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Als Harold Kreis (59) die Arena verlässt, rieselt draussen leise der Schnee. Es ist nicht gut, wenn nach dem letzten Spiel der Saison im Flachland noch Schnee fällt.
Zug gehört zu den Titanen der Liga. Eigentlich sollte hier noch Hockey gespielt werden, wenn die ersten Blumen blühen. Aber das war unter Harold Kreis in vier Jahren erst einmal der Fall. Vor einem Jahr. Als die Zuger den Final gegen den SCB verloren.
Warum ist Zug gescheitert? Gemessen an den Ansprüchen ist es ein Scheitern. Ohne «wenn» und «aber».
Jemand muss der Sündenbock sein. Die Gesetze des «Showsportes» wollen es so – und Hockey-Playoffs sind nun mal eine Show. Auf sehr gutem Niveau.
Diese letzte, alles entscheidende Partie war die beste dieser Serie. Intensiv, schnell, dramatisch. Vom Ende her erzählt – also im Wissen um den Ausgang dieses aufwühlenden Spiels – heisst dieser Sündenbock Timo Helbling (36). Ausgerechnet dieser Routinier, gestählt aus mehr als 1000 Spielen in Nordamerika, in Finnland, in der NLA und mit der Nationalmannschaft steht am Anfang des Untergangs. Er befördert die Scheibe in der letzten Minute des zweiten Drittels ohne Not übers Plexiglas. Wie er es mit seinen hölzernen Händen geschafft hat, die Scheibe übers Plexiglas zu zirkeln ist ein Rätsel. Es war sozusagen ein technisches Kunststück.
Die fällige Strafe nützen die Zürcher zum Ausgleich (1:1) und 20 Sekunden später führen sie 2:1. Ist Timo Helbling an allem schuld? Nein, so einfach ist es nicht. Seine Mitstreiter hätten ihn noch aus der Rolle des Sündenbockes befreien können. Sie schafften tatsächlich den Ausgleich. Aber in der 11. Minute der Verlängerung kommt das Saisonende. Reto Schäppi trifft zum 2:3. Damit steht auch fest: die gestrige Partie war die letzte von Timo Helbling im Dress des EV Zug. Er wird, so die Hockeygötter wollen, nächste Saison in Kloten verteidigen.
Und so sind die Zuger nach ihrem wahrscheinlich besten Saisonspiel aus den Playoffs geflogen. Mit Ausnahme der 20 Sekunden, die von den Zürchern zur Wende (vom 0:1 zum 2:1) genutzt wurden und der entscheidenden Szene in der Verlängerung hatten sie alles im Griff. Alles richtig gemacht. Alle Rückschläge überwunden. Leidenschaftlich gekämpft, gelitten, gehofft, gezittert, gejubelt – um am Ende doch mit leeren Händen dazustehen.
Natürlich ist Timo Helbling nicht alleine verantwortlich für das Scheitern. Die Zuger haben diese Serie nicht einmal in erster Linie wegen «Blackouts» verloren, die uns in Erinnerung bleiben werden wie die «schwarzen zehn Sekunden» in dieser letzten Partie. Die Zuger scheiterten letztlich in der Offensive. Sie vermochten ihre Laufmeter, ihr Talent, ihr Tempo und ihre Wasserverdrängung zu wenig in Tore umzumünzen.
Warum? Wir können dieses Versagen blumig so erklären: die Zuger mahnten in den wichtigsten Partien der Saison an einen offensiven Ferrari ohne Gaspedal. Sie hatten alles, um ins Halbfinale zu brausen – aber sie schafften es nicht, aufs Gaspedal zu drücken. Ihr Spiel in allen Partien zu beschleunigen, die Intensität und die Emotionen hochzufahren.
Sie machten eigentlich nichts schlecht, aber alles ein bisschen zu wenig gut. Sie spielten so, wie sie reden und neben dem Eis auftreten: wie Musterknaben. Es fehlte ihnen jenes «Gopferteli-Gen», jene Unberechenbarkeit, auch ein wenig die Bösartigkeit und das Einschüchterungsvermögen wie einst 1998, beim bisher einzigen Meistertitel.
Ja, sie sind auch an einer für eine so erfahrene Mannschaft erstaunlichen Naivität gescheitert. Jetzt, im Rückblick, erkennen wir, dass die zweite Partie in Zürich die entscheidende war (4:5). Mit einer Naivität und Sorglosigkeit sondergleichen gaben sie das Spiel, das «Momentum» und damit letztlich die Serie aus den Händen.
Was ist zu tun? Eine Trainerentlassung würde in weiten Kreisen gut ankommen. Es wäre ein Zeichen, dass es so nicht weitergehen kann. Tatsächlich wird Harold Kreis den Schwefelgeruch des Verlierers in Zug nicht mehr aus den Kleidern bringen.
