Die Oltner sind künftig, wenn sie nicht aufsteigen, die Waisenkinder der zweithöchsten Liga. 21 Jahre nach dem Aufstieg der Untergang. Die Langenthaler haben am Mittwochabend das Profihockey stolz erhobenen Hauptes durch die Vordertüre verlassen. Nach einer 2:5 Niederlage in Olten. Der Viertelfinal ist zu Ende. Eine Ära ist zu Ende.
Eine der leidenschaftlichsten Rivalitäten unseres Hockeys wird in diesem allerletzten Spiel noch einmal gepflegt. Mit Schmähgesängen auf den Rängen. Olten gegen Langenthal. Zwei fast gleich grosse Städte. Die Oltner und die Langenthaler sind viel ähnlicher, als sie sich eingestehen können. Vielleicht ist gerade deshalb die Rivalität so intensiv. Versöhnung? Verbrüderung? Nein. Unmöglich.
Und dann ist das Spiel vor 3894 Zuschauenden aus und die Saison für Langenthal zu Ende. Es dauert vielleicht zwei oder drei Minuten, bis allen die historische Bedeutung des Augenblickes bewusst wird. Beim versöhnlichen «Handshake» nach dem Spiel auf dem Eis gibt es zwischen den Spielern mehr als einen Händedruck. Immer wieder eine tröstliche Umarmung.
Und dann die Versöhnung. In der Fankurve der Oltner wird Langenthal in Sprechchören gefeiert. «Langenthal! Langenthal! Langenthal!» (in der Mundartversion natürlich) echot es von den Rängen. Von den gleichen Männern, Frauen, Buben und Mädchen, die über die Jahre die Langenthaler nicht nur als Bauern geschmäht haben. Auf der grossen Sitzplatztribüne, dort, wo es in der Regel etwas vornehmer zu und hergeht, erheben sich alle und verabschieden die Langenthaler mit einer Standing Ovation. Wahre Hockeykultur pur.
Es ist, als ob die Oltner ahnen, spüren, was sie nun verlieren. Langenthal ist im Frühjahr 2002 in die zweithöchste Liga zurückgekehrt. Die alte Rivalität mit Olten, die schon in den 1970er und 1980er Jahren zelebriert worden ist, lebt wieder auf. Ja, in den letzten zehn Jahren haben sich die Oltner auch so definiert: Wir sind besser als Langenthal, also sind wir. Die Oltner und die Langenthaler haben in diesem Jahrhundert auch gegen die Rapperswil-Jona Lakers, gegen Kloten, gegen Lausanne, gegen Ajoie, auch gegen Biel und Langnau sportliche Dramen aufgeführt. Aber nichts vermochte die Hockeyseelen so aufzuwühlen, wie das Mittelland-Derby.
Würde die Kulturgeschichte dieses Derbys verfilmt, Steven Spielberg hätte keine bessere Schlussszene erfinden können. Die Wirklichkeit ist immer besser als die Fiktion. Die Spieler verabschieden sich vor der Gästekurve hinter dem Tor von ihren Fans. Die meisten noch in voller Montur, verschwitzt und ungekämmt. Die Sprechchöre sind einfach gestrickt und gehen in die Seele. Einer trifft es so gut: «Alles geili Sieche».
Gute zehn Minuten dauert dieser Abschied. Ein Abschied von einer grossen Zeit, die im Frühjahr 2012, 2017 und 2019 eine meisterliche war. Die Spieler kehren nach und nach zurück. Umarmungen von Freunden, Freundinnen, Helfern. Dann steigen sie die Treppe hinab in die Kabine. Viele haben Tränen der Rührung in den Augen. In Olten ist die Gästekabine unten im Keller.
Als der Uhrzeiger gegen 22.30 Uhr rückt, steht nur noch einer da. Dario Kummer (28). Der Captain. In Langenthal in der Nähe der Badi aufgewachsen. Kapitän Francesco Schettino hat einst sein Schiff als erster verlassen. Dario Kummer ist nicht der Schettino des Hockeys. Er steht bis ganz am Schluss in voller Montur Red und Antwort. Als sich seine Kameraden schon längst nach und nach in die Kabine zurückgezogen haben. Und bringt es nach dem vorzeitigen Saisonende auf den Punkt. «Es tut weh, diese Serie gegen Olten zu verlieren. Aber es tut noch mehr weh, weil es keine nächste Saison mehr gibt.»
Es gibt zwar für Dario Kummer, einer der besten Schweizer Center, der nie in der höchsten Liga einen Vertrag bekommen hat, eine Zukunft. Er hat für drei Jahre in Basel unterschrieben. Aber Basel ist nicht Langenthal. Er wird auch in Basel die Mannschaft als Leitwolf ohne Fehl und Tadel führen. Aber er wird ein «Lizenz-Basler», ein «Papier-Basler» und in der Seele immer ein Langenthaler sein. Auch Trainer Kevin Schläpfer wird künftig in Basel arbeiten. Als Sportchef oder Trainer.
