5:0 im Viertelfinal gegen das zuvor unbesiegte Russland. Wie ist diese Sensation möglich? Die Schweiz wird auf diesem Niveau nie die talentiertere Mannschaft haben als die Schweden, Tschechen, Amerikaner, Finnen, Kanadier oder die Russen. Aber die Schweizer erreichen immer wieder dank ihrer Spielintelligenz (und damit der Taktik) erstaunliche Erfolge gegen alle Grossen.
Russland hat etwas mehr als 80'000 Junioren. In der Schweiz sind es rund 13'000. Die Russen stellen aus brillanten Einzelspielern ein Team zusammen. Die Schweizer haben nicht genug Stars für eine ganze Mannschaft. Sie brauchen mehr als die anderen Grossen auch Rollenspieler.
So kompensieren sie das fehlende Talent mit einem Team, in dem jeder seine Rolle findet und im Idealfall die einzelnen Spieler zusammenpassen wie in einem Uhrwerk. Dieser Idealfall ist im Mannschaftsport eher selten. Deshalb spielen wir bei Titelturnieren nicht jedes Jahr um Medaillen. Bei der richtigen WM zuletzt 1992 (4.), 1998 (4.) und 2013 (2.). Bei den Junioren ist es immerhin schon das 10. Mal seit 1996.
Diese U18-Nationalmannschaft funktionierte nach einem schwierigen Start (drei Niederlagen, ein Sieg) gegen Russland im Viertelfinal erstmals wie ein Hockey-Uhrwerk. Cheftrainer Manuele Celio ist es im Laufe des Turniers gelungen, die Mannschaft zu ordnen und die Schwächen zu beheben. Die Prognose von watson.ch nach der ersten Partie («Ein Schweizer Wunder an der U 18-WM ist möglich») hat sich erfüllt.
Torhüter Jore van Pottelberghe hat seine Unsicherheit überwunden und im entscheidenden Moment die beste Partie gespielt. Die Leitwölfe Jonas Siegenthaler und Denis Malgin haben sich ins Team integriert, ihre Rolle gefunden und ihre Mitspieler besser gemacht. Der smarte Denis Malgin und der teuflisch schnelle Auguste Impose waren gegen die Russen ein dynamischen Duo, wie es die Schweizer auf internationalem Niveau noch nicht oft gehabt haben. Die beiden zelebrierten drei Treffer.
Jonas Siegenthaler spielte gegen die Russen in der Abwehr erstmals die dominierende Rolle, die von ihm aufgrund seines Talentes und seiner NLA-Erfahrung bei den ZSC Lions erwartet wird.
Der Cheftrainer hat das Spiel endlich geordnet und seine taktische Handschrift ist lesbar geworden. Manuele Celio hat für diese Entwicklung eine einleuchtende Erklärung: «Spieler im Juniorenalter reagieren nicht gleich wie Erwachsene. Sie neigen dazu, die Anweisungen des Coaches zu ignorieren. Weil sie glauben, es besser als die Alten zu wissen. Aber sie lernen schnell aus Fehlern. Wir haben alle aus den Fehlern in den ersten Spielen die richtigen Schlüsse gezogen. Die Spieler haben sich gegenseitig angespornt und haben den Zusammenhalt einer Familie gefunden.»
Auf dem Eis haben wir gegen die Russen eine der erstaunlichsten Schweizer Nationalmannschaften der Neuzeit gesehen. Für einmal erlebten wir nicht, wie so oft bei Sensationen, ein Drama. Es war kein Hoffen und Bangen und Zittern. Kein Herunterzählen der letzten Sekunden und die Erlösung aus atemloser Spannung.
Nein, es war diesmal anders. Eigentlich so wie noch nie. Eine Sensation, wie es noch keine gegeben hat. Weil sie am Ende so gewöhnlich war. Ein Hoffen und Bangen und Zittern ist es nur in der ersten Phase. Bis zum 2:0 kurz nach Spielmitte (33.). Von da weg wird es ein taktischer und spielerischer Monolog. Das Spiel läuft mit der unerbittlichen Präzision eines Uhrwerks.
Die Schweizer dominieren in einem der besten Junioren-Länderspiele aller Zeiten alle drei Zonen Sie sind in jedem Bereich besser, werden immer selbstsicherer, gewähren ihren Gegenspielern keinen Raum, lassen keine schnellen Konter zu, gewinnen die meisten Zweikämpfe, sind cool und die Tore fallen schliesslich auf zwingende Art und Weise. 5:0 steht es am Ende. Die Russen sind völlig ratlos.
Cheftrainer Manuele Celio lässt vier Linien durchlaufen. Er muss seine Schlüsselspieler nicht über Gebühr forcieren. Die dritte Linie (Thurkauf, Volenjnicek Forrer – drei Zuger Junioren) spielt auf Augenhöhe mit dem ersten Block und erzielt zwei Treffer. Diese erstaunliche Ausgeglichenheit ist gerade im Hinblick auf den Energie-Haushalt im Halbfinal gegen Finnland wichtig.
Ja, die Russen waren überheblich. Manuele Celio sagt sogar: «Die Russen haben vor dem Spiel eine Niederlage ausgeschlossen. Wir haben diese Arroganz am Vortag im Training und am Spieltag beim Aufwärmen gesehen. Das hat uns Mut gemacht.» Wenn man den Russen Raum und Zeit gebe, um die überlegene Technik auszuspielen, dann habe man keine Chance. «Also durften wir nicht so spielen, wie sie es gerne haben. Das haben wir getan. Wir haben ihnen keinen Raum und keine Zeit gelassen.»
Alles passte zusammen. Die Schweizer haben sich Spiel für Spiel gesteigert. Der Gegner unterschätzte den vermeintlichen Aussenseiter. Am Ende steht ein 5:0. Klar und eindeutig: 35:29 Torschüsse.
Nun ist alles möglich. Am Samstag (19 Uhr) spielen die Schweizer gegen Finnland um den Finaleinzug. Die Finnen setzten sich im Viertelfinal gegen die Slowakei mit 3:0 durch und haben im ersten Turnierspiel gegen die Schweiz 3:1 gewonnen. Aber da hatte bei den Schweizern noch nicht viel zusammengepasst. Jetzt stehen die Chancen 50:50. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.