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Aus. Vorbei. In einer einzigen Szene, die vielleicht zehn Sekunden gedauert hat, sind alle Anstrengungen aus mehr als sechs Monaten Kraft- und Eistraining zunichtegemacht worden.
Nach mehr als sechs Monaten des Hoffen und Bangen stehen die SCL Tigers mit leeren Händen da. Nach dem 1:3 gegen Servette sind die Playoff-Chancen nur noch theoretischer Natur.
Die fatalen Sekunden: Langnaus schwedischer Stürmer Andreas Thuresson begeht eine Todsünde. Er handelt wider alle taktischen Prinzipien, die sein Trainer Tag für Tag predigt. Er spediert den Puck nicht entschlossen aus der Gefahrenzone. Er schiebt ihn lauwarm im eigenen Drittel von der Bande her leicht rückwärts gegen die Mitte. Fast wie ein Curler. Torhüter Ivars Punnenovs muss ein wenig aus dem Tor heraus, um sie zu erreichen und lässt sie vom Stock abprallen. Genfs flinker Angreifer Stephané Da Costa wirbelt ums Tor herum und trifft nach 47 Minuten und 26 Sekunden zum 2:1.
Von diesem Schock erholt sich Langnau nicht mehr und verliert am Ende 1:3. Die Ausgangslage ist nun einfach, wahr und klar: die SCL Tigers kommen nur noch in die Playoffs, wenn sie aus den letzten beiden Partien gegen Kloten sechs Punkte holen und Servette aus den zwei ausstehenden Spielen gegen den SC Bern keinen Punkt mehr macht.
Sollten die Playoffs doch noch erreicht werden, so wäre die Freude getrübt: man würde sie dem SCB verdanken. Das würde den Langnauern künftig über mehrere Generationen hinweg bei jeder Gelegenheit vorgehalten. Unter solchen Umständen ist es den echten, wahren, stolzen Emmentalern lieber, auf Playoffs zu verzichten.
Es wären ehrlose, vom SCB geschenkte Playoffs. Solche Überlegungen sind unmittelbar nach der bittersten Niederlage der Saison am späten Mittwochabend noch kein Trost. Die besiegten Helden stapfen vom Eis und auf dem Weg in die Kabine bieten sie ein Bild des sportlichen Jammers. Das ganze Elend des Verlierens. Keiner flucht. Keiner zertrümmert den Stock. Sie wirken wie betäubt. Keine Emotionen. Härdöpflerflasche leer (Härdöpfler = im Emmental meist illegal gebrannter Kartoffelschnaps).
Stürmer Pascal Berger, ein Leitwolf ohne Fehl und Tadel, personifiziert die triste Gemütslage. Die ersten Worte, die er vor den Chronisten findet, liessen sich zu einem Verlierer-Rap verarbeiten. Der Captain versucht sein sportliches Elend auszudrücken, ringt er um Worte und bringt keinen vollständigen Satz zustande. «Ja…nein…ich weiss es nicht…was soll ich sagen…wir hätten…aber eben…schade…»Wenn das wichtigste Spiel in einer einzigen Szene verloren geht, dann braucht es einen Sündenbock.
Der Auslöser des Untergangs ist, wie eingangs geschildert, Andreas Thuresson, ein schwedischer Taugenichts, Versager und offensiver Nonvaleur. Aber als tragischer Held geht Ivars Punnenovs in die Geschichte ein. Der letzte Mann ist immer schuld. Weil er alles noch hätte retten können. Bei ihm werden alle Sünden aufgerechnet. Wenn es je einen tragischen Helden in dieser Saison gegeben hat, dann der lettische Nationaltorhüter mit Schweizer Lizenz. Aber niemand wird Ivars Punnenovs einen Vorwurf machen.
Er hatte seine Mannschaft im Spiel gehalten. Mit mindestens zehn grossen Paraden. Er ist Langnaus bester Einzelspieler in dieser Saison. Mit einem gewöhnlichen Goalie wären die SCL Tigers zu diesem Zeitpunkt des Spiels längst mit vier oder fünf Gegentreffern besiegt gewesen. Ivars Punnenovs wird mit der formidablen Fangquote von 94,12 Prozent ein tragischer Held.
Trainer Heinz Ehlers wird in ein paar Sekunden um die Früchte seiner grossen Arbeit gebracht. Er ist der Sisyphus des Eishockeys. Diese Figur aus der griechischen Götterwelt war dazu verdammt, einen Stein den Berg hinaufzurollen und immer, wenn er fast oben war, donnerte der Stein wieder ins Tal. Heute steht Sisyphusarbeit für eine Arbeit, die trotz andauernder Anstrengung einfach nie fertiggestellt werden kann.
In der Antike war es, wie gesagt, der Versuch, einen Stein auf den Berg hinaufzurollen. Im 21. Jahrhundert ist es der Versuch, die Langnauer in die Playoffs zu coachen. Es wäre nun Zeit gewesen, zornig zu sein. Aber Heinz Ehlers ist nach der Niederlage so enttäuscht, dass er nicht einmal mehr Lust und Energie hat, um böse oder wenigstens ein bisschen sarkastisch zu sein. Wahrlich, ein Zeichen, dass es «bös» um Langnau steht.
Oder doch nicht? Nein, es steht nicht «bös» um die SCL Tigers. Die Emmentaler sind bloss zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt. Zu der melancholischen Wirklichkeit des Daseins. Und niemand ist schadenfreudig. Niemand hat Lust zur Polemik. Dem Verlierer wird Respekt entgegengebracht – und Mitleid.
Es hat halt wieder nicht gereicht. Wie schon so oft. Das Leben im Emmental war einst geprägt von mühseliger, harter Arbeit. Von Entbehrungen. Von Heimsuchungen durch die Gewalten der Natur. Diese höheren Mächte haben die Menschen Demut gelehrt. Bescheidenheit.
Auch wenn heute das Leben im Emmental nicht mehr mühseliger ist als in Bern oben oder in Basel unten oder draussen in Zürich – diese Melancholie steckt immer noch tief der Seele der Emmentaler. Wieder einmal steigt die Hockey-Schwermut aus den schwarzen Wäldern herauf wie die Nebelschwaden nach dem Gewitter. Wenn es nun wieder einmal nicht reicht, dann in Gottes Namen halt.
Es wird deswegen keine Polemik geben. Keine Suche nach Sündenböcken. Am Ende sind dann alle froh, dass man so lange hoffen durfte und nicht absteigen und Schulden machen muss. Es wird ein wenig gemurrt über Sportchef Jörg Reber, ein bisschen gemault über die Darbietungen einzelner Spieler. Aber jeder wird sein Saisonabi wieder lösen und die meisten werden auch zu den Spielen in der Abstiegsrunde kommen. Im Emmental hat man schon vor vielen Generationen gelernt, auch ohne Musik zu tanzen. Und ohne Playoffs hockeyverrückt zu sein.