Die Klubs haben die Corona-Krise mit einer Saison weitgehend ohne Zuschauer und stark beeinträchtigtem Spielbetrieb erstaunlich gut gemeistert. Vor der neuen Saison kommt sogar die Frage auf: War da mal was? Unsere Hockeyszene steht auf einer soliden Basis.
Die Klubs, alle Aktiengesellschaften, haben durchwegs rote oder tiefrote Zahlen geschrieben. Aber es sind keine bedrohlichen roten Zahlen. Selbst Lausanne, das mehr als 10 Millionen Verlust gemeldet hat, wird nicht untergehen: too big to fail. Notfalls zahlen dann halt die Stadt Lausanne und die umliegenden Gemeinden die Rechnung.
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— National League & Swiss League (@NLSLOfficial) September 7, 2021
Die Bindung mit den Fans und den Geschäftspartnern ist überall so stark, dass die Einnahmeausfälle die Existenz nicht gefährdet haben. Die Rückforderungen der Werbepartner und der Saisonkartenbesitzer hielten sich im Rahmen und der Staat hat mit verschiedenen Massnahmen geholfen (Kurzarbeitsregelung, Entschädigung für ausgefallene Ticketeinnahmen).
Ja, die Klubs sind wirtschaftlich so stabil, dass mit Ausnahme von Ambri alle auf sechsstellige staatliche Hilfe verzichtet haben: Nur Ambri hat die zustehenden zwei Drittel der ausgefallenen Ticketeinnahmen beim Staat eingefordert. Alle anderen begnügen sich mit der Hälfte. Weil die Löhne einschränken muss, wer zwei Drittel kassiert und Geld ausgeben kann, wie er will, wer sich mit der Hälfte begnügt.
Vernünftig im Sinne der Realwirtschaft will im Sportbusiness sowieso niemand sein. Was heisst schon vernünftig? Wer vernünftig ist, investiert nicht in den Sport. Denn noch immer gilt: Wer im Sport ein kleines Vermögen machen will, beginnt mit einem grossen Vermögen. Sport bedeutet Unberechenbarkeit, Emotionen, pures Leben und wer sich den Sport leisten kann, will den Nervenkitzel in einem Spannungsfeld zwischen Triumph und Drama. Alle Selbstbeschränkungen, die unter dem ersten Schock der Krise diskutiert wurden (in erster Linie die Salärbeschränkung) sind deshalb längst vom Tisch. Und aus der Geschichte wissen wir: Nach einer Krise rockt es erst recht.
Alle, auch Ambri, haben auf dem Transfermarkt investiert. Alle beginnen die Saison mit mindestens vier Ausländern. Was die Ausgeglichenheit der Liga fördert. Zug und die ZSC Lions sind zwar nominell eine Nummer grösser als die Konkurrenz, Langnau und Aufsteiger Ajoie eine Nummer kleiner. Für alle übrigen gilt: Sowohl ein Platz in der Spitzengruppe wie ein Abrutschen in den Tabellenkeller sind möglich.
Nach den tiefroten Zahlen sehen eigentlich alle eine rosarote Zukunft. Zu Recht: Das Publikum kehrt zurück. Die Infrastruktur wird immer besser: Ajoie, Gottéron und Ambri spielen in einer neuen Arena, die ZSC Lions beziehen im nächsten Sommer ein neues Stadion und nur noch Servette und der SCB treten in nicht mehr zeitgemässen Stadien auf, die gerade deshalb Kultcharakter bekommen. Die TV-Verträge sind noch während der Krise zu insgesamt besseren Bedingungen verlängert worden. Die Klubs sind dazu in der Lage, die neuen Herausforderungen zu meistern.
Die Ausgeglichenheit der Liga weckt Hoffnungen, die nicht alle erfüllt werden. Die Aussicht auf Ruhm öffnet Herzen und Portemonnaie. Wie wir es auch drehen und wenden: Nicht alle können in der Spitzengruppe spielen. Auch die Ränge 7, 8, 9, 10, 11, 12 und 13 müssen besetzt sein. Diese Ausgangslage verspricht beste Unterhaltung. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, fliegt der Trainer. Bis auf Ambris Luca Cereda, Zugs Dan Tangnes und Ajoies Garry Sheehan hat nicht ein einziger Cheftrainer eine saisonlange «Jobgarantie».
Zum letzten Mal gibt es diese Saison keinen Absteiger. Im Frühjahr 2023 wird die Relegation wieder eingeführt. Aber wer diese Saison nicht konkurrenzfähig ist und sportlich verlottert, wird im Abstiegskampf der übernächsten Saison verloren sein. Deshalb wirkt sich der temporäre Verzicht auf den Abstieg nur bedingt beruhigend aus. Gerade Langnau hat im Hinblick auf die kommenden sportlichen Existenzkämpfe den «Larifari-Betrieb» der letzten Saison beendet und wieder auf Leistungssport umgestellt.
So gut die Aussichten, so unruhig die Zeiten. Die nächsten Monate werden viel hockeypolitischen Gesprächsstoff liefern. Der Abstieg ist zwar ausgesetzt, aber die Promotion ist möglich: Der Sieger der Swiss League steigt direkt auf, sofern er die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Bedingungen erfüllt. Das ist bei Kloten, Olten und Visp bedingungslos der Fall. Wir können also davon ausgehen, dass die höchste Spielklasse übernächste Saison (2022/23) 14 Teams umfassen wird – und die zweithöchste womöglich nur noch 9. Weil sich Zugs Farmteam aus der Swiss League zurückziehen wird. Die Dimensionen unseres Profihockeys stimmen nicht mehr.
Die National League in den kommenden Jahren wieder von 14 auf 12 Teams reduzieren? Wie kann sich die Swiss League im Markt positionieren? Weil die beiden höchsten Ligen juristisch selbständig geworden sind, haben sie Gestaltungsfreiheiten wie nie zuvor. Das ist Chance und Gefahr zugleich und wird für viel Gesprächsstoff sorgen.
Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt seit längerer Zeit auf dem kommerziellen Bereich. Die Schwäche der zentralen Führung (des Verbandes) hat dazu geführt, dass die Ausbildung in den letzten Jahren vernachlässigt worden ist. Einzelne Klubs leisten vorbildliche Arbeit (u.a. ZSC Lions, Zug), aber es fehlt eine Strategie, eine einheitliche Philosophie – in diesem Bereich ist der Verband gefordert. Die Schweiz war in den 1990er Jahren internationaler Trendsetter im Bereich Ausbildung. Nun sind wir Hinterbänkler.
Die ganz grosse Herausforderung unseres Hockeys ist es, wieder ein Gleichgewicht zwischen Sport und Kommerz zu finden.