Keine sportliche Rivalität ist älter. So oft wie die Schweiz und Deutschland haben keine anderen Länder gegeneinander gespielt – über 150 Mal. Heute ist es wieder einmal so weit. Die Schweiz tritt im WM-Viertelfinal in Riga gegen Deutschland an.
In der Kulturgeschichte der helvetisch-deutschen Sportrivalität nimmt das Eishockey einen ganz besonderen Platz ein. Weil eine Niederlage gegen Deutschland in mehr als 100 Jahren noch nie eine ehrenvolle gegen einen als übermächtig respektierten Titanen war wie zuletzt gegen Schweden in den WM-Finals von 2013 und 2018. Auch wenn es sieglose Jahre gegeben hat: Anders als etwa im Fussball fühlen wir uns im Eishockey ebenbürtig. Gegen Deutschland zu verlieren, ist darum immer ärgerlich, irgendwie schmählich.
In keinem anderen Mannschaftssport wird die Härte so kultiviert wie in diesem Spiel zwischen stockbewehrten Männern in ritterähnlichen Ausrüstungen und eisenbeschlagenen Schuhen. Jeder kann damit leben, wenn er als langsam oder hüftsteif kritisiert wird. Aber der Vorwurf der Weichheit geht in die Seele.
Nach den meisten Eishockey-Niederlagen gegen Deutschland kommt die Feststellung, die Deutschen seien eben härter gewesen. Und das darf nicht sein. Nach der bitteren WM-Viertelfinal-Niederlage 2010 in Mannheim (0:1) zettelten die Schweizer, angeführt von Timo Helbling, eine vaterländische Prügelei an, die in über 100 Strafminuten gipfelte. Bis heute eine der wildesten Partien der WM-Geschichte (seit 1920). Aber was zählte: Niemand konnte den Vorwurf der Weichheit erheben.
So wie wir im Eishockey die Härte der Deutschen admirieren, so bewundern die Deutschen unsere künstlerischen Fähigkeiten. Also die läuferische Eleganz, die Schnelligkeit, die Fähigkeit, den Stock wie einen Zauberstab zu führen. Ein Spiel gegen Deutschland ist immer auch ein Kampf der Hockey-Kulturen.
Gelingt es den Schweizern, ihre Kunst mit Härte zu kombinieren, wehrhaftes «Champagner-Hockey» zu zelebrieren, dann sind sie siegreich. Und umgekehrt sind die Deutschen im Vorteil, wenn sie dafür sorgen, dass «Rumpel-Hockey» gespielt wird.
Es ist wie eine Ironie der Geschichte, dass keiner uns so gut Härte gelehrt hat wie der deutsch-kanadische Doppelbürger und deutsche Nationalspieler Ralph Krueger. Er hat die Grundlagenarbeit geleistet, die uns in die Weltspitze zurückgeführt hat. Wenn denn im Sport, dann gilt im Eishockey: «Und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen.»
Der besondere Charakter der Rivalität im Eishockey hat noch einen weiteren Grund. Fussball ist in Deutschland der alles dominierende Mannschaftsport. Kein Wunder: Der 3:2-Finalsieg über Ungarn am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf hat in der neuen deutschen Historie als «Wunder von Bern» mindestens die gleiche Bedeutung wie für uns der Rütlischwur. Fussball ist der deutsche Nationalsport schlechthin. Eishockey ist ein Randsport und kommt noch hinter Handball.
Im Fussball ist die Bundesliga ein Sehnsuchtsort für die Schweizer. Ein Wechsel nach Deutschland bringt Reichtum und Prestige. Denn der grosse, wahre Fussball wird in Deutschland gespielt.
Im Eishockey ist es eher umgekehrt. In der nationalen Meisterschaft steht Eishockey in der Schweiz in jeder Beziehung auf Augenhöhe mit dem Fussball. In Deutschland völlig undenkbar. In unserem Klubhockey werden fast doppelt so hohe Durchschnittsaläre bezahlt, und unser Klubhockey ist ein Sehnsuchtsort für die Deutschen.
Das wahre Eishockey im Alpenraum wird in der Schweiz gespielt. Aber bis auf Erich Kühnhackl (sein Sohn Tom spielt heute gegen die Schweiz), der in den 1980er-Jahren im Spätherbst seiner Karriere für Olten stürmte, hat nie ein grosser Deutscher im Hockey den Weg in die Schweiz gefunden.
Für unsere Klubs aus einem einfachen Grund: Die Deutschen sind nicht gut genug. Im Hockey. Und nur im Hockey. Von einer Zeit, in der wir sagen können, die Deutschen seien für uns nicht gut genug, wagen wir im Fussball oder Handball und im richtigen Leben nicht einmal zu träumen.
Wenn wir es schaffen, uns nicht mehr selbst im Weg zu stehen, gewinnen wir künftig gegen Deutschland auch im Eishockey regelmäßig und klar.