Sport
Eismeister on tour

Taktik über alles oder Timo Meier als «schlummernder Drache» der Devils

New Jersey Devils right wing Timo Meier (96) scores the game-winning goal past Washington Capitals goaltender Darcy Kuemper (35) during a shootout of an NHL hockey game, Thursday, March 9, 2023, in Wa ...
Timo Meier erzielte im Spiel gegen die Washington Capitals das Siegtor. Gegen Carolina blieb er ohne Skorerpunkt.Bild: keystone
Eismeister on tour

Taktik über alles oder Timo Meier als «schlummernder Drache» der Devils

Siegen auch ohne Tore von Timo Meier: Die New Jersey Devils sind taktisch eines der interessantesten Teams der NHL. Wehe, wenn Timo Meier erwacht!
13.03.2023, 20:1014.03.2023, 16:03
klaus zaugg, newark
Mehr «Sport»

Die Ausgangslage: Spitzenkampf. Wer es dramatischer mag: Ringen der Titanen. Auch wenn bei 82 Runden ein einzelnes Spiel in der «Regular Season» noch weniger Bedeutung hat als bei uns: Diese Partie gegen Carolina, das Spitzenteam aus der eigenen Division, wollte New Jersey unbedingt gewinnen. Ein Zeichen setzen im Hinblick auf die Playoffs.

«Unser Game Plan ist aufgegangen.»
Devils-Captain Nico Hischier

Die Devils gewinnen 3:0. Mit vier Schweizern auf dem Matchblatt und drei auf dem Eis. Akira Schmid nimmt auf der Ersatzbank Platz. Jonas Siegenthaler organisiert die Verteidigung, Nico Hischier und Timo Meier sind offensive Leitwölfe.

Captain Nico Hischier freut sich aus einem ganz besonderen Grund über den Sieg: «Unser Game Plan ist aufgegangen.»

Nun bedeutet «Game Plan» übersetzt so viel wie «Spielplan». Die Bezeichnung hat aber nichts mit den Spielplänen zu tun, die bei uns Willi Vögtlin für die beiden höchsten Ligen ausarbeitet. «Game Plan» bedeutet im weitesten Sinne «Taktik». Wie ein Coach das Spiel seiner Mannschaft ausrichtet: offensiv oder defensiv, kreativ oder destruktiv.

Willi Voegtlin, Chef Spielplan Swiss Ice Hockey, traegt den Meisterpokal vom Eis, vor dem ersten Eishockey Playoff-Finalspiel der National League A zwischen dem SC Bern und dem EV Zug, am Donnerstag,  ...
Sein Game Plan ist ein etwas anderer als der von Nico Hischier und den New Jersey Devils: Spielplan-General Willi Vögtlin.Bild: KEYSTONE

New Jersey hat vor sechs Jahren Nico Hischier als Nummer 1 gedraftet (2017) und mit ihm den Neuaufbau begonnen. Als Nummer 1 im Draft hat er für die Devils eine politische und sportliche Bedeutung, die jene von Roman Josi in Nashville noch übertrifft. Er ist die zentrale Figur bei der Renaissance der Devils, die seit dem verlorenen Final von 2012 nur noch ein einziges Mal die Playoffs erreicht haben.

Es ist eine beeindruckende Renaissance. Dieses 3:0 gegen Carolina zeigt: Die Devils können nach 1995, 2000 und 2003 erneut den Stanley Cup gewinnen.

Womit wir wieder beim «Game Plan» sind. Die Devils sind taktische Trendsetter. Nicht viele Stanley-Cup-Sieger dürften ihren Triumph so sehr einem «Game Plan» verdanken.

Die Devils erfinden in den 1990er-Jahren «the Trap». Ein ausgeklügeltes Defensivsystem, das so effizient ist, dass TV-Experte Mike Milbury, ein ehemaliger Verteidiger, öffentlich ein Verbot fordert. Dieses Defensivsystem ist der Auslöser der strengen Regelauslegung («Null Toleranz»). Erst in der NHL und dann auch in den europäischen Ligen. Um das Spiel wieder zu öffnen.

Wenn also der Captain in New Jersey vom «Game Plan» spricht, dann hat es eine ganz besondere Bedeutung. Fast (aber nur fast) wie wenn der Papst vom Glauben spricht. Und bei entsprechender Nachfrage ergänzt Nico Hischier, seine Mannschaft spiele ein ganz besonderes Spielsystem. «Darin unterscheiden wir uns von den anderen Teams.» Was die Besonderheit sei, mag er nicht erklären. «Ich kann ja nicht unsere Taktik im Detail öffentlich ausbreiten …» Klar: Auch Coca-Cola hält das Rezept geheim.

