Der Blick auf den Medaillenspiegel zeigt: Die Schweiz war an der WM in St.Moritz mit dreimal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze die zweiterfolgreichste Nation. Der Sieg ging knapp an Erzrivale Österreich – nur dank Superstar Marcel Hirscher, der nach Riesenslalom- auch noch Slalom-Gold gewann, wurden wir im letzten Moment noch von der Spitze verdrängt.
Da tut das verletzungsbedingte Aus von Lara Gut gleich doppelt weh. Schliesslich zählte sie in der Abfahrt und auch im Riesenslalom zu den Favoritinnen. Es wäre also noch mehr möglich gewesen.
Vielleicht wäre Rang 1 im Medaillenspiegel aber auch des Guten zu viel gewesen. Vor der WM hatten nicht die kühnsten Optimisten mit so einer Edelmetall-Ausbeute gerechnet. Vielmehr wurde allenthalben gehofft, dass Lara Gut doch hoffentlich ein mögliches Debakel verhindern möge.
Doch vom heimischen Publikum befeuert und von der tollen Atmosphäre in St.Moritz angesteckt, wuchsen die Swiss-Ski-Athleten über sich hinaus und nutzten die Gunst der Stunde. St.Moritz 2017 ist die erfolgreichste WM seit Vail 1989, als sich das goldene Schweizer Ski-Jahrzehnt dem Ende entgegen neigte.
Über den unerwarteten Medaillenregen darf und soll man sich freuen, er darf aber auch nicht überbewertet werden. Vier der sieben Medaillen holten die Schweizer in der Kombination. Also in der Disziplin, die den deutlich geringsten Stellenwert im alpinen Ski-Rennsport hat.
Im Weltcup werden in dieser Saison nur gerade fünf Kombinationen ausgetragen. Dass Swiss Ski anders als viele andere Nationen viel Wert auf die Kombi legt, ist im Hinblick auf Weltmeisterschaften und Olympia aber durchaus ein geschickter Schachzug. Denn auch eine Kombi-Medaille ist eine Medaille und nimmt als solche den Druck, in den restlichen Disziplinen dringend «punkten» zu müssen.
Aber zurück zu Ausgangsfrage: Ist die Schweiz nun wirklich die Nummer 2? Betrachtet man den Zwischenstand im Weltcup lautet die Antwort: Nein, nicht ganz. Italien liegt nach zwei Dritteln der Saison dank breiteren Kadern fast 1000 Punkte vor der Schweiz. Leader Österreich ist wie seit Jahren bereits ausser Reichweite.
Auffällig ist dabei, dass die Schweiz mehr als andere Nationen von ihren Top-Athleten abhängig ist. Die 16 Podestplätze bei den Frauen teilten sich Lara Gut (9) und Wendy Holdener (6) fast allein auf. Nur Michelle Gisin stand in diesem Winter auch noch auf einem Weltcup-Podest – natürlich in der Kombination (in Val-d'Isère).
Bei den Männern fuhr Abfahrtsweltmeister Beat Freuz zwei der vier Podestplätze des Winters heraus. Der einzige Sieg geht auf das Konto von Niels Hintermann, der ziemlich glücklich in der Super-Kombination – wo sonst?! – von Wengen triumphierte. Daneben fuhr einzig Carlo Janka in Alta Badia in der eher belächelten als akzeptierten Disziplin Parallel-Riesenslalom aufs Podest.
Die Antwort ist eine Gegenfrage: Warum eigentlich nicht? Ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang lässt sich sagen: Swiss Ski befindet sich auf einem vielversprechenden Weg. Der Verband hat die Vorarbeit geleistet, die Athleten haben den Steilpass angenommen und sind teilweise über sich hinausgewachsen. Mit vielversprechendem Blick darf jetzt nach vorne geschaut werden.
Bei den Frauen führen mit Lara Gut (25), die sich im nächsten Februar von ihrem Kreuzbandriss erholt haben wird, und Wendy Holdener (23) zwei absolute Spitzenfahrerinnen im Speed- und Technikbereich ein junges, hoffnungsvolles Team an. Von ihnen wird olympisches Edelmetall erwartet.
Mit Michelle Gisin (23), Mélanie Meillard (18), Corinne Suter (23) und Simone Wild (23) haben sich in dieser Saison im Sog von Gut und Holdener vier weitere Athletinnen im Weltcup etabliert. Dahinter lauern die jungen Wilden: Jasmina Suter (21), Rahel Kopp (22), Camille Rast (17) und Aline Danioth (18), die die WM aber wie Charlotte Chable (22) wegen einer Verletzung verpasste.
Und vielleicht hängt ja Team-Seniorin Fabienne Suter (32) noch eine Saison an und versöhnt sich in Südkorea endlich mit den Grossanlässen. Mehrmals schrammte sie an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen schon am Podest vorbei, ihre einzige Medaille holte sie 2007 an der WM in Are mit der Mannschaft.
Bei den Männern sieht die Lage nicht ganz so rosig wie bei den Frauen. Im Speed-Bereich liegen die Hoffnungen nach wie vor auf den Schultern des Trios Beat Feuz (30), Carlo Janka (30) und Patrick Küng (33). Von hinten macht momentan keiner richtig Druck auf die Teamleader. Niels Hintermann (21) und Kombi-Bronze-Gewinner Mauro Caviezel (28) hinken deutlich zurück.
In den technischen Disziplinen klafft schon seit längerer Zeit ein grosse Lücke zur Weltspitze. Im Slalom hat sich mit Daniel Yule (23), Kombi-Weltmeister Luca Aerni (23), Ramon Zenhäusern (24) und Junioren-Weltmeister Reto Schmidiger (24) ein Team formiert, das bald erste Podestplätze einfahren könnte. Yule war mit einem 4. Platz in Zagreb bislang am nächsten dran.
Das grosse Sorgenkind bleibt der Riesenslalom. Doch auch da gibt es Licht am Ende des Tunnels. Justin Murisier (25), der in seiner Karriere schon zweimal von einem Kreuzbandriss aus dem Tritt geworfen wurde, kommt immer besser in Schwung. Neben ihm besitzen auch Junioren-Weltmeister Marco Odermatt (19) und Loïc Meillard (20) in der Grundlagen-Disziplin über viel Potenzial. Olympia kommt für sie – wie für viele andere Swiss-Ski-Küken – vielleicht noch etwas früh. Aber dennoch dürfen die Schweizer Ski-Fans optimistisch in die Zukunft schauen.