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Gottéron, der vergessene Riese und ein Spieler des Jahres

Gotterons Julien Sprunger, Mitte, jubelt mit seinen Teamkollegen Killian Mottet, Ryan Gunderson, Marcus Soerensen und David Desharnais nach dem Tor zum 0-1, im Eishockey Meisterschaftsspiel der Nation ...
Die Gottéron-Spieler bejubeln einen Treffer beim Spiel gegen den SC BernBild: keystone
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Gottéron, der vergessene Riese und ein Spieler des Jahres

Die verrückteste Geschichte einer ohnehin turbulenten Saison: Gottéron ist ohne Reto Berra besser. Weil Gottérons Sportchef und Trainer Christian Dubé die Nerven nicht verloren hat. Aber er sollte in der Unterstadt trotzdem zehn Cardinal bestellen.
20.11.2022, 15:2520.11.2022, 16:12
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Was wäre Gottéron ohne Reto Berra? Das ist sei fünf Jahren die bange Frage. Der WM-Silberheld von 2013 und 2018 hat seit seiner Ankunft in Fribourg jede Saison mindestens 43 Partien bestritten. Gottéron ohne Reto Berra ist noch Anfang Oktober 2022 so unvorstellbar wie Zug ohne Leonardo Genoni.

Und dann scheint das Ende der Welt nahe: Nach sechs Einsätzen ist die Saison für Reto Berra schon Anfang Oktober vorerst zu Ende: Rückenoperation. Frühestens im Januar gibt es eine Neubeurteilung seiner Einsatzmöglichkeit. Für die Getreuen von Gottéron in der Unterstadt ist klar: Jetzt hilft nur noch der grosse Rosenkranz. Der kleine Rosenkranz genügt angesichts dieser schwierigen Situation bei weitem nicht mehr. Zur Erklärung: Der grosse Rosenkranz: Zehn Cardinal in der Unterstadt in einem Zug austrinken. Der kleine Rosenkranz: Fünf Cardinal. So jedenfalls geht die Legende.

Gottéron hat bis zum Ausfall von Reto Berra acht Partien bestritten. Es läuft nicht so recht. Erst drei Siege (gegen die Lakers, Kloten und Davos). Natürlich alle drei mit Reto Berra. Connor Hughes ist zweimal zum Einsatz gekommen. Bei der schmählichen Niederlage gegen Ajoie (2:4) wehrt er klägliche 84,21 Prozent der Schüsse ab. Gegen Ajoie! Beim zweiten Einsatz gegen Langnau ist er zwar besser. 90 Prozent Abwehrquote. Aber das Spiel endet mit einer Verlängerungsniederlage (1:2). Gegen Langnau! Offenbar ist er auch ein Unglücksrabe. Bitte zehn Cardinal!

PostFinance Top Scorer Fribourg's defender Ryan Gunderson, left, and Fribourg's goaltender Reto Berra, right, look the puck, during the game of National League A (NLA) Swiss Championship bet ...
Ohne Reto Berra im Tor läuft es für Gottéron besser.Bild: keystone

Und nun ist alles anders. Die Getreuen Gottérons freuen sich über ein Wunder. Gottéron ist ohne Reto Berra besser. Der vergessene, der verkannte Riese Connor Hughes hat inzwischen 13 Partien als Berra-Ersatz bestritten. Er ist statistisch gar der beste Goalie der Liga. Mit ihm hat Gottéron acht der letzten elf Spiele gewonnen. Soeben hat er mit sagenhaften 96 Prozent Abwehrquote den Sieg im ausverkauften Tempel zu Bern (3:1) ermöglicht.

Die logische Massnahme nach dem Ausfall von Reto Berra: Die Verpflichtung eines ausländischen Goalies. Denn: Kein Sportchef, der bei Sinnen ist, setzt in einer so ausgeglichenen Meisterschaft wochenlang auf einen Torhüter, der noch nie die Nummer 1 war. Wenn der Sportchef jetzt nicht zügig handelt, riskiert er den Ruin einer ganzen Saison. Bitte zehn Cardinal.

Aber Christian Dubé reagiert nicht sowie es logisch wäre. Er setzt auf Connor Hughes. Mein Gott, Christian! Bitte zehn Cardinal! Ja, schlimmer noch: Er verpflichtet nicht einen ausländischen Torhüter. Sondern Mitte Oktober wegen der Verletzung von Marcus Sörensen mit Viktor Rask einen zusätzlichen ausländischen Stürmer. Mein Gott Christian! Wie soll das bloss enden? Bitte zehn Cardinal!