Coca-Cola können wir beim Brauen des Süssgetränkes nicht zuschauen. Den Devils beim Spiel aber schon und jede Szene wird von den Augen der Bildermaschinen erfasst. New Jersey hat das Hockey nicht neu erfunden. Was dem Laien auf den ersten Blick am ehesten auffällt: Die klassische Position der Stürmer – Flügel, Center, Flügel – ist dann, wenn der Gegner im Scheibenbesitz ist, nicht mehr zu erkennen.

Der junggebliebene Saurier Lindy Ruff (63) – ein hochdekorierter Veteran (mehr als 800 Siege) – hat den «Game Plan» der Devils entwickelt. Unbestritten ist er in seiner dritten Saison in New Jersey keineswegs. Während des ersten Heimspiels (2:5 gegen Philadelphia) forderten die Fans am 15. Oktober mit Sprechchören «Fire Lindy!» seine Entlassung. Die Wende kam sofort: Am 12. November, nach dem 9. Sieg in Serie, tönte es zehntausendfach «Sorry Lindy!» von den Rängen. Der erst Geschmähte und dann Gefeierte gab sich versöhnlich und akzeptierte die Entschuldigung.

Carolina Hurricanes center Jesperi Kotkaniemi (82) battles for the puck with New Jersey Devils defenseman John Marino (6) and Nico Hischier during the third period of an NHL hockey game, Sunday, March ...
Hischier (13) und John Marino (am Boden) kämpfen um den Puck gegen Carolinas Jesperi Kotkaniemi.Bild: keystone

Nico Hischier spricht von einer Entwicklung, die über diese Saison hinausgeht: «Vor allem wir Stürmer brauchten einige Zeit, bis wir das neue System begriffen hatten.» Offensichtlich haben es die Spieler gerade rechtzeitig kapiert, um den Job ihres Chefs zu retten.

Und damit sind wir beim Timo Meier. Um ihn zu bekommen, haben die Devils Ende Februar einen «Blockbuster-Trade» mit insgesamt neun Spielern und mehreren Draftrechten inszeniert.

New Jersey hat schon vor der Ankunft von Timo Meier «funktioniert». Er war seit 2016 in San José nach und nach so etwas wie ein offensives Epizentrum geworden: Vorletzte Saison erzielte er 35 Treffer und diese Saison hatte er bis zu seinem Transfer nach New Jersey bereits nach 57 Spielen 31-mal getroffen.

Wenn ein Hockey-Romantiker aus der Schweiz erwartet, nun müsste doch Timo Meier neben Nico Hischier stürmen, so wird er enttäuscht. Das ist nicht der Fall und Nico Hischier sagt: «Wir haben bisher nur in der Nationalmannschaft in der gleichen Linie gespielt».

Wir können es auch so sagen: Der «Game Plan», das System, die Mannschaft ist immer wichtiger als der beste Einzelspieler. Auch ein Star hat sich nach der Taktik auszurichten und nicht umgekehrt. In fünf Partien hat Timo Meier erst einmal getroffen. Nico Hischier sagt, der Wechsel in ein neues Team mit einem anderen «Game Plan» sei nie einfach.

Beim Spitzenkampf gegen Carolina hat Timo Meier nicht getroffen. Auch Nico Hischier ist ohne Skorerpunkt geblieben. Das ist der wohl eindrücklichste Beweis für das Funktionieren einer Taktik (Game Plan): Zwei der besten Offensivspieler der Liga gehen leer aus und der Spitzenkampf wird trotzdem klar und deutlich mit einer nahezu perfekten Leistung 3:0 gewonnen. Kommt dazu: Es ist zwar üblich, dass ein Captain den Zusammenhalt seines Teams rühmt. Aber wenn Nico Hischier über seine Devils spricht, dann ist die Leidenschaft zu spüren, zu erahnen, die dieses Team antreibt: Die Devils sind auf einer Mission.

Wehe, wenn bei den Devils dann auch noch der schlummernde «offensive Drache» Timo Meier erwacht.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Despacito mit Eishockey-Spielern
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
28 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Aareschwumm
13.03.2023 20:56registriert November 2014
Jetzt hätte ich also schon noch gerne gelesen, wie dieser „Game Plan“ funktioniert. Wird hier alles nur angeschnitten aber nicht wirklich erklärt.
417
Melden
Zum Kommentar
28
Elisa Gasparin über ihre überwundene Essstörung: «Ich war nur noch ein Stecken»
Die Bündner Weltcupathletin Elisa Gasparin kämpfte während ihrer Karriere mit einer mehrjährigen Magersucht. Wieso sie enorm stolz ist auf ihren Weg aus der Krankheit.

Wir treffen Elisa Gasparin im Hotelrestaurant ihres Wohnorts Lenz. Sie bestellt eine Cola und sagt: «Eine Cola zu trinken, wäre damals für mich unmöglich gewesen». Also reden wir über «damals».

Zur Story