Die Auferstehung von Jonas Hiller ist die Geschichte des Schweizer Eishockey-Teams nach der Vorrunde. Zuletzt ging Hillers Karriere in der Nationalmannschaft dem Ende entgegen. An der WM 2017 in Paris wurde er gegen Kanada beim Stand von 0:2 ausgewechselt – Leonardo Genoni hexte die Schweiz anschliessend zu einem glorreichen 3:2-Sieg. Hiller gelangte an der WM nicht mehr zum Einsatz. Er beendete das Turnier als Nummer 3 auf der Tribüne. Und in dieser Saison gelang ihm in drei Länderspielen kein Sieg (11 Gegentore).
Und nun das: Nach drei Olympia-Spielen in Südkorea liegt Hiller in der Statistiken aller Goalies, die mehr als eine Partie bestritten haben, hinter dem Schweden Viktor Fasth (97,22 %) auf Platz 2. Der Appenzeller parierte 64 von 66 Schüssen (96,97 %) und kassierte bloss 0,8 Gegentore pro Spiel. «Es läuft mir», sagt Hiller. «Natürlich bin ich nicht zu 100 Prozent zufrieden, wenn wir verlieren. Aber die Form stimmt – und nicht erst an diesem Turnier. Ich spielte schon im Januar in der Liga sehr konstant.»
Dank Hiller rückte der EHC Biel in der Tabelle bis auf Platz 3 vor; Platz 2 liegt noch in Reichweite. In den letzten acht Wochen vor der Olympia-Pause verlor Biel nur ein einziges Spiel in 60 Minuten. Im gleichen Zeitraum verlor Genoni mit Bern sechs Spiele.
Genoni ist bislang die tragische Figur im Schweizer Team. 66,66 % Fangquote und hochgerechnet 9,33 Gegentore pro Spiel. Frustriert gibt sich Berns Meister-Goalie nicht: «Ob ich frustriert bin, dass ich noch keine Chance bekommen habe, ins Turnier zurückzukehren? Nein, das bin ich nicht. Aber natürlich bin ich nicht zufrieden. Ich kassierte gegen Kanada vier Gegentore. Das wurmt mich immer. Aber ich freue mich, wenn es Jonas läuft. Und ich trainiere, um bereit zu sein, wenn ich das nächste Mal gebraucht werde.»
Wenn die Schweiz im Olympia-Turnier weit kommen will, dann braucht es Genoni noch. Der SCB-Goalie: «Schliesslich müssen wir jetzt ein Spiel mehr bestreiten als geplant, nachdem wir den direkten Einzug in die Viertelfinals verpasst haben.» Die Achtel- und Viertelfinals finden innerhalb von 24 Stunden statt.
Oder kann ein Goalie das gesamte Turnier mit sieben Spielen in zehn Tagen durchspielen? Diese Frage geht an den 36-jährigen Jonas Hiller. «Darüber mache ich mir nicht viele Gedanken. Es wäre ein happiges Pensum und physisch anspruchsvoll, das steht ausser Frage. Und ich weiss auch noch nicht, wer am Dienstag gegen Deutschland spielen wird. Aber möglich wäre es sicher, durchzuspielen. Schliesslich sind wir Profis. Wir sind fit. Für solche Situationen absolvieren wir das happige Sommertraining.»
Die Goalie-Frage wird Nationalcoach Patrick Fischer bis zum Spiel gegen Deutschland beschäftigen. Setzt er weiter auf Hiller, der «heissgelaufen» ist? Oder ist es sinnvoll, Hiller eine Pause zu geben, um ihn nicht zu sehr zu belasten? Gegen aussen verrät Fischer seine Pläne mit den Torhütern nicht. Fischer: «Aber klar ist: Auf der Torhüterposition haben wir die geringsten Probleme.»
Für Hiller spricht im Moment alles – auch die Vergangenheit. Hiller, der Keeper mit den 26 Kantonswappen auf der Maske, ist ein Olympia-Held. Schon an den Spielen 2010 in Vancouver (unter Ralph Krueger) und 2014 in Sotschi (Sean Simpson) war er die unbestrittene Nummer 1. In Sotschi kam Hiller gegen Lettland (1:0) und Tschechien (1:0) zu zwei Shutouts. Am frühen Ausscheiden gegen Lettland (1:3) trug er keine Schuld.
Auch unter Fischer glänzte Hiller letzte Saison: Gegen Weissrussland (6:1), auswärts gegen die Slowakei (3:0), gegen Russland (2:0) und Dänemark (2:0) kassierte er in vier Länderspiel-Einsätzen hintereinander nur ein Gegentor. Wenn Hiller noch so eine Serie gelingt, dann werden die Schweizer Medaillenträume trotz aller Unzulänglichkeiten doch noch wahr.