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Sean Simpson (57) kommt 1984 erstmals in die Schweiz. Als ZSC-Ersatzausländer. Seine Trainerkarriere beginnt er 1992 in der Nachwuchsabteilung des EV Zug.
Im Mai 2013 steht der Kanadier auf dem Höhepunkt seines bisherigen Schaffens. Nach den aufsehenerregenden Erfolgen mit den ZSC Lions in der Champions League (2009) und im Victorias Cup mit dem ersten Sieg einer Schweizer Mannschaft gegen ein NHL-Team (Chicago) ist ihm wieder ein märchenhafter Erfolg gelungen. Er führt die Schweiz im Mai 2013 in Stockholm zusammen mit seinem Kumpel Colin Muller zum WM-Silber. Es ist bis heute sein letzter Erfolg.
Dieses WM-Silber hat sich inzwischen als Fluch erwiesen, den er und Colin Muller nicht mehr losgeworden sind. Soeben sind die beiden auch in Mannheim gefeuert worden. Aus Siegfried & Roy sind Lolek und Bolek des Hockeys geworden.
Wie konnte das passieren? Wie kann es sein, dass ein grosser Bandengeneral, der zudem 1998 mit Zug und 2000 mit München Meister war und 2008 mit Team Canada den Spengler Cup gewann, zum Verlierer geworden ist? Der silberne WM-Erfolg liefert uns die Erklärung für den Aufstieg und den Fall eines grossen Hockeytrainers.
Der Kanadier erreicht als Nationaltrainer mit der Schweiz 2011 und 2012 nicht einmal die Viertelfinals. Vor der Silber-WM hat er nichts mehr zu verlieren. Nach einer Serie von Absagen tendieren die Erwartungen gegen null. Die Stimmung im Team ist gut. Denn es sind nur noch Jungs dabei, die sich auf ein WM-Abenteuer freuen. Sean Simpson muss auf niemanden mehr Rücksicht nehmen und keinen Stars schmeicheln. Und so erleben wir den wahren, den echte Sean Simpson. Selbstsicher, eigenwillig, mit einem Hang zur Selbstironie und schwarzem britischen Humor. Er sieht keinen Grund, Kompromisse zu machen. Er folgt seinem Instinkt.
Bei der WM-Selektion sortiert er ohne Angst vor Medien-Polemik beim letzten «Cut» sogar den Titanen Ivo Rüthemann aus. Und als die Mannschaft in Fahrt kommt, erweist er sich als ein Hexenmeister in der Hege und Pflege der guten Stimmung. So war es beim internationalen Höhenflug mit den ZSC Lions. Und so ist es bei der Silber-WM 2013.
Der Glanz des WM-Edelmetalls macht ihn auf dem Trainermarkt zu einer grossen Nummer. Daran ändern auch die anschliessenden Enttäuschungen beim olympischen Turnier (im Achtelfinale gescheitert) und bei der WM 2014 (Viertelfinals verpasst) nichts.
Bereits im Sommer 2013 scheitern die Verhandlungen um eine vorzeitige Verlängerung seines Mandates als Schweizer Nationaltrainer an zu hohen Forderungen.
Aber der Glanz des WM-Edelmettals strahlt weiter, weckt zu hohe Erwartungen und sorgt für maximalen Erfolgsdruck. Daran wird er scheitern. Seine Arbeitgeber erwarten sofortigen Erfolg. Der Kanadier, der seine Sensibilität oft hinter einem gelegentlich grantigen Wesen versteckt, vermag nach dem silbernen WM-Frühling von 2013 zusammen mit seinem Assistenten und Kumpel Colin Muller (den er stets als Assistenten mitnimmt) die Erwartungen nicht mehr zu erfüllen.
Die beiden kommen nacheinander zu sehr gut bezahlten Jobs, bei denen sie alles zu verlieren und nichts zu gewinnen haben. In Jaroslawl kann Sean Simpson zu keinem Zeitpunkt aus dem Schatten seines charismatischen Vorgängers Dave King heraustreten und wird bereits am 27. September 2014 gefeuert. In Kloten bekommt das silberne Duo anschliessend am 19. Dezember 2014 eine Chance und Sean Simpson durch die Personalunion Cheftrainer und Sportchef alle Macht.
Aber er ist mit einer Mannschaft, die sich nach dem Finale von 2014 in einem unumkehrbaren Abwärtstrend befindet, chancenlos und scheitert wieder an hohen Erwartungen. Abstiegsrunde im Frühjahr 2015 und bloss 7. Platz und das Ende in der ersten Playoff-Runde im Frühjahr 2016.
Und nun Mannheim. Auch hier zerbricht der Kanadier am maximalen Erwartungsdruck. Der Meister von 2015 hat Sean Simpson nach einem bitteren Scheitern in der ersten Playoff-Runde im Frühjahr 2016 geholt, um wieder ganz nach oben zu kommen. Aber es gelingt dem ehemaligen Schweizer Nationaltrainer nicht, die Chemie der Mannschaft zu verändern. Auch mit Sean Simpson fliegt Mannheim im Frühjahr 2017 in den Viertelfinals aus den Playoffs.
Der Kanadier lässt seiner Enttäuschung mit einem kultigen Ausraster freien Lauf, der um die Hockeywelt geht: «Eine dumme Frage, und ich schlage dich K.o., dann liegst du am Boden. Okay? Respekt!», schnauzt er einen TV-Reporter vor laufender Kamera an. Was ihm natürlich hinterher leid tut. Er entschuldigt sich. Nun ist nach einem enttäuschenden Saisonverlauf (7. Platz) auch in Mannheim vorzeitig Schluss.
Am Montag ist Sean Simpson (und mit ihm sein Kumpel und Assistent Colin Muller) gefeuert worden. Ist Sean Simpson gescheitert? Ja und nein. Ja, er hat zusammen mit Colin Muller fünfmal hintereinander die Erwartungen nicht erfüllt – beim olympischen Turnier und bei der WM 2014 mit der Nationalmannschaft, bei Jaroslawl in der KHL, bei den Kloten Flyers in der NLA und bei Mannheim in der DEL.
Aber es gibt auch eine andere Sichtweise. Nein, er ist kein Verlierer. Er kann immer noch ein grosser, charismatischer und erfolgreicher Bandengeneral sein. Aber nur dann, wenn er, frei von hohen Erwartungen und maximalem Erfolgsdruck wieder der wahre Sean Simpson wird wie damals im Frühjahr 2013. Wenn er ein «Rock’n’Roll-Coach» sein darf und nicht mehr ein silberner Erfolgsgarant und Heilsbringer sein muss. Er ist jetzt ein ehemaliger grosser Trainer, der als nächsten Arbeitgeber einen kleinen Klub braucht, um seine wahre Hockey-Identität wieder zu finden und erneut ein grosser Trainer zu werden. Oder eine Atempause in einer kleinen Rolle als Assistent oder Berater bei einem grossen Klub.