Ein «Leicester-Jahr» kann jeder Aussenseiter haben. Die Bezeichnung steht für den Titelgewinn von Leicester City in der englischen Fussballmeisterschaft im Frühjahr 2016. Eine Jahrhundert-Sensation. Vor der Saison lauteten die Wettquoten auf einen Titel 1:5000.
Aber Ambris gute Ausgangslage ist nicht einer Sensation geschuldet. Sie ist das logische Resultat einer konsequent umgesetzten Philosophie und eines exzellenten Scoutings.
Die Geschichte beginnt im Sommer 2017. Präsident Filippo Lombardi, als Politiker und Hockey-Vorsitzender ein Populist vor dem Herrn, beschliesst, nicht mehr zu jammern. Er installiert den bisherigen Captain Paolo Duca (37) als Sportchef und der holt mit seiner ersten ersten Amtshandlung Luca Cereda (37) als Trainer. Das jüngste sportliche Führungsduo der Liga. Ambri lebt eine Philosophie, die der HC Davos nach dem letzten Titel von 2015 eigentlich auch im Sinn hatte. Eigentlich. Aber es ist für den ruhmreichen eben schwieriger, bescheiden wieder von vorne anzufangen. Ambris letzte Jahre waren nicht ruhmreich.
Paolo Duca und Luca Cereda haben das perfekte Konzept für einen Aussenseiter umgesetzt: Was an Talent fehlt, wird mit Laufarbeit und Disziplin kompensiert. Die Gegenspieler sollen auf dem ganzen Eisfeld keine Ruhe finden. Dieses «Fräser-Hockey» bedingt Leidenschaft, Disziplin und Energie. Und immer lautet die bange Frage: Wie weit werden uns die Füsse tragen?
Letzte Saison trugen die Füsse Ambri bis zum Ligaerhalt. Auf Kosten des nominell viel besseren EHC Kloten. Und jetzt darf sogar gefragt werden: «Tragen uns die Füsse bis in die Playoffs?»
Aus der der letzten Playoff-Mannschaft von 2013/14 sind nur noch Elias Bianchi (29) und Patrick Incir (24) dabei. Das mag zeigen, wie konsequent Ambri neu begonnen hat. Die Frage geht an den Sportchef: Was ist der Unterschied zwischen heute und dem letzten goldenen Herbst von 2013? «Die Stimmung war auch damals gut. Die unterscheidet sich nicht von heute. Ich denke, dass wir heute mehr als damals ein klares Konzept haben. Wir spielen geradliniger, aggressiver und setzen die Gegenspieler auf dem ganzen Eisfeld unter Druck.» Und er mahnt zugleich: «Der Erfolg ist für uns nur möglich, wenn sich jeder in jedem Match aufopfert. Es liegt in der menschlichen Natur, zwischendurch aufzuatmen und den leichteren Weg zu suchen. Aber genau das können wir uns nicht leisten.»
Es ist die Leidenschaft, die der Sportchef und sein Trainer Tag für Tag vorleben. Da gibt es durchaus Parallelen zum Arno Del Curto der besten Tage. Luca Ceredas Vertrag läuft im Frühjahr aus, er wäre für Davos der perfekte Nachfolger für Arno Del Curto, der perfekte Trainer für den Neuaufbau. Aber noch mehr braucht Ambri Luca Cereda.
Hockeyromantiker mögen den Erfolg hauptsächlich Ambris legendärem Kampfgeist zuschreiben. Aber es gibt durchaus rationelle Erklärungen. Kaum ein anderes Hockeyunternehmen in der Schweiz hat ein so gutes Scouting und versteht sich so gut in der Hockey-Diplomatie. Dafür gibt es ein paar Beispiele.
Vier Jahre lang stürmt der ehemalige HCD-Junior Dominic Zwerger (22) auf höchster nordamerikanischer Juniorenstufe – und die Sportchefs vergessen den Österreicher mit Schweizer Lizenz. Aber Paolo Duca denkt an ihn und besucht ihn während der Sommerpause in der österreichischen Heimat. Inzwischen ist Zwerger einer der besten Flügel der Liga. Diese Saison hat er bereits zwölf Tore erzielt – zuletzt das 3:1 gegen Lugano.
SCB-Trainer Kari Jalonen hält nichts von Marco Müller (24) und gewährte ihm in der Saison 2016/17 nicht einmal zehn Minuten Eiszeit pro Spiel. In Ambri ist der Sohn der Oltner Legende Victor Müller zu einem der besten Schweizer Center gereift, arbeitet pro Spiel mehr als 19 Minuten und hat in 25 Partien bereits 20 Punkte gebucht.
Das Potenzial von Benjamin Conz (29) hat Paolo Duca richtig eingeschätzt. Inzwischen hat Conz in Ambri die bessere Fangquote (92,31 Prozent) als Reto Berra (31), sein fast doppelt so teurer Nachfolger bei Fribourg-Gottéron (91,54 Prozent).
Ambri kann eben nur bestehen, wenn seine Macher smarter, geduldiger und beharrlicher arbeiten als die Konkurrenz. Ambri ist ein Hockeyunternehmen, das nie zur Ruhe kommen darf, weil es aufgrund seines beschränkten wirtschaftlichen Potenzials einen permanenten Existenzkampf führt.
Die Frage ist nicht nur, ob das spektakuläre Vorwärtshockey Ambri bis in die Playoffs trägt. Ambri arbeitet neben dem Eis nicht weniger leidenschaftlich am Jahrhundert-Projekt: am Bau der neuen Arena, für 7000 Fans, die, – so die Hockey-Götter wollen – im Sommer 2021 fertig sein und 53 Millionen kosten soll und Ambri endlich bessere wirtschaftliche Voraussetzungen bringt.
Es ist eine atemberaubende Flucht nach vorne auf und neben dem Eis und Ambri ist jetzt grad drauf und dran, Lugano davonzulaufen.