Statistik ist besser als unbegründete Polemik: In einer Wertung liegt der SC Bern mit grossem Abstand an der Spitze: Kein anderes Team hat schon so oft versucht, ein Tor zu erzielen: 548 Torschüsse. 70 mehr als das nächstfolgende Lausanne. 98 mehr als Tabellenführer Servette. Die Ausbeute ist leicht enttäuschend: Mit 48 Toren ist der SCB offensiv nur die Nummer 8 der Liga.
Diese Zahlen sagen uns viel über die Qualitäten und die Mängel der Berner. Es gibt durchaus Grund zum Rühmen. Für Fleiss und Wille gibt es Maximalnoten. Die Leistungskultur war beim SCB noch nie ein Problem. Die Schlussphase des letzten Drittels gegen Biel (2:3) war eine beeindruckende Willensleistung. Chris DiDomenico ist der charismatischste offensive Leitwolf seit John Tavares. Philip Wüthrich ist statistisch zwar nur die Nummer 10 der Liga. Aber er ist mit gutem Winkelspiel und stoischer Ruhe ein solider Rückhalt. Unspektakulär, aber verlässlich und mit weniger Flops als Leonardo Genoni. Philip Wüthrich ist gut genug, um die Nummer 1 zu sein.
Sportchef Andrew Ebbett, erst seit Mai 2021 im Amt, stand im letzten Frühjahr vor der grösstmöglichen Herausforderung: Er musste schon fast «auf der grünen Wiese» eine neue Mannschaft bauen. Den SCB-Sportchef zu kritisieren wäre billig: Er hat eine Mannschaft zusammengestellt, die spektakuläres Offensivhockey bietet und damit eine wichtige Forderung erfüllt: Das grösste Publikum Europas wird gut unterhalten. Noch zu wenig durch Siege. Aber meistens durch Dramen. Wir kommen später darauf zurück, warum der SCB trotzdem unter dem bedrohlichsten Zuschauerschwund seit dem Wiederaufstieg von 1986 leidet.
Der SCB bietet Abend für Abend «Pausenplatz-Hockey» im besten Wortsinn: Mehr Spiel und Spektakel als Taktik und Schablone. Wenn wir den Lack des Spektakels «abkratzen», erkennen wir eine defensive Schablone. Aber sie wird nicht umgesetzt. Im Ansatz schimmert die Ordnung durch. Aber sie zerfällt immer wieder wie ein Kartenhaus. Der SCB ist in der Vorwärtsbewegung, mit dem Puck, eines der besten, dynamischsten Teams der Liga. Ohne Puck in der eigenen Zone hingegen ein Lotterteam. Der SCB ist nach Lausanne das taktisch schwächste Team des Herbstes. Das liegt nicht an Fehleinkäufen des Sportchefs. Wir kommen später darauf zurück, warum das so ist.
Es ist in der ersten Partie gegen Biel, gegen Ajoie, Gottéron, Servette, Davos, Zug und Ambri nicht gelungen, einen Vorsprung nach 60 Minuten ins Ziel zu bringen. Gegen Servette, Davos, Zug und Ambri musste der Ausgleich in den letzten zwei Minuten hingenommen werden. Inzwischen hat der SCB in 9 von 15 Spielen nicht das Maximum von drei Punkten geholt, zuletzt sieben Mal hintereinander.
Das liegt einerseits in einer eigentlich logischen Unvollkommenheit der SCB-Spektakelmaschine: Der SCB ist in den letzten drei Jahren sportlich so heruntergewirtschaftet worden, dass der SCB letzte und vorletzte Saison sowohl bei der Torproduktion als auch bei der Torverhinderung nur noch zum letzten Drittel der Liga gehörte. Aus den Meisterlichen waren die Miserablen geworden. Andrew Ebbett hat das bitter Notwendige, aber fast Unmögliche versucht: Die Offensive und die Defensive auf einem Markt mit knappem Angebot zu verstärken.
Der neue SCB gehört noch nicht wieder zu den Meisterlichen. Aber doch zu den Respektablen. Andrew Ebbett ist bisher eigentlich nur ein Fehltransfer anzukreiden: Der kanadische Verteidiger Eric Gélinas ist ein völliger Ausfall (13 Spiele/3 Assists). Gegen Biel (2:3) musste er soeben mit einer Minus-2-Bilanz und mit Rückenbeschwerden vorzeitig vom Eis. Bei Cody Goloubef stimmt wenigstens das Preis/Leistungsverhältnis. Mit zwei überdurchschnittlichen ausländischen Verteidigern wäre dem SCB halt schon gedient. Der einzige Konstruktionsfehler der SCB-Spektakelmaschine ist der Fehleinkauf Eric Gélinas. Dadurch wirkt sich die fehlende Tiefe in der Abwehr zu stark aus. Die SCB-Spektakelmaschine ist defensiv unvollendet.
Dass Sven Bärtschi (15 Spiele, 1 Tor) die hohen Erwartungen noch nicht zu erfüllen vermag, ist dem Sportchef nicht anzukreiden und kein Konstruktionsfehler der SCB-Spektakelmaschine: Wenn ein Berner NHL-Erstrundendraft in die Heimat zurückkehren will, dann wird der SCB-Sportchef richtigerweise aktiv.
