Servettes Sportchef Marc Gautschi lobt Keanu Derungs: «Er wird einmal eine grosse Nummer in der Liga.» Drei Jahre hat sich der Bruder von Ian Derungs (Ajoie, letzte Saison in der Qualifikation bester SL-Torschütze) auf höchster nordamerikanischer Junioren-Stufe bewährt (101 Spiele/62 Punkte). Im Sommer ist er in die Schweiz zurückgekehrt. Um bei Servette die Liga zu rocken.
Es gibt nur ein kleines Problem: Er darf nicht rocken. Er ist in Genf noch keine Sekunde eingesetzt worden. Kein Wunder: Nebst zwei Weltklasse-Verteidigern löhnt Servette mit Teemu Hartikainen, Linus Omark, Valtteri Filppula und Daniel Winnik auch vier formidable ausländische Stürmer, die pro Spiel mehr als eine Viertelstunde Eiszeit beanspruchen.
Da bleibt selbst für ein 20-jähriges Talent, dem der eigene Sportchef allerhöchste Ligatauglichkeit attestiert, kein Platz zur Entfaltung. Gautschi weiss um das Problem und sagt: «Wir haben Anfragen von mehreren Teams und werden bald entscheiden, ob wir Keanu für eine begrenzte Zeit ausleihen.» Die dringendste Anfrage kommt von Langnaus Sportchef Pascal Müller. Die Langnauer leiden an Stürmermangel und fehlender interner Konkurrenz und bald müssen zwei Stürmer in die Rekrutenschule einrücken.
Überfluss in Genf, Mangel beim Schlusslicht: Das Beispiel zeigt, wie beim Fehlen eines soliden, durchlässigen Farmteam-Fundamentes (einer breit abgestützten, hochklassigen zweiten Liga) unser Profihockey durch die «Ausländer-Schwemme» zusätzlich in Schieflage gerät. Servette-Sportchef Marc Gautschi sagt: «Die Frage ist, ob wir Keanu zu einem schwächeren Team ausleihen, wo er dann kaum einen Puck sieht oder in die Swiss League, wo die Trainingsqualität nicht so gut ist wie bei uns oder ob wir ihn doch lieber hierbehalten.»
Um zu verhindern, dass Spieler, die ein Team gut gebrauchen könnte, bei einem anderen auf der Ersatzbank schmoren, hat die nordamerikanische National Hockey League, die ja unseren Machern als Vorbild dient, die Anzahl Spieler pro Organisation strikt limitiert. Kommt dazu: Bei einem gut strukturierten Farmteam-System könnten die Klubs direkten Einfluss auf die Trainingsqualität und die Teamstruktur nehmen.
Ein weiteres Beispiel ist Luca Christen. Zweimal hintereinander hat er in Langenthal in der Swiss League als Verteidiger mehr als 30 Punkte gebucht. Jeder Tag, an dem er nicht in der höchsten Liga spielen kann, ist für seine Entwicklung ein verlorener Tag. Die Sportchefs in Ajoie, Langnau oder Kloten würden den Hockeygöttern auf Knien für einen jungen Verteidiger mit seiner Kragenweite danken.
Christen wechselte im letzten Sommer mit einem Zweijahresvertrag zu Biel. Der EHCB kann dank der neuen Ausländerregelung neben einem Torhüter und drei Stürmern halt auch zwei ausländische Verteidiger beschäftigen, die mehr als 18 Minuten Eiszeit beanspruchen. Zudem haben die Bieler mit Noah Delémont (20) ein vielversprechendes eigenes Verteidigertalent, das gefördert sein will und politisch Vorrang hat. Da ist für Luca Christen kein Platz mehr.
Biel hat Christen inzwischen nach Langenthal zurückgeschickt. Sportchef Martin Steinegger sagt: «Wir glauben an Luca, er wird seinen Weg machen. Är isch ä guete Giu («Er ist ein guter Junge»).» Ein leihweiser Wechsel zu einem anderen NL-Team ist transfertechnisch ein Problem: Er hat seine B-Lizenz bei Langenthal, die ein problemloses Hin- und Herwechseln möglich macht. Wechsel hin und zurück sind dadurch in der NL beschränkt.
Joshua Fahrni gilt als eines der grössten Stürmertalente unseres Hockeys. Letzte Saison hat ihm der SCB bereits durchschnittlich etwas mehr als 13 Minuten Eiszeit gewährt. 13 Punkte und drei Nationalmannschafts-Aufgebote folgten. Mit dieser Herrlichkeit ist es jetzt vorbei: Dank der neuen Ausländerregelung kann der SCB neben zwei ausländischen Verteidigern auch vier ausländische Stürmer beschäftigen.
Nach übereinstimmenden Aussagen gibt es beim SCB kein strukturiertes Coaching mehr. Die offensiven Leitwölfe regeln die Eiszeit im guten Willen, dem Team zu helfen, selbst und muten sich teilweise Rekordeinsätze von über 25 Minuten pro Partie zu. In Zeiten der Krise bleibt für Talentförderung keine Zeit mehr.
Die Talente zur Weiterentwicklung ausleihen ist auch keine sinnvolle Option. Weil dann in Bern die Spieler für die vierte Linie (die aber kaum mehr zum Einsatz kommt) fehlen. Joshua Fahrnis Eiszeit hat sich im Vergleich zur letzten Saison halbiert. Er hat Glück: Sein Vertrag läuft aus, er kann seine Karriere durch einen Transfer retten.
Auch Fabian Ritzmann ist ein hochkarätiges Powerflügel-Talent und Bern hat ihn deshalb teuer beim HC Davos abgeworben. Nun steckt auch er in der Sackgasse mit nicht einmal drei Minuten Eiszeit pro Partie.
Zusammenfassend können wir sagen: Es gibt Reformbedarf in unserem Profihockey, wenn wir bis in fünf Jahren international nicht auf das Niveau von Österreich absinken wollen.
Bitter für die Jungen denen vor dem Wechsel vermutlich noch einiges versprochen wurde