Der Freispruch hat sich bereits am Donnerstag abgezeichnet. Ein Schiedsrichter, dessen Name mir soeben entfallen ist, sagte zu diesem Fall mit Resignation in der Stimme: «Es wäre das Beste, wenn Blindenbacher freigesprochen würde. Dann ist das Theater endlich vorbei und wir sind aus der Schusslinie …»
So ist das also: Die Schiedsrichter sind bereits so zermürbt, dass sie gar nicht mehr auf Gerechtigkeit oder den Schutz der Hockey-Justiz hoffen. Nur aus der Schusslinie. Kopf einziehen. Die Mächtigen machen lassen. So wie es ihre Chefs Beat Kaufmann und Brent Reiber, die freundlichen Opportunisten, vorleben.
Dieser Freispruch ist kein Skandal. Es ist bloss ein Spiegelbild des Sittenzerfalls in unserem Hockey. Wenn die ZSC Lions in der ersten Runde eine Niederlage vor dem Ausscheiden stehen, dann kann es sich die Verbandsjustiz nicht leisten, den wichtigsten Verteidiger dieser Mannschaft mit weiteren Spielsperren zu belegen.
Das populistische Argument von ZSC-Sportchef Edgar Salis, ein Spiel solle auf dem Eis und nicht neben dem Rink entschieden werden, kommt beim Volk gut an. Es ist das dümmste Argument, das es überhaupt gibt und steht für das Selbstverständnis einiger Hockey-Generäle: Reglemente, Gesetze sind ausser Kraft zu setzen, wenn wir es wünschen. Der Wille der ZSC Lions geschehe.
Eine Verbandsjustiz, deren Vertreter Victor Stancescu zusammen mit ZSC-Star Roman Wick im Verwaltungsrat einer Firma sitzt, deren Vertreter Victor Stancescu ein enger Freund von Severin Blindenbacher ist, kann, darf, will keine weiteren Sperren aussprechen. Es ist unerheblich, ob Victor Stancescu bei der Beurteilung dieses Falles den Ausstand genommen hat. Er kann so oder so Einfluss auf diesen Fall nehmen.
Die rote Linie ist überschritten. Die Schiedsrichter sind Freiwild. Noch im Januar 2015 ist Fabrice Herzog für einen praktisch identischen Fall mit sieben Spielsperren belegt worden. Nun gilt ein neuer Massstab. Die Schiedsrichter/Linienrichter sind berührbar geworden. Sorry, war ein Reflex. Sorry, du bist mir im Weg gestanden. Sorry, war nicht so gemeint. Es ist der schlimmste Sittenzerfall in der modernen Geschichte des Hockeys.
Das Problem ist nicht die Hockey-Justiz. Unser System funktioniert. Das Problem ist die Besetzung der entscheidenden Positionen. Victor Stancescu ist nach wie vor viel zu nahe bei den Spielern. Er hat seine Spielerkarriere in Kloten erst im Frühjahr 2015 beendet, war Initiator einer Operetten-Spielergewerkschaft und ist nach wie vor mit Spielern befreundet und geschäftlich verbandelt. Das ist alles nicht strafbar. Aber eine grobe Verletzung der guten Sitten und würden wir über solche Zustände im italienischen Hockey berichten, so würden wir uns solche «mafiösen» Zustände amüsieren. Wir würden auch sagen: Aber bei uns ist das nicht möglich.
Im alten Preussen wurden die Beamten angewiesen, nicht nur unbestechlich zu sein. Sondern auch alles zu vermeiden, was den Eindruck von Bestechlichkeit erwecken könnte. Das müsste die Leitlinie für den Verhaltenscodex unserer Hockeyrichter sein.
Mit der Verbandsreform ist die Trennung Liga/Verband aufgehoben worden. In der neuen Verbandsstruktur ist das ganze Hockey – Liga, Amateurhockey, Schiedsrichter, Justiz – in einer Organisation (in einer Firma) zusammengefasst. Diese Firma wird von den Titanen unseres Hockeys beherrscht. Geschickt nützen sie die Führungsschwäche von Präsident Marc Furrer aus.
Die «Achse der Macht» verläuft von Davos über Zürich nach Bern. Lange war diese Macht auf sportliche und wirtschaftliche Belange begrenzt. Nun ist auch die Justiz nicht mehr frei und unabhängig. Die Gewaltentrennung zwischen Business, Sport und Justiz, eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren des Profisportes wie die Gewaltentrennung für das Funktionieren einer Demokratie, gibt es in unserem Hockey nicht mehr.
Der «Fall Blindenbacher» befeuert nicht nur die Hockey-Verschwörungs-Theorien. Den Schwefelgeruch dieses Fehlurteils werden die famosen Hockey-Einzelrichter Oliver Krüger und Victor Stancescu nicht mehr aus den Kleidern bringen.