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Michel Riesen: Schon wieder ein neuer HCD-Trainer

Der Davoser Top Scorer Michel Riesen beim Playoff Viertelfinal Eishockeyspiel der National League A zwischen dem HC Davos und dem HC Lugano, am Samstag, 7. Maerz 2009, in der Vaillant Arena in Davos.  ...
Der langjährige HCD-Stürmer Michel Riesen soll den strauchelnden Titanen zum Erfolg zurückführen.Bild: PHOTOPRESS
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Schon wieder ein neuer HCD-Trainer – oder die Einsamkeit des Präsidenten

Michel Riesen übernimmt bis auf weiteres das Chef-Traineramt beim HC Davos. Der Rekordmeister wird im grossen, vorweihnachtlichen Krisentheater zur Eishockey-Antwort auf den FC Sion.
29.11.2018, 13:3229.11.2018, 16:23
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Zuerst eine Stabilität von geradezu biblischen Dimensionen. Seit 1996 der gleiche Trainer. Während 22 Jahren und paar Wochen führt Arno Del Curto (62) den HC Davos als Cheftrainer und beschert seinem Arbeitgeber sechs Meistertitel. In der gleichen Zeitspanne hat der FC Sion mehr als 50 Trainer beschäftigt. Und keine Meisterschaft gewonnen.

Und nun wird selbst Sion-Boss Christian Constantin ein wenig neidisch. Der wohl weltweit emsigste Trainer-Entlasser. Drei verschiedene Cheftrainer in sieben Tagen. So schnell hat nicht einmal er seine Seitenlinien-Generäle ausgewechselt.

Am Sonntag besiegt Arno Del Curto im Zürcher Hallenstadion die mächtigen ZSC Lions 5:1. Und legt am Dienstag sein Amt nieder. Neuer Cheftrainer wird Remo Gross, sein ewiger Assistent. Und der verliert noch am Abend des gleichen Tages den Cup-Viertelfinal gegen Rapperswil-Jona kläglich in der Verlängerung (3:4). Er erkennt, dass er nicht Cheftrainer kann, und wirft das Handtuch. Nun wird am Freitag Michel Riesen (39) den HCD gegen Servette coachen. Ein wahrlich heldenhafter Einstand. Der Trainer-Frischling darf gleich gegen Chris McSorley, das ausgefuchsteste Schlitzohr der Liga, antreten.

Domenig unter Zugzwang

Michel Riesen wird im Amt bleiben, bis Präsident Gaudenz Domenig eine dauerhafte Lösung für die wichtigste sportliche Führungsposition in seinem Unternehmen gefunden hat. Nein, keine billige Polemik. Die hat der HC Davos nicht verdient. Nur eine ganz nüchterne Analyse.

Nun also Michel Riesen. Eine Legende im besten Wortsinn. Der Bieler ist 1997 der erste NHL-Erstrundendraft (Nr. 14 / Edmonton). Eine NHL-Karriere macht er zwar nicht (12 Spiele / 1 Assist). Und doch ist er ein Pionier und wird einer von Arno Del Curtos Schlüsselspielern.

Michel Riesen war bislang als Trainer der Elite-Junioren tätig.
Michel Riesen war bislang als Trainer der Elite-Junioren tätig.bild: screenshot srf

Der eher introvertierte Freund von Leitwolf Reto von Arx gilt bis heute als einer der kaltblütigsten, abschlussstärksten Stürmer unserer Hockeygeschichte. Im Frühjahr 2009 verlässt er Davos und lässt seine Karriere in Rapperswil-Jona und Basel ausklingen. 2015 kehrt er zurück und beginnt in der Nachwuchsabteilung zu arbeiten. Diese Saison ist er Cheftrainer der HCD-Elitejunioren.

Die Davoser, einst das feuerkräftigste Offensivteam der Liga, treffen nicht mehr ins Netz. Nur noch Schlusslicht Rapperswil-Jona hat in dieser Saison weniger Tore erzielt. Das ist einer der vielen Gründe für die Krise. Wenn einer vormachen kann, wie man ins Netz trifft, dann Michel Riesen. In seiner besten Zeit traf er mit einem Direktschuss eine Fliege im Sturzflug.

