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Grandioses Spektakel, Niederlage und Panik in der SCB-Chefetage

Der Zuger Goalie Tobias Stephan jubelt neben den Teamkollegen Tim Ramholt (l.)und Santeri Alatalo nach dem Schlusspfiff, während SCB-Stürmer Martin Plüss vom Eis schleicht.
Der Zuger Goalie Tobias Stephan jubelt neben den Teamkollegen Tim Ramholt (l.)und Santeri Alatalo nach dem Schlusspfiff, während SCB-Stürmer Martin Plüss vom Eis schleicht.Bild: KEYSTONE
Berner mit «Überbiss»

Grandioses Spektakel, Niederlage und Panik in der SCB-Chefetage

Der Druck auf SCB-Trainer Guy Boucher wird immer grösser. Die Hockey-Titanic SC Bern ist in einen taktischen Eisberg gekracht und vom EV Zug 4:3 versenkt worden.
11.10.2014, 08:4911.10.2014, 15:31
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Ältere SCB-Matchbesucher, die noch die grossen Zeiten im letzten Jahrhundert erlebt haben, sind sich sicher: Früher, während der «Belle Époque», hätte der SCB diese Partie gegen Zug nie und nimmer verloren. 

Damals, als ein grosser SCB das Selbstverständnis Bayern Münchens kultivierte, in sich selbst ruhte, mit gelassener Arroganz die Heimspiele dominierte, von smarten Bandengenerälen dirigiert und von grossen Torhütern abgesichert wurde, hatten Gegner wie dieser EV Zug nicht den Hauch einer Chance. 

Druck aufs Tor sieht anders aus: Reto Suri stürzt über Marco Bührer.
Druck aufs Tor sieht anders aus: Reto Suri stürzt über Marco Bührer.Bild: KEYSTONE

Die Zuger waren nur auf der Torhüterposition ganz klar besser besetzt. Ansonsten hatte der SCB in allen wichtigen Chargen (Center, Verteidiger) die gleich guten oder besseren Leute im Einsatz und vermochte dank grösserer Ausgeglichenheit konstant Druck zu machen. 

Warum verlor dieser mächtige und bissige SCB trotzdem?

Wegen der Neigung zum «Überbeissen». Wie sehr die Nerven blank liegen, mag eine nette Episode am Rande dokumentieren, die dem geneigten Leser nicht vorenthalten werden soll. Vor dem Spiel nahm SCB-Kommunikationsdirektor Christian Dick einen in Bern nicht gern gesehenen Chronisten des Hockey-Zeitgeschehens zur Brust. 

Der unbotmässige Schreiberling hatte in der «Neuen Luzerner Zeitung» in der Matchvorschau geschrieben, der SCB sei mit seinem Trainer und Goalie nicht so recht glücklich. Nur dürfe es, wie im Märchen mit des Kaisers neuen Kleidern, niemand sagen. Das, so Christian Dick - eigentlich ein Mann des kultivierten und intellektuellen Dialoges - gehe nicht und sei «unter aller Sau.» 

Guy Boucher's Spielideen werden offensichtlich noch nicht umgesetzt.
Guy Boucher's Spielideen werden offensichtlich noch nicht umgesetzt.Bild: KEYSTONE

Man sei mit dem Trainer und übrigens auch mit Torhüter Marco Bührer «sehr glücklich.» Er empfahl dem Chronisten, das Stadion zu verlassen, nach Hause zu gehen und in den Spiegel zu schauen. Der Gemassregelte hat das Spiel aber dann offenbar doch im Stadion analysiert. 

Nun denn, Marco Bührer, mit dem der SCB glücklich ist, sollte mit einer Fangquote von 86,21 Prozent einer der unglücklichen Architekten der spektakulären 3:4-Niederlage werden. Mit einem Saison-Schnitt von 89,81 Prozent gehört er statistisch zu den schwächsten Goalies der Liga. 

Hier zum Vergleich ein paar Kennzahlen der Konkurrenz: Simon Rytz (Biel), 91,71 %. Tobias Stephan (Zug), 94,23 %. Sandro Zurkirchen (Ambri), 93,30 %. Leonardo Genoni (Davos) 94,63 %. Lukas Flüeler (ZSC) 94,44 %. Statistisch hat der SCB ein Torhüter-Problem. 

