrasse! Und dann noch etwas Universum und ehe man sich's versieht, befinden wir uns in einem Actioncam-Demovideo mit Autowerbung versetzt. Aber letztlich ist der Videoclip unwichtig, denn der Auftritt in Rotterdam wird matchentscheidend sein. Gjon's Tears Voice ist beeindruckend und die Melodie sphärisch und schwebend und der ganze Ausflug ins «Tout l’Univers» irgendwie eben schonogeil. Ob Esoteric Swiss Existentialism sich gegen Sexy French Depression durchsetzen wird? Mann, wird der diesjährige Song Contest gut!
Aber es sind ja nicht nur Favoriten, die ein Song Contest unterhaltsam machen. Wenn wir ganz ehrlich sind, gefallen die WTF-Momente genauso, wenn nicht mehr. Heuer wären zu erwähnen:
Ohne Sch*** jetzt: Die ukrainische Band Go_A hat ihr Video im berühmtesten Ort der Ukraine gedreht ... in Tschernobyl.
Oh ja. Armenien verzichtet auf eine Teilnahme aufgrund innerpolitischen Querelen und Protesten in der Folge der des Kriegs um Bergkarabach.
Und dann wäre noch unser aller Weissrussland. Diktator Lukaschenkos staatliche Rundfunkanstalt BTRC nominierte die Gruppe Galasy ZMesta als Vertreter für Rotterdam. Wohl weil der Song «Ya nauchu tebya» (I'll Teach You) unmissverständlich kritisch gegenüber den Anti-Lukaschenko-Protesten äussert. Schmankerl gefällig? Bitte sehr:
I'll teach you to dance to the tune
— Star Spangled Eurovision (@SSE_Pod) March 9, 2021
I'll teach you to take the bait
I'll teach you to walk the line
And you'll be satisfied, happy with everything
I'll write special music for you
I'll give you the whole world on a platter
I'll turn your sorrows into jokes
And you'll feel better pic.twitter.com/QB8qSW1mTh
Dir bringe ich schon noch bei, dich gegen die Regierung zu stellen! Und du wirst mir dankbar sein!
Die European Broadcasting Union forderte den BTRC dazu auf, den Text des Liedes zu verändern oder einen neuen Titel einzureichen, da er «politisch und moralisch nicht vertretbar» sei. Doch auch das zweite «Lied Pesnyu pro zaytsa» (Song About A Bunny) entsprach nicht den Regeln, weshalb am 26. März die EBU Weissrussland für 2021 disqualifizierte.
Wenn das nicht spannend wird! Grossartige Chansons! Peinliche Performances! Deftige Politskandale! Eurovision 2021 wird grossartig. Fehlt eigentlich nur noch ...
Oh ja. Zwei Mal.
Und zwar am
und natürlich am
Wohl werden wir an beiden Tagen etwas vor 21 Uhr schon live gehen. Macht alle mit! Es gibt Trinkspiele, und ihr könnt wacker mitkommentieren und es wird super. See you then!