Es gibt dieses Märchen, das uns die kritiklose Hinnahme von Aussagen vermeintlicher Autoritäten vor Augen führen soll: «Des Kaisers neue Kleider.» Wider besseres Wissen sagt niemand, dass der Kaiser gar keine Kleider anhat. Bis ein kleines Kind ausruft: Der Kaiser ist ja nackt!
Dieses Lehrstück wird in diesen Tagen in höchst vergnüglicher Weise im Eishockey aufgeführt. Bei den Kloten Flyers. In prominenter Besetzung. Sean Simpson in der Rolle des Kindes. Sein Vorgänger Felix Hollenstein als Kaiser.
Die Unterhaltung war ja am letzten Sonntagabend besser als jede Folge der Krimi-Serie «Tatort». Die Kloten Flyers haben gegen die ZSC Lions nach einer 2:0-Führung grandios 2:4 verloren und bangen immer bänger um die Playoff-Qualifikation.
Der neue Trainer Sean Simpson ist kein Diplomat. Deshalb ist er ein aussergewöhnlich erfolgreicher Trainer. Er sagte nach der Niederlage, er habe von seinem Vorgänger Spieler in einer für Profisportler ungenügenden physischen Verfassung übernommen. Keine Kondition. Das ist so ziemlich der schlimmste Vorwurf an die Adresse eines Trainers.
Keine Kondition! Das signalisiert miserable Trainingsqualität, fehlende Kontrolle, mangelnde Professionalität. Eine gute Kondition zu haben, gilt ja heute als selbstverständlich. Es ist in Tat und Wahrheit die Demontage von Sean Simpsons Vorgänger Felix Hollenstein. Nach dieser «Gotteslästerung» wird das Hockeyunternehmen der Kloten Flyers nie mehr sein wie bisher.
Die Aufregung ist gross, die Botschaft ist in die Hockeywelt hinausgetragen worden. Kaiser Felix hat keine Kleider an! Die Reaktion danach sind einigermassen erstaunlich. Dass der Kaiser keine Kleider bzw. die Klotener keine Kondition haben, scheint auf einmal allen sonnenklar. Zufälligerweise habe ich am nächsten Tag einen lange vereinbarten Termin mit einem intimen Kenner unserer Hockeykultur und der Kloten Flyers. Er lacht über die ganze Sache herzlich und sagt: «Ja, hast Du denn das nicht gewusst? Kloten gilt schon lange nur noch als Country Club.»
Heiliger Bimbam! Die Kloten Flyers ein Country Club? Ein Country Club, der den Besitzer letztes Jahr konservativ geschätzte sechs Millionen Franken gekostet hat. Ein Country Club ist eine Erholungsanlage für vermögende Leute in einer parkähnlichen Anlage.
Selbst in der NZZ und dem den Kloten Flyers nahe stehenden Landboten lese ich jetzt, Felix Hollenstein habe dieses Problem der fehlenden Kondition auch erkannt, aber aus (falscher?) Rücksichtnahme auf die Spieler nicht in die Öffentlichkeit getragen. Ja, aber warum hat er dann nichts dagegen getan?
Was jetzt? Jahrelang ist Felix Hollensein als Titan der Klotener Hockeykultur respektiert worden. Zu Recht. Er war eine der grössten Spielerpersönlichkeiten unserer Hockeygeschichte. Der Leitwolf von vier Meisterteams. Dieser Respekt ist übergangslos auch auf den Trainer Felix Hollenstein übergegangen.
Als er vorübergehend entlassen worden war, hiess es hockey-landauf-landab, er müsse sofort wieder in Amt und Würden eingesetzt werden – die Forderung hat ja der Präsident dann auch erfüllt. Und als Felix Hollensteins temporärer Nachfolger Tomas Tamfal die Mannschaft einmal zu einem famosen 12:0 über die Lakers dirigierte, wurde auf der Tribüne prominent gemurrt, man sehe keine taktische Ordnung, der Hollenstein müsse wieder her.
Aber jetzt das: Keine Kondition! War Felix Hollensein am Ende kein guter Trainer und hatte er, wie der Kaiser im Märchen, am Ende gar nie richtige «Trainerkleider» an?
Ach, wären wir doch im Besitz der absoluten Wahrheit. Der Chronist kann oben auf der Tribüne unmöglich mit letzter Sicherheit erkennen, ob Spieler tatsächlich keine gute Kondition haben. Er könnte es auch dann nicht, wenn er Einblick in die Testergebnisse hätte. Er könnte es nur, wenn er bei den Tests dabei gewesen wäre und wüsste, ob seriös getestet worden ist.
So eignet sich der Begriff Kondition sehr gut zur Polemik und Politik. Natürlich lassen die Zusammenbrüche der spielerischen Herrlichkeit in der Schlussphase der letzten Spiele den Schluss fehlender Kondition zu. Aber Eishockey ist ein unberechenbares Spiel, das auf einer rutschigen Unterlage ausgetragen wird. Unzählige Faktoren beeinflussen die Leistung des einzelnen Spielers und der ganzen Mannschaft.
Wir können es auch so sagen: Hätten die Kloten Flyers am letzten Sonntag einen tüchtigen Torhüter – oder die schöne Torhüterin Florence Schelling – im Kasten gehabt, dann hätten sie die Partie locker gewonnen. Und kein Mensch würde jetzt von fehlender Kondition reden.
Wäre Sean Simpson ein Machiavellist, dann wäre die Sache halb so schlimm. Dann könnten wir einfach sagen: Ein verflucht schlauer Hund. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf seinen Vorgänger und nimmt sich so aus der Schusslinie. Komme, was wolle, ist er jetzt ein Held.
Schafft er die Playoffs noch, dann hat er einen Saustall ausgemistet, die taktische und sonstige Ordnung wieder hergestellt. Was für ein Kerl! Wahrlich ein Titan! Schafft er es nicht, dann ist er auch fein raus: Es war halt nicht möglich, den Country Club in so kurzer Zeit in ein Hockey–Leistungszentrum umzuwandeln.
Aber Sean Simpson ist eben nicht so. Er beherrscht die Kunst des politisch-diplomatischen Lügens nicht und legt auch keinen Wert darauf. Er will den Erfolg. Kompromisslos. Dafür arbeitet er akribisch 24 Stunden am Tag und falls nötig auch noch während der Nacht. Deshalb ist er einer der erfolgreichsten Coachs ausserhalb Nordamerikas geworden. Bei ihm bricht eher früher als später die Wahrheit durch, und wer ihn schlau reizt, der bringt ihn dazu, bald einmal das zu sagen, was er denkt.
Die ganze Polemik hat Felix Hollenstein wahrlich nicht verdient. Kloten unter seiner Führung ein Country Club? Das ist wahrlich eine ungeheuerliche Einschätzung. Aber was, wenn es so sein sollte?
Spannend. Oder so.
Wird Hollenstein eingestellt, war das der grösste Fehler in der Geschichte des Eishockeys. Wird er dann entlassen, ist der Club für immer zerstört. Nun spricht Simpson endlich mal an, was schon nach dem Playofffinal hätte klar sein müssen und auch das ist wieder nicht in Ordnung.
Lassen Sie Ihre Differenzen mit Gaydoul endlich mal ruhen und konzentrieren Sie sich weiter darauf, dem SCB den Titel voraus zu sagen.