«System Del Curto» ist veraltet

Soweit die nüchternen Fakten. Und nun doch noch ein wenig Polemik. Das Kommen und Gehen auf der wichtigsten sportlichen Chefposition im Klub zeigt uns, wie schwierig es wird, das Erbe von Arno Del Curto aufzuarbeiten.

In der Not werden die grossen Namen der Vergangenheit in die Gegenwart zurückgeholt und mit grossen Führungsaufgaben betraut. Der HCD macht also das, was andere auch schon getan haben.

ARCHIVBILD ZUM RUECKTRITT VON DAVOS-TRAINER ARNO DEL CURTO --- Davos' Cheftrainer Arno Del Curto, beim Eishockey-Qualifikationsspiel der National League A zwischen dem HC Davos und dem Lausanne H ...
Was Del Curto in dieser Situation wohl tun würde?Bild: KEYSTONE

Präsident Gaudenz Domenig hat das grösste Problem erkannt. Er will sozusagen einen neuen HCD erschaffen und sagt: «Der HCD soll auch ein Unternehmen mit Strukturen werden.» Also ein wenig wie der SCB, Zug, die SCL Tigers oder die ZSC Lions. Ohne dabei die eigene Identität aufzugeben. Wäre er kein kluger Diplomat, hätte er gesagt: «Hilfe! Wir haben noch keine Strukturen.»

Der HCD brauchte halt keine Strukturen wie die anderen grossen Klubs. Während das «System Arno Del Curto» Titel produzierte, war die Konkurrenz im Unterland damit beschäftigt, so zu werden wie ein gewöhnliches Unternehmen und so den immer höheren Finanzbedarf zu managen. Mit klar zugeordneten Aufgaben: Präsident, Geschäftsführer, Sportchef. Geht der Trainer, läuft das Tagesgeschäft weiter. Im Organigramm wird alsbald der Name seines Nachfolgers eingetragen.

System «Del Curto» ist veraltet

Erklären wir noch einmal die Unternehmensstruktur: In Davos war Arno Del Curto alles. Sportchef, Trainer, Spielerseelsorger, Kommunikationschef (wenn er denn Lust hatte, zu kommunizieren). Der Präsident konnte sich darauf konzentrieren, das Geld zu beschaffen, das Arno Del Curto brauchte.

Arno Del Curto duldete keinen Widerspruch. Der HCD hat in seiner grossen Zeit manche Züge einer Sekte im positiven Sinne («Zeugen Del Curtos»). «Wer nicht für mich ist, der ist wider mich.» Bedingungslose Loyalität. Um ihn herum hatte er in der sportlichen Abteilung nur noch Kopfnicker, Erfüllungsgehilfen. Durchaus kluge Köpfe. Weil sie klug sind, redeten sie ihrem Chef nach dem Munde.

Arno Del Curto liess sich auch nicht beraten. Wer ihn dazu bringen wollte, etwas zu tun, musste schlau vorgehen: ihm vorschlagen, genau das unter gar keinen Umständen zu tun. Dann tat er es erst recht.

Und nun ist Arno Del Curto nicht mehr da. Er hinterlässt im sporttechnischen Bereich wahrlich ein Vakuum. Nun soll eine Männerrunde einen neuen Chef suchen, die sich über Jahre darin geübt hat, keine Meinung zu haben, und eine Hockeyweltsicht hat, die so sehr von Arno Del Curto geprägt ist wie der Vatikan vom Papst.

HCD-Praesident Gaudenz F. Domenig verfolgt das Meisterschaftsspiel der National League A zwischen dem HC Davos und den SCL Tigers, am Freitag, 19. Februar 2016, in der Vaillant Arena in Davos. (KEYSTO ...
Gaudenz Domenig muss tun, was er noch nie zuvor getan hat: einen neuen Trainer suchen.Bild: KEYSTONE

Auf einsamer Höhe steht Präsident Gaudenz Domenig, der international erfolgreiche, hochangesehene Wirtschaftsanwalt, der die Welt gesehen hat und dem New York so vertraut ist wie Davos. Aber ein wenig sind ihm die Gänge und Läufe des Hockeygeschäfts auch unheimlich. Ganz hat auch dieser so weit gereiste kluge Mann die Gesetzmässigkeiten der «Macho-Welt» Eishockey nicht durchschaut.

