In Ambri, Fribourg und Biel werden Spiel und Kultur stärker durch Leidenschaft, Emotionen und «Hockey-Voodoo» geprägt als bei der Konkurrenz. Nominell sind die drei Teams nicht gut genug für die Playoffs. Und doch kann mit Leidenschaft und Voodoo die raue spielerische Realität überwunden werden und die Überraschung gelingen. Gerade weil die Emotionen auf dem Eis, im Stadion und in der Chefetage so sehr zur Kultur dieser Unternehmen gehören, haben die Trainer einen schweren Stand. Aber nur Biel hat mit dem Feuerkopf Kevin Schläpfer den perfekten Trainer für ein emotionales Hockey-Unternehmen.
Gottéron sucht auf und neben dem Eis eine neue Ordnung. Es braucht wieder einmal den «heiligen Zorn».
Gottérons sportliche Herrlichkeit ist fast so rasch und unerwartet zerfallen wie einst die Sowjetunion. 2013 Qualifikationssieger und Finalist. 2014 auf Platz 2 und Halbfinalist. Letzte Saison bloss noch Rang 9 und keine Playoffs.
Dieser Untergang ist nicht in erster Linie die Folge eines dramatischen Substanzverlustes. Zehn Finalisten von 2013 sind immer noch dabei. Aber es passte letzte Saison zu vieles nicht mehr zusammen. Passt künftig wieder alles zusammen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Die Jahre der Harmonie, in denen alles passt und alles seine Ordnung hat, sind bei Gottéron ja sowieso die Ausnahme. Dieses Hockeyunternehmen war seit seinem Aufstieg in die höchste Spielklasse (1980) schon immer mehr Aussenseiter als Spitzenreiter, und in seinen bisherigen 35 NLA-Saisons 17 Mal auf Rang 7 oder schlechter klassiert.
Der Absturz auf Rang 9 ist also eher eine Rückkehr zu den Ursprüngen als ein Schock. Das wahre Gottéron kämpft und leidet, bangt und hofft, schreibt sportliche Dramen und Tragödien. Das wahre Gottéron ist emotional und leidenschaftlich und nicht rational und berechnend. Das wahre Gottéron badet im Wechselbad der Gefühle und nicht im Champagner.
Trotz aller Wirrungen und Irrungen auf und neben dem Eis haben sich noch immer alle rechtzeitig zusammengerauft und einen Weg aus der sportlichen oder wirtschaftlichen Krise gefunden. Das wahre, das leidenschaftliche, vom «heiligen Zorn» beseelte Gottéron kann sogar für eine positive Überraschung sorgen. Aber hat Gottéron den Trainer, um den «heiligen Zorn» zu entfachen? Wahrscheinlich nicht.
Am 12. Oktober 2014 hat Gerd Zenhäusern das Amt von Hans Kossmann übernommen. Der Gegensatz zwischen dem alten und dem neuen Trainer könnte extremer nicht sein. Hans Kossmann war der autoritäre, charismatische Bandengeneral, der bisweilen die verbalen Schmerzgrenzen überschritt. Der freundliche Gerd Zenhäusern hat hingegen kaum Charisma und in seiner Aussenwirkung nichts Autoritäres. Eher etwas Pastorales. Er ist ein «Spielerflüsterer». Kein Poltergeist.
Ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir sagen: Wenn schon Hans Kossmann seines Amtes nicht sicher war, so ist es Gerd Zenhäusern erst recht nicht. Eigentlich befindet sich Lausannes Aufstiegstrainer von 2013 (er hatte als Nothelfer für John van Boxmeer das Team übernommen) in einer fast unmöglichen, kafkaesken Situation. Sein letztjähriger Spieler Christian Dubé ist nun als Sportchef sein Herr und Meister, und im Verwaltungsrat sitzt mit dem ehemaligen Gottéron-Kultstürmer Slawa Bykow einer der weltbesten Trainer, der soeben in Russland den Titel holte, sich eine Denkpause gönnt und viel Freizeit hat.
Das ist, etwas frivol gesagt, ungefähr so, wie wenn einer dabei ist, nach bestem Wissen und Gewissen seine ehelichen Pflichten zu erfüllen, aber abwechselnd die Schwiegermutter und die Schwägerin ins Schlafzimmer kommen und fragen, ob auch alles in Ordnung sei oder ob man etwas helfen oder bringen könne.
Es wäre respektlos zu sagen, Gerd Zenhäusern werde im Laufe der Saison gefeuert. Deshalb sagen wir es nicht und auch Christian Dubé und Slawa Bykow sagen es nicht. Aber zu viele andere sagen es.
So droht Gottéron erstmals der 12. und letzte Platz. Aber es wird ein Happy-End geben. Mit den Tugenden der Vergangenheit wird es erneut gelingen, die Gegenwart zu überstehen.
Die Polemik ums Personal gehört in Ambri seit Anbeginn der Zeiten zur Kultur dieses einzigartigen Hockeyunternehmens. Vielleicht braucht Trainer Serge Pelletier doch einen Wintermantel.
Wäre Ambri ein gewöhnliches Eishockey-Unternehmen, dann wäre es schon im letzten Jahrhundert von der Landkarte verschwunden. Starke, eigenwillige, oft charismatische Persönlichkeiten entfachen immer wieder die Leidenschaft und sorgen auf und neben dem Eis dafür, dass Ambri nicht untergeht.
Bei der Selbstdarstellung wird gerne auf die Comic-Reihe «Asterix» verwiesen. So wie sich das winzige gallische Dorf erfolgreich gegen die allmächtigen Römer behauptet, so lässt sich Ambri im helvetischen Hockey- Imperium nicht unterkriegen, und kuscht schon gar nicht vor Lugano.