Einer der traditionsreichsten Klubs (1946 gegründet) unseres Hockeys, seit 2003 wieder in der zweithöchsten Liga steigt nun freiwillig ins Amateurhockey ab (My Hockey League). Nicht viele Spieler bleiben. Sie werden sich in alle Winde zerstreuen wie die Handwerker nach dem Turmbau zu Babel.
Anders als einst der freiwillige Rückzug von Arosa aus der NLA in die 1. Liga (1986) ist Langenthals «Selbstauflösung» nicht das Produkt von unlösbaren wirtschaftlichen Problemen. Eine blühende Hockeykultur, die sogar einen NHL-Erstrundendraft hervorgebracht hat, ist von der städtischen Politik und der regionalen Wirtschaft «verraten» worden.
Eigentlich wird durch den Hockeyclub bloss die heillose politische Zerstrittenheit zwischen den politischen Lagern in einer der reichsten Ortschaften des Bernbietes sichtbar: Soeben hat das Stimmvolk in Langenthal das Budget an der Urne abgelehnt. Geht auch die zweite Abstimmung in dieser Sache verloren, wird Langenthal von der Kantonsregierung zwangsverwaltet. Wäre die Politik strukturiert wie das Eishockey, würden Langenthals Politikerinnen und Politiker zwangsrelegiert.
Klub-Präsident Gian Kämpf, in feines Tuch gekleidet und durch ein schönes Halstuch vor der heraufziehenden Kälte geschützt, ist bis zur bitteren Neige geblieben. Während sich seine Spieler von den Fans verabschieden, hält er sich im Hintergrund und sagt: «Ich habe mich auch im Erfolg nie nach vorne gedrängt.» Das stimmt. Aber es ist noch etwas anderes als Bescheidenheit. Er ahnt: Den Schwefelgeruch dieses Abstieges wird er nie aus den Kleidern bringen. Es ist auch für ihn ein bitterer Moment. Seine Spieler gehen als verlorene, als verratene Helden in die Oberaargauische Sportgeschichte ein. Und er als einer der «Verräter».
Was wird nun aus Olten? Wie definieren sich die Oltner künftig? Besser sein als Visp, La Chaux-de-Fonds, Sierre oder Thurgau ist ja auch schön. Aber es wird nicht so schön sein wie das Gefühl, besser zu sein als Langenthal. Die Oltner bleiben ohne Langenthal in der zweithöchsten Liga irgendwie alleine und verlassen zurück wie Waisenkinder. Wie die verlorenen Seelen des Profihockeys.
Ein Grund mehr, nun alles für den Aufstieg, für die Rückkehr in die oberste Liga zu tun. 1994 ist Olten aus der damaligen NLA abgestiegen. Sind die Oltner gut genug für die Promotion? Die vier Siege gegen Langenthal nach der Startniederlage liefern noch keine Antwort auf diese Frage. Die emotionale Ausgangslage – Olten hatte alles zu verlieren, Langenthal alles zu gewinnen – wirkte hemmend.
Die Leichtigkeit fehlte, um die klare technische und läuferische Überlegenheit umzusetzen. Die Oltner hatten den klar besseren Goalie, die viel besseren Ausländer, sie waren viel ausgeglichener besetzt und blieben doch spielerische Proletarier. Sie haben die Langenthaler nicht vom Eis gefegt. Obwohl sie dafür das Talent und Tempo hatten. Sie mussten die mutigen, tapferen Langenthaler vom Eis arbeiten.
So gesehen war es die perfekte Vorbereitung auf das, was nun folgt: Wollen die Oltner aufsteigen, dann müssen sie nun Gegner für Gegner vom Eis arbeiten. Im Halbfinal. Im Final. In der Liga-Qualifikation.
Langenthal wurde Meister und wir fanden uns mit der Situation ab nochmals eine Saison B spielen zu müssen.
machets guet, scl. mer werde üch vermisse!
Die Szenen nach dem Spiel waren sehr emotional. Die SCL-Fans, die minutenlang ihr Team besungen haben (grosse Klasse) sowie das Oltner Publikum, das immer wieder unter tosendem Applaus den SCL verabschiedet hat. Viele Tränen bei den SCL-Anhängern, aber auch viele Oltner Fans, die leer schlucken mussten am Ende. Trotz all der Rivalität, das war sehr berührend und wird lange Zeit in Erinnerung bleiben. Beide Vereine brauchen einander eigentlich
Ich hoffe wir werden uns wieder sehen, lieber früher als später. Derbys sind das Beste!