Die ZSC Lions stehen in Lugano eine Niederlage vor dem Ausscheiden. Oder vor der Rückkehr auf einen Weg, der sie bis zum Titel führen kann. Es geht ums «welsche Prinzip». Nur in der französischen Sprache gibt es einen so treffenden Ausdruck für diese Situation: «Reculer pour mieux sauter». Ein paar Schritte zurück, um dann umso weiter springen zu können.
– Der SCB machte im Laufe der letzten Saison monatelang Schritte rückwärts, schaffte punktgleich mit Lausanne gerade noch den 8. Platz – und sprang dann vorwärts zum Titel.
– Lugano stand im Frühjahr 2006 im Viertelfinal gegen Ambri eine Niederlage vor dem «Aus». Ja, mit 0:3-Siegen war die Lage beinahe aussichtslos. Mit Nottrainer Harold Kreis sprang Lugano über Ambri und schliesslich zum bis heute letzten Titel.
– Die ZSC Lions selbst lagen unter Bob Hartley im Frühjahr 2012 im Final gegen den SCB 1:3 zurück – alles schien klar, der SCB hatte jetzt drei «Matchpucks» und zwei davon auf eigenem Eis. Die ZSC Lions holten den Titel.
– Der SCB stand 2013 im Viertelfinal gegen Servette vor dem Ausscheiden. Die Mannschaft war ausser Form und Servette führte 3:1. Die Berner schafften mit allem Glück der Welt die Wende und holten den Titel.
Nicht alleine spielerische Qualitäten entscheiden in solchen Situationen. Das vielzitierte Umschalten auf den Playoff-Modus ist keine taktische Variante. Dieses Umschalten passiert auf der mentalen Ebene. Die Mannschaft rückt zusammen. Spieler, die monatelang nicht ihr bestes Hockey spielten, werden, wie die Nordamerikaner sagen, «Warriors» – «Krieger».
Es die die Verwandlung, für die bei uns die Phrase «Über den Kampf zum Spiel finden» steht. Diese Verwandlung führen oft äussere Umstände herbei. Sehr oft die Ausgangslage der allerletzten Chance. Wenn die Befreiung aus einer scheinbar hoffnungslosen Situation gelingt, spielt fortan jeder so, als sei er zehn Zentimeter grösser, zehn Kilo schwerer und zehn Stundenkilometer schneller.
Von einer Minute auf die andere werden alle bisherigen Analysen Makulatur. Wenn den ZSC Lions die Wende gelingt, kann die Wirkung so gross sein, dass sie sogar den Ausfall von Robert Nilsson halbwegs kompensieren können und wieder Titelkandidat werden. Die ZSC Lions sind nach wie vor nominell klar besser als der HC Lugano. Ein Sieg heute und ein Vorrücken ins Halbfinale wäre logisch.
Wäre es ein gewöhnliches Lugano, so wären die Zürcher heute trotz allem klare Favoriten. Das Problem ist bloss, dass auch Lugano nach dem «welschen Prinzip» eine neue Identität gefunden hat. Nach einer turbulenten Saison sind Leidenschaft und Kampfgeist zurückgekehrt. Lugano war bisher in dieser Serie die im hockeyvolkstümlichen Sinne härtere Mannschaft. Das ist die grösste Überraschung dieser Playoffs.
Im Viertelfinal scheitern, weil man weicher war als Lugano. Es wäre für die ZSC Lions die grösstmögliche Schmach.