Warum der Verzicht auf einen ausländischen Goalie? Kein Budget mehr oder Vertrauen in Connor Hughes?« Eine Mischung von beidem,» sagt Christian Dubé. «Wir haben den Markt sondiert und es gab ein paar Optionen. Aber nach reiflicher Überlegung haben wir uns dazu entschieden, Connor eine Chance zu geben. Er hat sich diese Chance verdient». Mit Torhütertrainer David Aebischer hat Connor Hughes seit drei Jahren einen Mentor. Wofür ist denn so viel Arbeit, so viel Energie in die Ausbildung des zweiten Goalies gesteckt worden? Um ihm jetzt eine Chance zu geben.

Es hat wohl geholfen, dass bei Gottéron der Trainer auch Sportchef ist. Wäre Christian Dubé nur Trainer, hätte er beim Sportchef wohl vehement einen ausländischen Goalie gefordert. Mit Sinn für Selbstironie sagt er: «Gut möglich, aber dann habe ich mit meinem Sportchef diskutiert und wir sind gemeinsam zum Schluss gekommen, dass wir Connor eine Chance geben …»

Fribourg-Gotteron Cheftrainer Christian Dube waehrend dem Eishockey-Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem EHC Kloten und dem HC Fribourg-Gotteron am Dienstag, 1. November 2022, in Klote ...
Hat einen klaren Plan: Christian Dubé.Bild: keystone

Christian Dubé rühmt die Professionalität seiner vormaligen Nummer 2, den Willen, sich tagtäglich zu verbessern. Etwas, was bereits vor Jahren auch Ambris Sportchef Paolo Duca aufgefallen ist. Connor Hughes kommt im Sommer 2017 zum Probetraining nach Ambri – und bleibt. Gesucht wird ein Goalie fürs Farmteam (Ticino Rockets). Seither spielt der kanadisch-schweizerische Doppelbürger in der Schweiz. Bis 2019 bei den Rockets, dann eine Saison in Langenthal (als Nummer zwei hinter Philip Wüthrich) und seit 2020 für Gottéron.

Einst ein vergessener Riese bei den Rockets und nun der Spieler des Jahres bei Gottéron. Wie ist das möglich? Die Bezeichnung «Spieler des Jahres» ist wohl gerechtfertigt. Connor Hughes vermag nicht nur in den grossen Schuhen von Reto Berra, einem Titanen unseres Hockeys, einem doppelten WM-Silberhelden, einem ehemaligen NHL-Profi zu stehen. Er ist sogar besser.

Connor Hughes ist ein ruhiger, ja sanfter Riese (193 cm/102 kg). Die perfekte Postur für das moderne Hockey. Gegen Stürmer, die immer präziser, unverhoffter und härter schiessen und die Reaktionszeit überfordern. Ein cooler Blocker, der die Winkel geschickt verkürzt und viel Fläche abdeckt, richtet oft mehr aus. Ohne die sonst für Torhüter mit nordamerikanischer Grundschule so typischen Aggressivität. Connor Hughes zieht den Stürmern den Nerv mit seiner stoischen Ruhe. So passt er perfekt in die Defensivorganisation eines Teams. Christian Dubé sieht zwei Faktoren: einerseits die herausragenden Leistungen seines Torhüters, andererseits die sehr gute Defensive.

Auch das gehört zu den Besonderheiten der Saison: Gottéron hat sich unter Christian Dubé inzwischen zu einem der defensiv besten Teams der Liga entwickelt. Die statistisch zweitbeste Verteidigung der vergangenen Qualifikation und auch jetzt am zweitwenigsten Gegentreffer.

Was die Zuversicht der Getreuen Gottérons noch besser illustriert als die Statistik: Am Samstag sitzt auch Frank Stettler auf der Tribüne. Im Sold der «Freiburger Nachrichten» ist er Gottérons Edelchronist und wie sonst keiner vermag er den Puls zu spüren. Er sagt vor dem Spiel, in der ersten Pause, in der zweiten Pause und vor der hektischen Schlussphase: «Der SCB wird höchstens ein Tor erzielen». Und begründet seine unerschütterliche Zuversicht: «Weil Gottéron defensiv gut spielt.» Zur Geschichte Gottérons gehört seit Anbeginn der Zeiten überschwängliches Lob des offensiven Spektakels. Dass die Verteidigung gerühmt wird, ist wahrlich neu. Der SCB verliert 1:3.

