Das Volk der Schwinger, diese letzten Aufrechten des Sportes, diese Garanten des Anstandes und der Ehrlichkeit, ein Volk der «Doper»? Erstaunt, überrascht, ja fassungslos wie Julius Cäsar bei seinem letzten Auftritt auf der Bühne der Weltgeschichte rufen wir ob der Meldung über den Doping-Sündenfall Martin Grab aus. «Auch Du, mein Sohn Brutus?»
Doch das, ist bei Lichte besehen, völliger Unsinn. Seit 1999 gibt es im Schwingen Dopingkontrollen. Seit 2017 ist der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) Mitglied von Swiss Olympic und damit juristisch ein Sport wie jeder andere auch. Martin Grab (inzwischen zurückgetreten) ist in 19 Jahren erst der sechste Dopingsündenfall im Sägemehl.
Natürlich ist die Struktur der Ausreden immer die gleiche: Ein (Arznei)-Mittel sei ohne Wissen um die Konsequenzen eingenommen worden. In einem Fall der Schwinger war die Ausrede gar, die Ehefrau habe das Mittel in der Apotheke gekauft.
Die besten Schwinger sind heute Spitzensportler und bereiten sich mit gleicher Akribie auf ein Eidgenössisches vor wie ein anderer Sportler auf die Olympischen Spiele. Auch sie werden von Spezialisten betreut wie andere Sportstars auch.
Im Schwingen gibt es inzwischen dank immenser Medienpräsenz und enormer Popularität für die Besten auch ordentlich Geld zu verdienen. Die Werbeindustrie investiert pro Saison gut 1.5 Millionen Franken in die Werbung auf Mann.
Schwingen deshalb bei der Doping-Thematik anderen, kommerzialisierten Sportarten auch nur annährend gleichzusetzen wäre jedoch absurd. Aber die Kombination Doping und Schwingen elektrisiert. Schwingen hat immer auch eine politische Dimension. Kritik an dieser Bastion des eidgenössischen Konservatismus ist wohlfeil.
Die Sägemehl-Generäle dürfen sich allerdings nicht beklagen. Sie bekommen wieder einmal die Rechnung für ihren «Sündenfall» präsentiert: Sie haben sich erst freiwillig und ohne Not der Dopinggesetzgebung unterzogen (ab 1999) und 2017 haben sie gar ihre immerwährende Unabhängigkeit und Neutralität aufgegeben und sich freiwillig das Joch des schweizerischen Sportdachverbandes «Swiss Olympic» auferlegt.
Mit allen Konsequenzen: Die Hoheit in allen Dopingfragen – auch die Kommunikation und die Sanktionen – liegen in der Hoheit von «Antidoping Schweiz». Der Schwingerverband unter der Knute von «Swiss Olympic» mahnt ein wenig an die Thematik Eidgenossenschaft und EU.
Item, es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Gralshüter eidgenössischer Eigenart, Neutralität und Unabhängigkeit hin und wieder dafür bestraft werden, dass auch sie ihre Unabhängigkeit unter anderem des Mamons wegen aufgegeben haben. Es ist eine Folge von «Geld und Geist.» Die Schwinger profitieren halt auch gerne von staatlichen Fördergeldern (wie «Jugend und Sport»). Und mit der freiwilligen Einführung der Dopingkontrollen wollten sie sich den Ruf «sauber» zu sein, sozusagen amtlich bestätigen lassen. Mit dem Hintergedanken, so gegenüber Sponsoren noch besser dazustehen.
Aber es gibt keinen durch und durch «sauberen», perfekten Sport. Schwingen ist heute, wie es Verbandsgeschäftsführer Rolf Gasser einmal gesagt hat, «keine Insel». Dass es die heile Welt gar nicht gibt, dass noch so starke, «böse» junge Männer auch Menschen sind mit Stärken und Schwächen, Menschen, die Fehler machen oder sich irren wie in anderen Sportarten auch, sollte gerade die Schwinger nicht überraschen.
Wenn sie ihren Gotthelf aufmerksam lesen, so sehen sie, wie schon in der guten alten Zeit gelogen und betrogen worden ist. Ja, die Schwingergestalten von heute dürften weitaus braver und argloser sein als viele der Romangestalten Gotthelfs. Und sicher argloser und braver und naiver als die Stars der anderen Sportarten.