Sport
Beat Feuz

Der Mythos Hahnenkamm

DIE SCHWIERIGSTE ABFAHRT DER WELT

Der Mythos Hahnenkamm

Man sagt, sie sei nichts für Familienväter. Nirgends geht der Puls gestandener Abfahrer so hoch wie hier. Die Sieger schreiben in Kitzbühel Geschichte – vor allem aber auch die Opfer, welche die wilde Streif Jahr für Jahr abwirft.
17.01.2014, 16:1025.01.2014, 10:36
Ralf Meile
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«Am Start habe ich in die Hosen geschissen. Und im Ziel habe ich ein Gefühl gehabt wie beim Orgasmus.»
Der Österreicher Hannes Reichelt über seine Premiere auf der Streif.

Die Streif ist anders als alle anderen Weltcup-Abfahrten. Gleich nach dem Start die Mutprobe namens Mausefalle. Beinahe überhängend, ein Gefälle von 85 Prozent an der steilsten Stelle. Bis zu 80 Meter weit springen die Abfahrer hier.

«Wer sich von den Neulingen getraut, am Start drei Mal mit den Stöcken anzugeben, dem zahle ich ein Bier», posaunt Routinier Daniel Mahrer im Januar 1996. Ein unbekannter Neuenburger namens Didier Cuche schluckt leer. «Ich zog es damals ernsthaft in Betracht, mit der Gondel ins Tal zu fahren. Doch irgendwann hatten mich die Trainer so weit, dass ich dann doch startete.»

«So weiss im Gesicht könnt ihr aber nicht an den Start, ihr müsst zuerst ins Solarium», tönt Mahrer weiter, als er die bleichen Gesichter der Nachwuchsfahrer sieht. 44. wird Didier Cuche bei seiner ersten (Trainings-)fahrt auf der Streif. Im Ziel reisst er die Arme in die Höhe wie ein Sieger. Nur zwei Jahre nach der Première steht der gelernte Metzger tatsächlich zuoberst auf dem Podest. 1998 feiert Didier Cuche einen von insgesamt 19 Schweizer Siegen am Hahnenkamm von Kitzbühel.

Diese Schweizer haben auf der Streif triumphiert:

Hahnenkamm oder Streif?
Die Abfahrt in Kitzbühel kann mit beiden Namen bezeichnet werden. Der Hahnenkamm ist der Berg, an dem das Rennen ausgetragen wird. Streif ist der Name der Abfahrtspiste. 

Die weiteren Schweizer Abfahrtssieger in Kitzbühel sind Willi Forrer im Jahr 1962, Bernhard Perren (1953) und Walter Prager (1932).

Hinzu kommen total vier Siege in Slalom, Riesenslalom und Super-G; sechs Erfolge in der traditionsreichen Hahnenkamm-Kombination und vier Siege bei Damenrennen, die in Kitzbühel zwischen 1932 und 1961 ausgetragen wurden.

«Das wär's, hier einmal zu gewinnen»

Didier Cuche musste 1997, ein Jahr nach seiner Kitzbühel-Première, verletzt auf einen Start verzichten. Mit einem doppelten Unterschenkelbruch stand er damals im Zielraum, schaute sich das Rennen an und dachte «Das wär's, hier einmal zu gewinnen.»

Am 23. Januar 1998 ist es soweit. Aus dem Nichts gewinnt Didier Cuche sein erstes Weltcuprennen, nachdem er zuvor stets bloss hinterher fuhr.

Der «Blick» über den jungen Cuche

Bild

Die Abfahrt fand damals auf einer verkürzten Strecke und in zwei Läufen statt. Im ersten Lauf stellte Cuche die Bestzeit auf. Danach ging er ins Hotel, wo er eine Suppe ass und sich ins Bett legte. «Plötzlich begann ich vom Siegen zu träumen», erzählte er nach der Siegerehrung. «Ich wurde nervös wie noch nie. Und dann wurde ich wütend auf all die Besserwisser und Plauderi, die sich nach der Lauberhorn-Schlappe wichtig gemacht haben. Denen wollte ich es zeigen.»

Cuche zeigte es ihnen. Er verteidigte die Führung aus dem ersten Lauf und gewann vor den drei Franzosen Nicolas Burtin, Jean-Luc Crétier und Adrien Duvillard. Tags darauf bestätigte er seine Leistung mit Rang 2 hinter Kristian Ghedina – die Liebe zur Streif war entdeckt.