Das Timing ist perfekt für Connor Hughes: Ende Saison läuft der Vertrag aus. Mit 26 ist er im besten Alter. Sein Ziel ist es, eine Nummer eins zu werden. Oder zumindest auf Augenhöhe mit einem zweiten Torhüter die Arbeit zu teilen. Das wird bei Gottéron kaum möglich sein. Kehrt Reto Berra zurück (er verdient fast viermal so viel wie Connor Hughes) wird er wieder die Nummer 1 sein. Auch aus klubpolitischen Gründen.

Gotterons Torhueter Connor Hughes, rechts, und Gotterons Simon Seiler, links, jubeln nach dem Sieg 4-1, beim Eishockey Meisterschaftsspiel der National League A zwischen den HC Fribourg Gotteron und d ...
Hat aktuell gut lachen: Connor Hughes (rechts).Bild: keystone

Aber die Frage ist: Wie gut wird Reto Berra sein, wenn er zurückkommt? Er wird im Januar 36. Sein Vertrag läuft noch bis 2024. Gut möglich, dass er Entlastung braucht. Dass er sich künftig die Arbeit mit Connor Hughes teilt und nicht mehr über 40 Partien pro Saison spielt.

Für Sportchef Christian Dubé ein hochheikles Geschäft. Connor Hughes kann jetzt, nach bestandener Reifeprüfung, den besten Vertrag seiner Karriere, mindestens eine Verdoppelung seines Salärs herausholen. Hat Gottéron das Budget für zwei teure Goalies?

Inzwischen sagt beispielsweise Langnaus Sportchef Pascal Müller: «Es hilft halt schon, wenn wir sechs ausländische Feldspieler einsetzen können und keine Ausländerlizenz für einen Goalie brauchen.» Perfekt für Langnau wäre ein zweiter Torhüter, der nächste Saison die Arbeit mit Luca Boltshauser teil. Die aktuelle Nummer zwei Stéphane Charlin steht bis 2024 bei Servette unter Vertrag und ist nur leihweise im Emmental. Connor Hughes würde perfekt zu Langnau passen. Pascal Müller bestätigt: «Connor Hughes ist auf unserer Liste …»

Derek McCann ist der Agent von Connor Hughes. Ein kluger, freundlicher junger Mann mit Lausbubencharme, der dieses Handwerk von seinem Vater Danny McCann gelernt hat. Die McCanns sind Spezialisten für nordamerikanisch-schweizerische Doppelbürger und den Rolex-Handel auf den Transferwühltischen. Sie haben einst den Transfer von Chris DiDomenico nach Italien und dann von dort nach Langnau und zu Gottéron orchestriert. Und im letzten Sommer den Wechsel von Gottéron zum SCB. Weil Christian Dubé kein Budget für eine Lohnerhöhung hatte.

Es kann Christian Dubé helfen, wenn er ganz entgegen seinen Gewohnheiten gelegentlich zehn Cardinal bestellt. Damit ihm der grosse Rosenkranz hilft, die richtige Entscheidung zu treffen. Und die Getreuen von Gottéron sollten nach wie vor in der Unterstadt fleissig zehn Cardinal ordern. Denn Gottéron braucht den Beistand der Hockey-Götter. Damit Connor Hughes weiterhin der bessere Reto Berra sein kann. Damit Gottéron vielleicht doch einmal Meister wird. Oder wenigstens vor einer Krise verschont bleibt.

Gottérons Glück war schon immer zerbrechlich. Der kleine Rosenkranz – fünf Cardinal – reicht nicht, um die Hockey-Götter gnädig zu stimmen.

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quelle: keystone / ennio leanza
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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Name the Nick
20.11.2022 17:16registriert April 2021
Grosse Rosenkränze, fette Adventskränze, breite Türkränze, hohe Grabkränze... wir haben hier schon immer alles, und werden alles saufen, wenn es hilft, damit Gotteron es endlich schafft ;-)
ps. wenigstens hat es Gotteron länger im Oberhaus gehalten, als Cardinal: in der Zwischenzeit bestellt man eher ein Fri-mousse, Freiburger Biermanufaktur, Juschts, etc. als das untergegangene Cardinal
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Peter Griffin
20.11.2022 18:37registriert April 2019
Cooler Schachzug von Dubé. Nur keine Panik, so sollten mehr Sportchefs agieren. Auf das Team vertrauen.
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Dan Rifter
20.11.2022 16:20registriert Februar 2015
Auch in der Unterstadt gibt es mittlerweile wesentlich besseres und erst noch in Freiburg gebrautes Bier.
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