Es war ein seltsames Spiel gestern Abend in der Münchner Allianz Arena. Die Bayern hatten im Hinspiel des Champions-League-Halbfinals gegen Real Madrid eigentlich alles im Griff und verloren am Ende doch mit 1:2.
Zum 19. Mal seit der Jahrtausendwende duellierten sich die beiden europäischen Schwergewichte in der Königsklasse, meistens waren es Begegnungen auf Augenhöhe. Diesmal nicht. Noch nie zuvor konnten die Bayern ihren Dauerrivalen so sehr dominieren wie gestern: 17:7 Torschüsse, 10:3 Ecken, 8:15 Fouls, 57 Prozent Ballbesitz.
Doch die Bayern machten aus ihren rund zehn Grosschancen nur ein Törchen. Real dagegen traf zweimal – und brauchte dafür nur eineinhalb Torchancen. Kein Wunder, haderten die Münchner nach dem Schlusspfiff mit ihrem Schicksal.
Auch die spanische Presse rieb sich nach Reals schmeichelhaftem Hinspiel-Triumph verwundert die Augen.
17:7 Torschüsse und Grosschancen en masse. Die Bayern hätten tatsächlich 7:2 gewinnen können – doch sie sündigten immer wieder im Abschluss. Allein Franck Ribéry, der auf dem linken Flügel den bemitleidenswerten Dani Carvajal mal für mal schwindlig spielte, hätte vier Tore (34./59./63./69. Minute) erzielen können. Doch der Dribbelkönig schaffte es wie Thomas Müller und Robert Lewandowski, beste Gelegenheiten noch zu versemmeln. Seit drei Jahren wartet er jetzt auf ein Champions-League-Tor.
Ganz anders Real: Die Königlichen nutzten die individuellen Fehler in der Bayern-Abwehr eiskalt aus. Beim 1:1-Ausgleich kurz vor der Pause profitierte Marcelo von einem Schnitzer Javi Martinez' und in der 56. Minute verlor Rafinha vor Marco Asensios 2:1 fahrlässig den Ball.
Nebst den vergebenen Torchancen mussten die Bayern vor der Pause noch weitere Nackenschläge verkraften. Arjen Robben, der gegen seinen Ex-Klub bis in die Zehenspitzen motiviert war, blieb bereits früh mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen sitzen und humpelte in der achten Minute unter Tränen vom Feld. Er soll sich an der Leiste verletzt haben.
Nach etwas mehr als einer halben Stunde erwischte es Jérôme Boateng, der sich gemäss einer ersten Diagnose eine schwere Muskelverletzung zugezogen haben soll. Ihm droht eine Pause von vier bis sechs Wochen, damit ist sogar die WM in Gefahr.
Zu guter Letzt musste in der 75. Minute auch noch Javi Martinez angeschlagen vom Platz. So stand beim Schlusspfiff ein Team ohne die verletzten Manuel Neuer, Kingsley Coman, Arturo Vidal, David Alaba, Robben, Boateng und Martinez auf dem Feld. Und trotzdem hätten die Bayern fast gewonnen.
Update: Diagnosen bei @JB17Official, @ArjenRobben & @Javi8martinez.
— FC Bayern München (@FCBayern) 26. April 2018
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Und wo war eigentlich Cristiano Ronaldo? Der Real-Superstar, der zuletzt in zehn aufeinanderfolgenden Champions-League-Spielen getroffen hatte, blieb blass wie selten. Zwischendurch musste man sich gar fragen, ob der Portugiese überhaupt auf dem Platz stand. Nur 28 Mal berührte er in 90 Minuten den Ball.
Seine lange Zeit auffälligste Szene hatte CR7 kurz nach der Pause, als er von links nach innen zog und aus gut 20 Metern abzog. Sein Schuss landete allerdings im Seitenaus und wurde vom Münchner Publikum höhnisch beklatscht. Ob dieser Abschluss als einer seiner beiden Torschüsse gewertet wurde, ist nicht ganz klar.
Statt Ronaldo sorgten andere aus dem königlichen Star-Ensemble gestern für Spektakel. Und zwar so:
Auch der zweite Starstürmer, der gestern auf dem Platz stand, enttäuschte auf ganzer Linie. Bayern-Trainer Jupp Heynckes echauffierte sich am Tag vor dem Spiel noch darüber, wieso alle Welt immer nur über Ronaldo spricht. «Man könnte ja auch mal fragen, wie Lewandowski zu stoppen ist», so Heynckes. Schliesslich habe der Pole in dieser Saison auch schon 39 Pflichtspieltore erzielt.
Seinem Selbstverständnis – zu den ganz Grossen im Fussball zu gehören – wurde Lewandowski gestern aber einmal mehr nicht gerecht. Wie schon so oft in wichtigen Bayern-Spielen tauchte der Pole, der mal wieder mit einem Wechsel zu Real Madrid kokettiert, völlig ab. Klar, er schirmte den Ball gut ab, war nur schwer von diesem zu trennen und arbeitete für sich und seine Nebenmänner Chancen heraus. Doch ein ganz Grosser ist da, wenn es zählt und erzielt seine Tore, wenn sein Team sie am meisten braucht. Und das macht Lewandowski nicht.