Das Dorf Langnau mit rund 10'000 Bewohnenden im Herzen der Schweiz ist für einen Abend der Mittelpunkt der Hockey-Schweiz. Wie vor 47 Jahren. Damals holten die Langnauer am 2. März 1976 mit einem 6:3 gegen Biel im letzten Spiel der Meisterschaft (es gab noch keine Playoffs) den bisher einzigen Titel. Für wahre Nostalgiker sei angemerkt: Die Tore für die Emmentaler erzielten Verteidiger Hansrudolf Tanner (sein einziger Treffer der Saison), Jürg Berger (2), Michael Horisberger, Peter Wüthrich und der kanadische Spielertrainer Jean Cusson. Helden für die Ewigkeit.
In Zeiten der sportlichen Not (schon vor dem Spiel steht fest, dass die SCL Tigers in die Playouts müssen) sind vor dem Derby gegen den SC Bern gelbe Plastik-Fähnlein zum Gedenken an den ruhmreichen 2. März 1976 auf jeden Sitzplatz gelegt worden. Ein gelbes Fähnchenmeer weckt vor Matchbeginn wehmütige Erinnerungen an ruhm- und glorreiche Zeiten, die wohl nie mehr wiederkehren werden. Die Emmentaler können aus den Playoffs, den Pre-Playoffs oder gar der Liga vertrieben werden. Aber nicht aus den blühenden Gärten der Erinnerung an meisterliche Zeiten.
Nun verdankt Langnau vor dem Derby gegen den SC Bern die nationale Aufmerksamkeit seiner Verkehrslage. Nationalmannschaftsdirektor Lars Weibel, Nationaltrainer Patrick Fischer, Österreichs Nationalcoach Roger Bader, Schiedsrichterchef Andreas Fischer und Spielplan-General Willi Vögtlin machen den SCL Tigers die Aufwartung.
Für die Langnauer ist das Spiel bedeutungslos. Aber für den SCB geht es um die Pre-Playoffs. In Ambri stehen beim Tessiner Derby sogar für beide Teams die Pre-Playoffs auf dem Spiel. Dort gibt es von der Ranglisten-Konstellation her am meisten Drama. Trotzdem sitzt die Prominenz im Emmental. Patrick Fischer sagt, Langnau sei halt mit dem Auto einfacher und schneller zu erreichen als Ambri. Roger Bader hat auch gute Gründe für die Reise ins Emmental. Sein Sohn Thierry stürmt für den SC Bern und er war bei Arno Del Curto in Lotzwil bei Langenthal zum Mittagessen eingeladen.
Nach Langnau waren es dann knappe 40 Autominuten bei wunderbarem Wetter über Landstrassen. Roger Bader freut sich: «Arno hat uns zugesagt, bei der WM wieder als Assistent mitzukommen.» Der HCD-Kulttrainer im Ruhestand wird also bei der WM wie schon letzte Saison wieder für Österreich an der Bande wirken.
Der SCB gewinnt ohne den gesperrten Chris DiDomenico (auch er sass auf der Medientribüne) 3:1. Wo er nächste Saison spielen wird, weiss der Kanadier übrigens noch nicht. «Ich will jetzt erst einmal die Saison mit dem SCB zu Ende spielen.» Dann werde man sehen. Am Samstag kehrt er in die Mannschaft zurück.
Langnau schont den Kanadier Cody Eakin und den Finnen Vili Saarijärvi. Wäre es ein Playout-Spiel gegen Ajoie, wären beide eingesetzt worden. Marc Michaelis ist bis Saisonende out. Zum ersten Mal wird Langnaus Ersatzausländer Haralds Egle eingesetzt. Er ist vom SC Langenthal gekommen. Trainer Thierry Paterlini stehen nur vier Ausländer zur Verfügung (Pesonen, Egle, Lepistö, Holmström).
Beim SCB können alle sechs Ausländerpositionen besetzt werden (Teves, Gélinas, Kahun, Lindberg, Ennis, Sceviour). Mit dieser Besetzung auf den Ausländerpositionen ist es ein gewöhnliches Langnau. Ein gewöhnliches Langnau ist gegen jeden Gegner chancenlos.
Das wahre Spektakel wird nach dem Spiel auf der Medientribüne aufgeführt: das grosse Rechnen. Willi Vögtlin ist jetzt nicht nur Spielplan-General. Er wird auch zum Ranglisten-Gott. Er kramt einen Kugelschreiber hervor und auf einem Blatt Papier (auf der Rückseite der Teamaufstellung) rechnet er alle Möglichkeiten durch.
Eine Entscheidung ist vor der letzten Runde am Samstag bereits gefallen: Ambri ist nach der Derby-Niederlage gegen Lugano (2:4) definitiv nicht in den Pre-Playoffs. Nach dem Spiel in Rapperswil-Jona am Samstag ist die Saison für Ambri zu Ende. Bald ist auch eine weitere Rechnung gemacht: Lausanne gegen Zug, der SCB gegen die ZSC Lions und Lugano gegen Biel sind mit einem Sieg nach 60 Minuten definitiv für die Pre-Playoffs qualifiziert. Dann erwischt es Kloten. Lausanne, der SCB und Lugano können es also aus eigener Kraft schaffen. Kloten nicht.
Aber nun wird es kompliziert. Welche Optionen hat Kloten noch? Nach gut zwanzig Minuten rechnen und erneut rechnen, entwirft Willi Vögtlin schliesslich folgende Definition für die Situation von Kloten: «Die Klotener können es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen. Sie müssen nach Davos reisen und erreichen die Pre-Playoffs nur, wenn sie mindestens einen Punkt holen und Bern, Lausanne oder Lugano keine Punkte mehr machen – dann ist Kloten drin – oder es reicht je nach Resultat auch dann, wenn Bern, Lausanne und Lugano nur einen oder zwei Punkte holen.»
Nun ja, das ist fast so kompliziert wie einst Algebra in der Schule. SCB-Manager Raëto Raffainer, der sich für die Rechnerei natürlich auch interessiert, bringt es schliesslich kurz nach 22.30 Uhr, als unten der Zamboni die Eisreinigung im sonst leeren Stadion schon fast beendet hat, auf den Punkt: «Für die Zuschauer ist es die bestmögliche Meisterschaft.» Spielplan-General Willi Vögtlin kontert: «Es ist der bestmögliche Spielplan für die Zuschauer …»
Dieses Berner Derby ist auch nach Mitternacht noch ein Thema im Bernbiet und sorgt für Unmut. Gegen 01.00 Uhr genehmigt sich ein altgedienter Lokomotiv-Führer der BLS im «Pöstli» zu Huttwil noch einen Schlummertrunk. Er ist verärgert. Nicht nur wegen der Niederlage der Langnauer, die dem SCB hilft.
Er ist soeben für die BLS von Bern nach Wolhusen gefahren und dann von dort zur Endstation Huttwil. Beim Bahnhof Worb habe er geschlagene sieben Minuten (!) auf den Gegenzug warten müssen. Dieser Gegenzug sei der von Langnau kommende Extrazug der SCB-Fans gewesen. «Typisch. Die schafften es mal wieder nach dem Spiel nicht, rechtzeitig in den Zug einzusteigen.» Den in Worb eingehandelten Rückstand habe er bis nach Wolhusen nicht mehr aufholen können. Wenigstens hat es für den Schlummertrunk im «Pöstli» grad noch gereicht. Dort ist am Donnerstag um 01.30 Uhr Schluss. Berner Derby-Folklore.
Wieso hat er es nicht gewusst? 0_o