Ein Penalty-Treffer, ein direkt verwandelter Freistoss und ein Tor nach einem Eckball – beim 2:1-Sieg von Japan gegen Kolumbien fielen alle Tore nach einem ruhenden Ball. Nicht zum ersten Mal an dieser WM ...
Im langjährigen Schnitt fallen in einer Liga zwischen 25 und 33 Prozent der Tore nach einer Standardsituation: nach Penaltys, Freistössen, Eckbällen, Einwürfen. An der WM 2018 ist die Quote solcher Tore deutlich höher. Nach 15 Partien liegt sie bei deutlich über 50 Prozent. 19 der bisher 35 Treffer (Stand: nach Kolumbien – Japan) fielen nach einem ruhenden Ball.
Zum Vergleich: An der WM vor vier Jahren fielen lediglich 22 Prozent der Tore nach Standards (38 von 171 Toren). Drei Freistösse wurden 2014 direkt verwandelt – diese Zahl ist bereits jetzt übertroffen worden. Portugals Cristiano Ronaldo, der Serbe Aleksandar Kolarov, der Russe Alexander Golowin und der Kolumbianer Juan Quintero trafen per Freistoss. Zudem gab es sieben Penalty-Treffer.
Gerade die «kleinen» Teams wissen um den grossen Stellenwert der Standards und legen ein Augenmerk darauf. Bestes Beispiel ist die Schweiz. Die Nati ahnte, dass sie gegen Brasilien aus dem Spiel wohl nur zu wenigen Chancen kommen würde. Sie wusste auch, dass deshalb Standardsituationen in Tornähe eine gute Möglichkeit darstellen, um zu treffen. Und so kam es denn auch: Steven Zuber köpfte einen Eckball von Xherdan Shaqiri zum 1:1-Endstand ins Netz.
Ein Eckball oder ein Freistoss in der gegnerischen Platzhälfte sind wie Bonus-Kugeln im Flipperkasten: Wenn du gut bist, kannst du etwas mit ihnen anfangen. Wenn nicht, ist zwar nichts passiert, aber du hast den Bonus leichtfertig vergeben.
Dass der Anteil der Standardtore an der Gesamtzahl so hoch ist, hat für Statistik-Guru Ted Knutson auch den Grund, dass die Teams an einer WM mit weniger Risiko spielen und es tendenziell weniger Aktionen aus dem Spiel heraus gibt. Der Besitzer der Datenfirma StatsBomb erwartet, dass der Anteil Standardtore im Verlauf dieser WM noch sinken wird.
Knutson fordert schon lange, dass die Klubs mehr Zeit ins Trainieren von Standards investieren. Er arbeitete für den dänischen Klub Midtjylland, der 2014/15 überraschend Meister wurde. Auch, weil die Besitzer den Fussball radikal anders angingen als üblich. Das Spiel wurde statistisch analysiert, in Einzelteile zerlegt und neu zusammengefügt. Midtjylland erzielte 45 Prozent seiner Tore nach Standards.
Knutson rechnete vor, dass ein Team mit fleissigem Training seine Ausbeute von durchschnittlich 0,3 Standardtoren pro Spiel auf 0,75 steigern kann. Auf die Saison hochgerechnet sind das 15 Tore mehr – eine ganze Menge.
Bei YB scheint die Botschaft angekommen zu sein, wie das Institut CIES herausgefunden hat. Kein anderes Team in den besten 31 Ligen Europas hat eine bessere Quote als die Berner, wenn man die Tore zählt, die in den zehn Sekunden nach einem Freistoss fallen. Alle 277 Minuten skorte YB auf dem Weg zum Meistertitel auf diese Weise. Die Young Boys schossen sieben Tore mehr, als sie nach Freistössen gegen sich kassierten. Ein Wert, den in den fünf Top-Ligen nur Barcelona erreichte.
Ehemalige Spieler erzählen als TV-Experten gerne davon, wie die Welt früher war. Experten wie der Quereinsteiger Ted Knutson arbeiten lieber an der Fussball-Welt von morgen. Schon jetzt gilt ein Klub als rückständig, wenn er sich nicht mehr oder weniger ausgiebig mit «Big Data» und deren Analyse auseinandersetzt.
Die WM 2018 in Russland mit ihren vielen Standardtoren könnte dafür sorgen, dass sich noch mehr Klubs noch ausführlicher damit beschäftigen. Und wenn dann alle wieder gleich gut sind bei Eckbällen und Freistössen, beginnt die Suche nach einem neuen Detail, das den Unterschied ausmachen kann.