Das Kernproblem beim SCB sind nicht Fehltransfers. Das zentrale Problem steht im Raum wie ein Elefant. Aber niemand darf es ansprechen. Trainer Johan Lundskog hat es in 18 Monaten und 67 Ernstkämpfen nach wie vor nicht geschafft, dem SCB ein taugliches taktisches Konzept beizubringen, das Spiel auszubalancieren und die defensive Unvollkommenheit zu kompensieren. In Langnau hat Thierry Paterlini dafür in einer mindesten so schwierigen Situation mit einer nominell im Quadrat schwächeren Mannschaft bloss 6 Monate und 16 Meisterschafts-Spiele benötigt.
Taktisch gut geschult und schlau gecoacht wäre der SCB mit seiner unvollendeten Spektakelmaschine bereits wieder ein Spitzenteam. Johan Lundskog wird mehr und mehr Schwedens Antwort auf Ueli Schwarz: Fachlich hervorragend, als Theoretiker Weltklasse. Freundlich und korrekt im Umgang mit allen und bei den Spielern beliebt – aber kein charismatischer Praktiker. Ueli Schwarz hat als TV-Theoretiker Kultstatus und als Coach nie etwas gewonnen.
Die Basis für die Zusammenarbeit mit Johan Lundskog ist in Bern inzwischen das Hoffen auf ein Wunder. Katja Ebstein hat einst mit dem Song «Wunder gibt es immer wieder» beim Eurovision Song Contest 1970 Platz drei geholt. Vielleicht reicht es ja dem SCB unter Johan Lundskog im Frühjahr auch zum 3. Platz. Um es polemisch zu sagen: Das grösste Problem beim SCB: Der Chefingenieur ist noch nicht dazu in der Lage, die SCB-Spektakelmaschine abzustimmen.
Immerhin stimmt der sportliche Spektakelwert. Trotzdem leidet der SCB unter dem bedrohlichsten Zuschauerschwund seit dem Wiederaufstieg von 1986. Nicht einmal mehr 14'000 wollten am Dienstag die Partie gegen Biel sehen. Vor Corona waren es in der Regel mehr als 16'000, oft mehr als 17'000. Die Stadionauslastung ist auf beunruhigende 83.97 Prozent gesunken. Trotz Derbys gegen Langnau und Biel und trotz eines Gastspiels von Meister Zug. Vor Corona waren es mehr als 95 Prozent.
Der Zuschauerschwund mag viele Väter haben: Eine Stadion-Infrastruktur, die mehr und mehr nicht mehr den Erfordernissen der Zeit entspricht, Nachwirkungen der Pandemie, knappere Haushaltsbudgets durch die Teuerung und unsichere Zeiten. Aber im Kern ist das Problem hausgemacht: Der SCB zahlt nun die Zeche für den Betrug am zahlenden Zuschauer.
Drei Jahre lang hat der SCB seine Sportabteilung durch groteske personelle Fehlbesetzungen ruiniert. Der SCB hat treue Fans. Aber der SCB definiert sich über seine Erfolge. Der SCB ist ein Sportunternehmen und das Wichtigste ist der sportliche Erfolg oder zumindest die Gewissheit, dass alles Menschenmögliche für den sportlichen Erfolg getan wird. Der Sport ist das Produkt, das der SCB verkauft.
Zwei Jahre lang spielte der Sport beim SCB keine Rolle mehr. Die Konzentration auf das wirtschaftliche Überlegen während der Pandemie ist nicht zu kritisieren. Das Vernachlässigen der sportlichen Führungsverantwortung aber umso mehr. Ja, die Sportabteilung des stolzen SCB wurde gar für Marketing-Gags missbraucht und zum Gespött der Szene. Aber die Fans bezahlten trotzdem den vollen Preis für das sportliche Produkt SCB. Der SCB hat zwei Jahre lang seine zahlenden Kundinnen und Kunden für dumm verkauft. Nun wird die Rechnung präsentiert.
Diese schlimmste Phase der neueren Geschichte ist inzwischen vorbei. Die Sportabteilung wird wieder seriös und kompetent geführt. Aber ein Herbst mit spektakulärem Pausenplatz-Hockey reicht noch nicht, um das auf fahrlässige Art und Weise verspielte Vertrauen beim zahlenden Publikum vollumfänglich zurückzugewinnen. Geduld ist das Gebot der Stunde. Aber die Zeit ist im Sport nicht immer ein milder Gott.
1/2
Statt rund 4 Min. vor Schluss durch ein Timeout der immer mehr an Fahrt gewinnender Linie um Dido und Ennis etwas zusätzliche Luft, welche Ennis verständlicherweise unbedingt benötigt hätte, zu verschaffen, liess der Trainer die Zeit verstreichen . Im Gegenteil. Törmänen kam ihm zu Hilfe und nahm eines. Lundskop brach mit seinem Timeout 58 sec. vor Schluss jedoch dann den aufgenommenen, eigenen Schwung grossartig. Dieser Trainer muss weg! Besser gestern als morgen. Null Einfluss auf diese (gute!!) Mannschaft.