4 Abfahrtssiege in «Kitz» sorgten dafür, dass Franz Klammer bis heute einer der populärsten Sportler Österreichs ist. 
4 Abfahrtssiege in «Kitz» sorgten dafür, dass Franz Klammer bis heute einer der populärsten Sportler Österreichs ist. Bild: AP

Die Legende Klammer überflügelt

Es sollte zehn Jahre dauern bis zu Cuches nächstem Triumph. Doch ab da war er der Chef auf der schwierigsten Abfahrtspiste der Welt: Sieg 2008, Sieg 2010, Sieg 2011, Sieg 2012.

Kein anderer hat auf der Streif fünf Mal die Abfahrt gewonnen. Mit seinem letzten Sieg überflügelte Didier Cuche die österreichische Legende Franz Klammer, die in Kitzbühel vier Mal siegen konnte. Auch Klammer geriet als Jungspund ins Zittern bei der ersten Begegnung mit der Streif:

«Als Nachwuchsfahrer habe ich gedacht: Da will ich einmal runterfahren. Dann war ich das erste Mal im Starthaus. Und hatte die Hosen voll. Und einfach nur Angst.»
Franz Klammer, Olympiasieger und Weltmeister
Daniel Albrecht wird nach seinem Horrorsturz abtransportiert.
Daniel Albrecht wird nach seinem Horrorsturz abtransportiert.Bild: EPA

Überschläge und Schädelbrüche

Die Angst fast jeden Fahrers vor dem ersten Start in Kitzbühel kommt nicht von ungefähr. Schon einige Karrieren sind hier zu Ende gegangen. «Jungen Fahrern wird hier am ersten Tag manchmal geraten, dass sie im Hotelzimmer nicht zu viel auspacken sollen, denn am andern Abend seien sie sowieso nicht mehr hier», erzählte Routinier Cuche 2008.

Eine Aussage, die im darauf folgenden Jahr traurige Wahrheit werden sollte. Im Training kann Daniel Albrecht den Zielsprung bei 140 km/h nicht kontrollieren. Er stürzt, landet im Spital und wacht erst Wochen später wieder aus dem Koma auf. Der Walliser hat Glück, dass er überlebt. Den Versuch, im Skifahren wieder zur Weltklasse zu gehören, muss er 2013 aufgeben.

Einer der verheerendsten Stürze in Kitzbühel: 2009 verunfallt Daniel Albrecht schwer.Video: Youtube/Walker0811
1981 war ein Jahr mit besonders vielen Stürzen.Video: Youtube/craterinspection
Stürze gehören seit jeher zur Streif. Als die Bilder noch schwarz/weiss waren, gehörten Fangnetze und Rückenpanzer noch nicht zum Standard.Video: Youtube/Twinkobold
Auch Kameramänner erwischt es bisweilen auf dem steilen Hang. Ein Deutscher sei es, erwähnen sie im ORF schadenfreudig.Video: Youtube/ronsen86
Den vielleicht spektakulärsten Crash fabrizierte Pietro Vitalini 1995. Damals fanden zwei Rennen am selben Tag statt – und der Italiener wurde nach x Salti im ersten Bewerb sogar Fünfter.Video: Youtube/Peter Lein

Maximal-Puls bei Lauberhorn-Sieger Küng

Am Samstag feierte Patrick Küng in Wengen den grössten Erfolg seiner Karriere: Den Sieg in der Lauberhorn-Abfahrt. Vor zwei Jahren fuhr der Glarner für eine Reportage im «Blick» während einer Trainingsfahrt auf der Streif mit einem Pulsgurt.

Schon vor dem Start schlägt Küngs Herz 160 Mal in der Minute. Er klettert in der Mausefalle auf 165 und pendelt zwischen der Einfahrt in den Steilhang und der Hausbergkante zwischen 178 und 185.

Doch damit ist noch nicht Schluss. Obwohl Küng vor der Fahrt sagt, sein Maximalpuls liege bei 186, jagt er ihn bis ins Ziel auf 189 Schläge in der Minute. «Weil ich in diesem Training nie ans Limit gegangen bin, wird mein Herz im Rennen noch heftiger rasen», ist er überzeugt.

Hier können Sie die Reportage im «Blick» nachlesen.
Hier können Sie die Reportage im «Blick» nachlesen.

Der Vorteil einer geschickten Familienplanung

Küng ist ebenso wenig Vater wie Didier Cuche. Vielleicht lag es daran, dass der Neuenburger in Kitzbühel fünf Mal gewinnen konnte. Denn für Cuche galt nicht, was ein berühmter österreichischer Berufskollege einst über die Streif sagte:

«Diese Strecke ist eigentlich nichts für Familienväter.»
Michael Walchhofer, Abfahrts-Weltmeister 2003
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