Ausgerechnet auf dem Sachsenring. Hier hat Tom Lüthi am 21. Juli 2002 seinen ersten GP bestritten. Und hier hat nun mit Dominique Aegerter erstmals wieder ein anderer Schweizer als Tom Lüthi einen GP gewonnen.
Tom Lüthi ist auf dem Sachsenring nicht nur von Dominique Aegerter besiegt worden. Auch Randy Krummenacher (7.) klassierte sich vor dem Sportler des Jahres 2005. Dieser 9. Rang beim GP von Deutschland schmerzt Tom Lüthi. «Ich war chancenlos. Was wir auch versucht haben – es hat nicht funktioniert.» Er sagt, er sei immer noch motiviert. «Mein Selbstvertrauen ist intakt und ich bin motiviert. Ich lasse mich nicht verrückt machen. Aber ich bin auch ratlos.»
Er sagt auch, die Zusammenarbeit mit dem Team sei sehr gut und er habe volles Vertrauen in Cheftechniker Alfred Willecke. «Wir haben über Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das ich nicht aufgeben möchte. Diese Kontinuität ist wichtig». Aber es ist kontinuierlicher Misserfolg. «Nein, das ist eine bösartige Interpretation. Ich habe mich mit meinem Team in der letzten Saison nach der schweren Verletzung zurückgekämpft und sechs Podestplätze herausgefahren. In der WM stehe ich jetzt immer noch auf dem 6. Zwischenrang. Wir sollten nicht alles schlechtreden.»
Während Dominique Aegerter mit der Körpersprache eines Siegers durch seine Präsenz einen Raum füllt wie ein Rockstar, wirkt Tom Lüthi wie ein Häufchen Elend. Er zeigt auch in der Krise Grösse und sucht nicht nach Ausreden und Sündenböcken. Aber er weiss keine Lösung mehr.
Bezeichnend für seine Situation: Sein Freund und Manager Daniel M. Epp ist bei dem Gespräch gute zwei Stunden nach dem Rennen schon nicht mehr da. Er ist abgereist. Es ist für einen neutralen Beobachter offensichtlich: Der Mann, der die Karriere von Tom Lüthi erst möglich gemacht hat, sucht nach zwölf Jahren einer Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Renngeschäft. Er könnte einfach das Licht löschen, sein Team auflösen und gehen. Doch das kommt für ihn nicht in Frage. Er wird erst gehen, wenn er für Tom Lüthi eine Lösung gefunden hat. Will heissen: Ein neues Team.
Mit ziemlicher Sicherheit kann Tom Lüthi seine Karriere nur neu lancieren, wenn er seine vertraute Umgebung im Fahrerlager verlässt und für ein neues Team fährt. Es wäre ein Schock. Weil er seit dem Einstieg in den GP- Zirkus noch nie in einem anderen Team als in jenem von Daniel M. Epp gefahren ist. Aber vielleicht ein heilsamer Schock.
Das Thema ist so heikel, dass Daniel M. Epp Gespräche darüber meidet wie der Teufel das geweihte Wasser. Da plaudert Marco Rodrigo schon unbekümmerter über das Thema. Er sucht für das Jahrhundert-Talent Jesko Raffin (18) einen Startplatz für die Moto2-WM 2015. Er hat die Runde bei allen Teammanager gemacht und ist inzwischen recht zuversichtlich, dass er für Jesko Raffin ein Team finden wird.
Marco Rodrigo kennt den Rennsport aus jahrelanger eigener Erfahrung und sagt zum Problem von Tom Lüthi: «Daniel Epp sucht seit zwei Jahren eine Möglichkeit um auszusteigen und das Team aufzulösen. Das ist doch allen klar. Aber er lässt Tom Lüthi nicht im Stich. Dabei wäre es gar kein Problem, für Tom ein sehr gutes Team zu finden. Mag sein, dass er jetzt in einer Krise steckt. Aber er ist einer der wenigen Siegfahrer. Er hat Rennen und eine Weltmeisterschaft gewonnen und ist einer der erfahrensten Piloten im Fahrerlager. Er kann sich ein neues Team nur aussuchen und erst noch viel Geld verdienen.»
Hoppla. Eine freche, ungeschminkte Analyse. Und doch hat Marco Rodrigo mit ziemlicher Sicherheit recht. Mehrere Teams suchen auf nächste Saison einen Siegfahrer, unter anderem auch das steinreiche Team des katarischen Verbandes. Die Töff-Scheichs sind auch an Dominique Aegerter interessiert.
Aber ein Teamwechsel, eine Scheidung von Daniel M. Epp wäre eine tiefgreifende Zäsur in der Karriere von Tom Lüthi. Ein totaler Neuanfang. Ein Verzicht auf alle Bequemlichkeiten in einer vertrauten Umgebung. Der Verlust der Nestwärme.
Aber vielleicht kann nur eine solche Zäsur seine Karriere neu lancieren. Tom Lüthi hat noch mindestens fünf bis sieben gute Jahre vor sich und es wäre fatal, den Emmentaler zu unterschätzen. Er ist 27 Jahre alt. Aber das ist kein Problem. Mika Kallio, der 2005 den Kampf um den 125er-Titel gegen den Schweizer verloren hat, ist jetzt 31 und hat soeben auf dem Sachsenring Dominique Aegerter einen spektakulären Kampf um den Sieg geliefert.