Als Fremder König (Trainer) zu sein, ist eher noch schwieriger, als das Dorf der Gallier zu regieren. Deshalb haben es in Ambri die Trainer und die Sportchefs noch nie leicht gehabt. Polemik um das sportliche Führungspersonal gehört zur Unternehmenskultur.
Und so wundert es uns nicht, dass in diesen schwierigen sportlichen Zeiten der Meinungsstreit rund um Trainer Serge Pelletier schon lange vor dem Saisonstart begonnen hat und nicht verebben will. Die Frage ist scheinbar nicht ob, sondern wann er entlassen wird. Wieder einmal sind sich die meisten einig, dass der Trainer keinen Wintermantel braucht. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass in Ambri eine Geschichte ganz anders endet, als alle erwartet haben.
Serge Pelletier hat Ambri im Frühjahr 2014 nach einer siebenjährigen Playout-Depression wieder in die Playoffs geführt. Zu Recht ist diese Leistung mit einer vorzeitigen Vertragsverlängerung bis 2016 honoriert worden. Das Problem ist nur: Inzwischen hat der eingebürgerte Kanadier die Magie des Erfolges verloren. Letzte Saison musste Ambri schon früh alle Hoffnungen auf erneute Playoffs fahren lassen, kam nur noch auf Rang 11 und musste am Ende gar gegen die Lakers playouten.
Im April ist Serge Pelletier als Sportchef abgesetzt worden und diese Position bekleidet nun der schlaue Netzwerker, Machiavellist und ehemalige Lugano-Trainer (!) Ivano Zanatta. Er steht natürlich hinter seinem Trainer. Wie es sich für einen seriösen Sportchef im Tessin gehört. Aber niemand weiss, ob mit oder ohne Messer. Wir sind ja im Tessin.
Dabei sind die Aussichten ja gar nicht so schlecht. Die erfreuliche Nachricht: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Ambri gleich drei Torhüter unter Vertrag, die in den letzten zwei Jahren zu Aufgeboten ins Nationalteam gekommen sind. Die etwas weniger gute Nachricht: Es handelt sich lediglich um Sandro Zurkirchen, Tim Wolf und Michael Flückiger. Aber immerhin. Das Goalie-Problem, das letzte Saison eine der Ursachen für die Krise war, sollte gelöst sein.
Biel hat das modernste Stadion der Schweiz. Aber ist das spielerische Aschenputtel nach dem Umzug ins Hockey-Märchenschloss noch immer von der gleichen Leidenschaft beseelt?
Neue Stadien markieren den Beginn einer neuen Ära. Die Bieler sind seit dem Wiederaufstieg von 2008 mit den für einen Aussenseiter typischen Qualitäten wie Stolz, Leidenschaft, Disziplin und Schlauheit weit über sich hinaus gewachsen. Und das Management hat mit Bescheidenheit, Sparsamkeit und Kostenkontrolle die wirtschaftliche Basis gelegt und dafür gesorgt, dass die Emotionen nie über die Ufer der Vernunft getreten sind. Die perfekte Mischung aus der Begeisterungsfähigkeit des Trainers, der Leidenschaft der Spieler und dem Realismus des Managements haben ein Hockeywunder möglich gemacht.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Bewahrung dieser alten Tugenden im neuen Stadion. Dann ist Schritt für Schritt die Entwicklung hin zu einem Spitzenteam möglich. Kann Kulttrainer Kevin Schläpfer die Emotionen auch im fünften Amtsjahr und in einem neuen Stadion entfachen, das so modern ist, dass die Romantik des alten Tempels ganz verloren gegangen ist? Mit der dritten Playoff-Qualifikation in vier Jahren hat er solche Zweifel eigentlich zerstreut. Seine dritten Playoffs 2015 sind fast so hoch zu werten wie Arno Del Curtos Meistertitel 2015.
Kevin Schläpfer ist, wie HCD-Trainer Del Curto, authentisch. Er kann eine Gruppe junger Männer zu ausserordentlichen Leistungen inspirieren und befeuern. Er hat in Biel zusammen mit Geschäftsführer Daniel Villard und Sportchef Martin Steinegger eine ganz besondere Kultur aufgebaut und zieht als Held in den neuen Bieler Eishockey-Tempel ein.
Aber noch nie seit der Einführung der Playoffs hat sich der äussere Rahmen für eine Mannschaft so dramatisch verändert wie in Biel. Aus einem engen Treibhaus der Emotionen, von dessen Dach im besten Wortsinne die Geschichte in Form von Kondenswasser tropfte ins modernste Stadion der Schweiz mit riesigen Kabinen und Gängen – die Bieler sind von der Stadioneiszeit ins 21. Jahrhundert katapultiert worden.
Der Einfluss eines solchen Kulturschockes sollte gerade bei einem Team nicht unterschätzt werden, das so sehr auch von seiner Leidenschaft lebt. Verkraften der Trainer und die Spieler diesen Kulturschock, dann kann Biel bis in drei Jahren ein Team der vorderen Tabellenhälfte werden.
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Auch die Kleinen haben eine Chance auf die Playoffs.
Und keiner der Grossen hat die Playoffs schon auf fix.
Ich hoffe jedenfalls fest, dass Biel und Ambri das Wunder vollbringen und nicht in die Playouts müssen.
Endlich geht Hockey wieder los. Endlich Schluss mit den überbezahlten Fussball-Jammerlappen