Wäre es nicht ein gar zu billiges Wortspiel, dann müssten wir sagen: Zug dreht sich mit diesem Trainer im Kreis. Aber der kluge, freundliche Gentleman mit Sinn für feinen Humor passt zu Zug. Er hat, wie sein Arbeitgeber, Stil und Klasse. Was sich auch nach dem Scheitern zeigte. Ganz grosse Trainer sind nach einem solchen Spiel zornig, aufgebracht, aufgewühlt und müssen sich zusammennehmen, wenn sie gegenüber den Chronistinnen und Chronisten das Scheitern einsilbig analysieren.
Harold Kreis bleibt freundlich und gelassen. Bereits nach einer halben Stunde hat er seine innere Balance und den Sinn für Humor wieder gefunden. Für ihn gilt inzwischen: gute Trainer kommen überall hin. Aber nur böse in den meisterlichen Himmel.Kann es sich Zug leisten, einfach weiterzumachen wie bisher?
Ja. Die sportliche und wirtschaftliche Basis ist kerngesund. Sportchef Reto Kläy ist ein guter Kommunikator. Es wird ihm nicht schwerfallen, gute Ausreden zu finden. Es war ja wirklich Pech, in der ersten Runde ausgerechnet auf die ZSC Lions zu treffen, die sich auf einer Mission der Wiedergutmachung befinden.
Und was wäre, wenn die Zuger jetzt wirklich etwas tun möchten um in einem Jahr vielleicht doch um den Titel spielen zu können? Dann müssten sie Harold Kreis (er hat noch ein Jahr Vertrag) durch einen charismatischen Bandengeneral ersetzen und die Chemie in der Kabine verändern.
Nein, es gibt keine Stinkstiefel in der Kabine. Ganz im Gegenteil. Es gibt zu viele Musterprofis und Musterknaben. Es gibt zu viel Harmonie. In der NHL, wo es möglich ist, Spieler zu tauschen und wo es genug Klubs gibt, um ein Tauschgeschäft machen zu können, würde der General Manager jetzt vier Spieler auf dem Markt anbieten. Für drei bekäme er guten Gegenwert.
Erstens Torhüter Tobias Stephan (34). Ein Musterprofi. Ein Musterknabe. Er personifiziert Zugs Dilemma: nie so schwach, dass er als Lottergoalie gerügt werden kann. Aber auch nie so gut, dass er als Hexer gefeiert werden darf. Er hat noch nie etwas gewonnen und wird nie etwas gewinnen. Er wird nicht mehr besser. Zug müsste ihn eigentlich gegen einen charismatischen, aggressiven jungen Torhüter mit Zukunft eintauschen und Joren van Pottelberghe (20) aus Davos zurückholen.
Zweitens Captain Raphael Diaz (32). Ein Musterprofi. Ein Musterknabe. Aber kein Leitwolf. Weder auf dem Eis noch in der Kabine. Gemessen an seinem Salär und seinem Status im Unternehmen hat er versagt. Der Trainer sollte ihn nächste Saison wenigstens von der Captain-Bürde erlösen.
Drittens Reto Suri (28). Ein Musterprofi. Ein Musterknabe. Aber kein Leitwolf. Weder auf dem Eis noch in der Kabine. Gemessen an seinem Salär und seinem Status im Unternehmen hat er versagt.
Viertens Timothy Kast. Eine defensiv unbrauchbare offensive Nullnummer, die den eigenen Talenten aus der Akademie den Platz versperrt. Der schlimmste Fehltransfer von Sportchef Reto Kläy.
Aber das sind nur Gedankenspiele. Wir sind in Zug und nicht in Nordamerika. Raphael Diaz und Tobias Stephan werden bleiben, an einen Transfer von Reto Suri ins Welschland oder zu den Lakers (falls sie aufsteigen) wird Reto Kläy höchstens im stillen Kämmerlein denken, wenn er sicher ist, dass es niemand merkt und es sofort wieder vergessen. Timothy Kast ist der einzige Wegtransfer-Kandidat.
Die Abgänge von Timo Helbling (zu Kloten), Robin Grossmann (Lausanne), Larry Leeger und Nolan Diem (Langnau) stehen seit längerer Zeit fest. Neu kommen Jesse Zgraggen (von Ambri), Yannick-Lennart Albrecht und Miro Zryd (von Langnau). Die drei passen zu Zug. Freundliche, wohlerzogene Musterknaben und Mitläufer. Korrekturen auf den Ausländerpositionen sind nicht möglich. Alle vier (Carl Klingberg, Victor Stalberg, Garrett Roe, Dave McIntyre) haben weiterlaufende Verträge.
Die Chemie im Team wird sich nicht ändern. Zug wird sich nicht ändern. Das nächste Scheitern ist programmiert. Es liegt in der DNA dieser Mannschaft. Zug wird auch in einem Jahr nicht Meister. Aber damit kann Zug gut leben. Ein Ferrari ist auch ohne Gaspedal ein Ferrari.