Gänsehaut-Stimmung im Stade de Suisse. Im sechsten und letzten Auftritt in der Champions League holen die Young Boys die Sterne vom Himmel. 2:1 schlagen sie Juventus Turin, einen der ganz grossen Favoriten auf den Sieg in der Königsklasse. Und das in einem Spiel, das die Turiner eigentlich unbedingt gewinnen wollten. Schliesslich stand für sie der Gruppensieg auf dem Spiel.
Logisch, die Gäste treten nicht mit ihrer besten Mannschaft an. Klar, YB hat Glück. Zweimal trifft Superstar Ronaldo den Pfosten, einmal rettet die Latte für Marco Wölfli, der bei diesem letzten Auftritt in der Königsklasse im Tor steht. Sekunden vor Schluss gleicht Dybala mit seinem zweiten Treffer aus. Doch der Schiedsrichter annulliert den Treffer wegen eines Abseits von Ronaldo. Ein richtiger Entscheid. Kurz darauf ist es überstanden. YB schlägt Juventus, ein letztes Mal Freudentaumel in Bern. Ein Abschied mit Ausrufezeichen von der grossen Bühne. Die Champions League war für YB das Sahnehäubchen.
Was bleibt von der Berner Premiere in der Champions League? Die Euphorie der YB-Anhänger. Vom ersten bis zum letzten Spiel war für sie die Kampagne ein Fest. So etwas wie das Sahnehäubchen auf die Torte, die sich das Team im Frühling unter den Nagel gerissen hat. Mit diesem Knall, dieser Gefühlseruption im Heimspiel gegen Luzern, dem ersten Meistertitel nach 32 Jahren. Alle Heimspiele ausverkauft. Unvergesslich auch die gelbe Wand in Manchester.
Zugleich musste die Mannschaft Lehrgeld bezahlen. Vor allem in den ersten beiden Spielen gegen Manchester United in Bern und gegen Juventus in Turin. Zweimal taucht YB, zweimal 0:3, zweimal keine Chance. Im Heimspiel gegen Valencia sind die Young Boys phasenweise drückend überlegen, trotzdem müssen sie sich mit einem 1:1 begnügen. Viel zu wenig für den Aufwand, den sie betreiben.
Die letzte Chance auf ein europäisches Überwintern verspielen die Berner beim 0:1 in Manchester – auch wenn das Tor von Fellaini nicht hätte zählen dürfen. Im Nachhinein weiss man: Auch ein Unentschieden hätte nichts gebracht, weil Valencia im letzten Spiel United bezwingt.
Es wäre vermessen gewesen, in dieser Gruppe ein Weiterkommen zu erwarten. Obschon diese Berner Mannschaft eine der stärksten ist, die der Schweizer Fussball je gesehen hat. Aber dieses «Dream Team» wurde vermutlich in die schwierigste Gruppe gelost, in der je ein Schweizer Team gespielt hat. Trotzdem: Es wäre mehr möglich gewesen. Das hat YB im letzten Spiel gegen Juventus gezeigt. Erstmals gelingt es den Bernern, in dieser Kampagne in einem Spiel vorzulegen. Und prompt bescheren sie dem Schweizer Fussball eine weitere Sternstunde. Gegen einen der Topfavoriten auf den Sieg in der Königsklasse, gegen das Juve von Ronaldo.
Es war ein grosses, dickes Dankeschön dieser Mannschaft an ihre Fans. Für den einen oder anderen Spieler wird es auch so etwas wie ein Adieu gewesen sein. Kevin Mbabu, Djibril Sow oder Roger Assalé – YB wird in dieser Winterpause wohl den einen oder anderen Publikumsliebling verlieren. Nachdem der Transfermarkt im Sommer – wegen der durch die WM verkürzten Pause – erstaunlich ruhig blieb, rechnet Sportchef Christoph Spycher mit einem hektischen Winter. Als Trost wird es den Bernern die eine oder andere Million in die Kasse spülen.
Investieren die Young Boys geschickt und haben sie ein bisschen Glück bei der Auslosung, scheint eine neuerliche Champions-League-Teilnahme 2019 kein Ding der Unmöglichkeit. Auf lange Frist aber wird die Sternen-Liga zur Sehnsuchtsliga für Schweizer Klubs. Ohne Exploit des FC Zürich droht die Schweiz in der UEFA-5-Jahreswertung aus den Top 15 zu fallen. Der Weg in die Königsklasse würde selbst für den Schweizer Meister noch steiniger. Also geniessen wir diese Sternstunde für den Schweizer Fussball. Mehr dürften es künftig kaum werden.