Die Bräuche dieser Männergruppen, die an Stammesrituale erinnern und die nicht einem geregelten Broterwerb nachgehen, in ritterähnlichen Ausrüstungen gegeneinander kämpfen und als moderne Gladiatoren zu Ruhm und Reichtum kommen. Hier geht es nicht so zu und her wie in den mit kostbarem Holz getäferten Anwaltskanzleien in Manhattan und Zürich.

Sind die Hockey-Götter mit Riesen?

Gaudenz Domenig steht vor der grössten Herausforderung, die es für einen Präsidenten gibt: vor einem «House Cleaning». Sinngemäss bedeutet dieser Begriff aus dem nordamerikanischen Profisport «Frühjahrsputzete».

Das besondere Merkmal: Geht ein Trainer oder ein General Manager, dann müssen auch alle seine Gefolgsleute gehen. Alle. Wirklich alle. Weil nur dann ein Neuanfang möglich ist, wenn keiner mehr da ist, der sagt: «Ja, aber bisher haben wir das doch so oder so gemacht.»

Konsternierte Davoser Spieler Reto von Arx (links) und Michel Riesen, nach dem verlorenen Finalspiel gegen den EV Zug, am Samstag, 11. April 1998, in Davos. Eine Woche vor Beginn der Eishockey-WM in Z ...
Riesen und sein langjähriger Weggefährte Reto von Arx.Bild: KEYSTONE

Auf den HCD übertragen: Gaudenz Domenig müsste das gesamte Personal rund um die erste Mannschaft auswechseln. Nur so hat ein neuer Trainer eine Chance.

Der HCD-Präsident ist in diesen Tagen der einsamste Mann in unserem Hockey. Wenn er nicht den richtigen Nachfolger von Arno Del Curto findet, droht das Schicksal des EHC Kloten. Der Abstieg.

Oder ist Michel Riesen am Ende doch der richtige Trainer? Nein, ist er nicht. Manchmal sind die Hockeygötter milde gestimmt und sorgen dafür, dass einer ihrer Lieblinge einfach viel, viel Glück hat. Ist das bei Michel Riesen der Fall, dann kann er ein paar Spiele gewinnen.

Sind die Hockeygötter anderweitig beschäftigt und überlassen Michel Riesen seinem Schicksal, dann wird Michel Riesen der nächste Remo Gross.

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Saison 2017/18: EHC Kloten (Aufsteiger: Rapperswil-Jona Lakers)
quelle: keystone / gian ehrenzeller
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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lance
29.11.2018 14:53registriert März 2016
Remo Gross hat kommuniziert das er das Traineramt nicht übernimmt. Es ging nur darum das Cupspiel zu coachten. Riesen ist kurzfristig eine pragmatische Lösung. Dann mal schauen. Wünsche ihm gutes Gelingen.
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Faial
29.11.2018 15:20registriert Januar 2018
"Schon wieder ein neuer HCD-Trainer" wenn man all die anderen Vereine betrachtet, dann kann sich der HCD Von schreiben, dass der Wechsel erst nach 22 Jahren erfolgt. Also von "schon" kann gar keine Rede sein.
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Bruno Wüthrich
29.11.2018 13:54registriert August 2014
Arno Del Curto hat im übertragenen Sinn eine Mauer um den HC Davos aufgebaut, die an die einstige DDR erinnert, und er hat darin ein System installiert, das eben nur funktionieren kann, wenn da eine Mauer ist, die es von äusseren Einflüssen schützt. Ebenso wie Ostdeutschland immer noch die Auswirkungen von 40 Jahren hinter den Mauern verspürt, wird auch der HCD einige Zeit an dieser Abschottung, oder besser gesagt an der Öffnung danach, zu knabbern haben. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der HCD nun einige Zeit der FC Sion des Eishockeys würde.
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