Leonardo Genoni hält ziemlich alles fest.
Leonardo Genoni hält ziemlich alles fest.Bild: KEYSTONE

Die heftige Medienschelte ist bemerkenswert. Christian Dick, der ehemalige Sportchef bei der angesehenen Zeitung «Der Bund» arbeitet nämlich hochprofessionell. Dass sich mit ihm einer der grossen SCB-Macher auf dieses Niveau herunterlässt, zeigt eines: Die Nerven liegen in der SCB-Chefetage blank. Es ist nur eine leicht boulvardeske Zuspitzung, wenn wir von Panik in der SCB-Chefetage reden. 

Fehlende Ruhe

Der SCB verlor diese Partie, weil es nie gelungen ist, Ruhe ins Spiel zu bringen. Unter NHL-General Guy Boucher neigen die Berner zu aggressivem, aber unüberlegtem Spiel. Die Geister, die der SCB-Trainer erfolgreich herbeiruft, kann er dann im Spiel nicht mehr kontrollierten. 

Wenn beispielsweise Thomas Ruefenacht, ein rauer, aber leicht zu coachender Geselle, National- und WM-Spieler, in einen Spielerknäuel braust, von hinten einen Gegner niederstreckt und von den Schiedsrichtern unter die Dusche geschickt wird, dann hat der Coach seine Jungs ganz einfach nicht im Griff. 

Thomas Ruefenacht im Kampf mit Calle Anderson.
Thomas Ruefenacht im Kampf mit Calle Anderson.Bild: Urs Lindt/freshfocus

Solche «Goon-Einlagen» (Goon ist der nordamerikanische Ausdruck für Raufbold) mag ein probates Mittel für einen Aussenseiter sein. Aber doch nicht für diesen SCB, diese Hockey-Titanic, die jeden Gegner spielerisch dominierten könnte, dominieren müsste. Und wenn drei von vier Gegentreffern Geschenke, die Folge von wirrem Spiel in der eigenen Zone sind, dann ist der Trainer nicht dazu in der Lage, ein funktionierendes Defensivsystem einzuüben. 

Der Unterhaltungswert war grandios. Das Publikum kam auf seine Kosten. Aber dieses «Überbeissen», diese Hektik, dieses wilde Anrennen bringen den SCB in Not. Vor einem Jahr begann der Anfang vom Ende von Meistertrainer Antti Törmänen auch im Oktober. Der SCB ist zwar vom Unterhaltungswert her klar besser als vor einem Jahr. Aber resultatmässig oder in Bezug auf Taktik, Spielkultur, Disziplin oder defensive Stabilität ist kein Fortschritt erzielt worden. 

Unter diesen Voraussetzungen ist der SCB heute in Davos oben Aussenseiter

Vielleicht gelingt in dieser Rolle der ersehnte Befreiungsschlag mit einem Sieg gegen einen der Titanen der Liga. Obwohl der SCB – wie vor einem Jahr unter Antti Törmänen zum gleichen Zeitpunkt - noch kein Auswärtsspiel gewonnen hat. 

Es ist nämlich nicht ganz auszuschliessen, dass sich der an präzises, schnelles, hochklassiges und taktisch diszipliniertes Hockey gewohnte Arno Del Curto über das «Goon-Hockey» der Berner so enerviert, dass er sich nicht mehr aufs Spiel konzentrieren kann. 

Viel Kampf ist zu erwarten beim Spiel HCD- gegen SCB.
Viel Kampf ist zu erwarten beim Spiel HCD- gegen SCB.Bild: KEYSTONE

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Solche Niederlagen wie dieses 3:4 gegen Zug darf sich der SCB-Trainer fortan nicht mehr leisten. Trotz Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison. Er hat den SCB seit dem 31. Januar 2014 immerhin schon in 29 Ernstkämpfen kommandiert und dabei alle wichtigen Ziele (Playoffs 2014, Champions Hockey League) kläglich verfehlt. Nach einer Angewöhnungszeit von vergleichbarer Dauer hatten die NHL-Generäle Bob Hartley und Marc Crawford bei den ZSC Lions die Lage im Griff. 

Die Zeit für eine Wende ist gekommen. Guy Boucher sollte noch keinen Wintermantel bestellen. Ausser es kommt durch die Vulkanausbrüche auf Island bei uns zu einer Abkühlung und zu einem plötzlichen Wintereinbruch. 

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