Das Management in Bern, Zürich und Lugano macht vieles, ja eigentlich fast alles richtig. Aber bei der ausgeglichenen Liga entscheidet am Ende der Saison die Feinabstimmung. Nicht mehr die Macht des Geldes, die Breite des Kaders oder der politische Einfluss machen die Differenz. Sondern die Spezialisten, die ihre Spieler, insbesondere die Ausländer, schlauer auswählen (Sportchefs) und die Formkurve besser berechnen.
Alle drei Titanen sind letzte Saison, abgesehen vom Cupsieg (SCB) leer ausgegangen. Arno Del Curto hat den höchsten Preis geholt. Aber weder in Bern noch in Lugano noch in Zürich sind die Konsequenzen aus dem letztjährigen Scheitern gezogen worden. In Bern und Lugano sind die Trainer geblieben und mit ihnen die spielerischen Probleme und die ZSC Lions haben weiterhin nicht vier erstklassige ausländische Spieler. Die Titanen stehen zumindest für die Endphase des Titelkampfes erneut auf dünnem Eis.
Haben die ZSC Lions den Titel im Büro des Sportchefs und an der Bande verspielt? Wahrscheinlich schon. Werden Sie den Titel wieder im Büro des Sportchefs und an der Bande verspielen? Durchaus möglich.
Die ZSC Lions haben die grösste und mächtigste Hockeymaschine aufgebaut, die es in der Schweiz je gegeben hat. Kein anderes Hockeyunternehmen hat eine so breite Basis. In der 1997 gegründeten Firma ZLE-Betriebs AG sind die ZSC Lions, die GCK Lions und die gesamte Nachwuchsorganisation zusammengefasst. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit den regionalen Amateurklubs (Dübendorf, Urdorf, Küsnacht). In diesem Imperium trainieren und spielen mehr als 900 Spielerinnen und Spieler in über 45 Mannschaften.
Die ganze Hockeyschweiz erlebte im letzten Frühjahr die Entthronung der ZSC Lions. Aber fast unter Ausschluss der Hockey-Öffentlichkeit gewannen die Zürcher die Meisterschaft der Elite-Junioren – in diesem Hockey-Imperium geht die Sonne nie unter und jedes Jahr wird in irgendeiner Abteilung eine Meisterschaft gefeiert. Und nun bekommen die ZSC Lions sogar hockeyweltweite Anerkennung für ihre Ausbildungskultur. Auston Matthews ist einer der talentiertesten jungen Spieler der Welt. Er muss noch ein Jahr warten, bis er für die NHL spielberechtigt wird. Dieses Wartejahr verbringt er nicht irgendwo bei den Junioren in den USA, Kanada, Schweden oder Finnland.
Hat also der ZSC-Trainer versagt? Ja und Nein. Ja, weil er im Finale kein taktisches Mittel gefunden hat. Er scheiterte im Finale an einem Gegner, bei dem einfach alles passte – was bei den ZSC Lions nicht der Fall war. Wenn alles passt, dann ist dafür der Trainer verantwortlich. Wenn nicht alles passt, halt auch. Nein, weil Marc Crawford in einem anderen Bereich die Vorgaben erfüllt hat. Der Kanadier hat eine ganze Reihe von jungen Spielern in die Mannschaft eingebaut. Diese Balance zwischen Ausbildung und Spitzenresultaten bei einem Grossklubs zu finden, ist für einen Trainer so ziemlich die grösste Herausforderung – und Marc Crawford hat sie gemeistert
Haben die ZSC Lions den Titel im Büro des Sportchefs verspielt? Ja. Hätte es Edgar Salis in den drei letzten Jahren geschafft, wenigstens drei von vier Ausländerpositionen erstklassig zu besetzen (wofür er ja das Geld hat) – dann wären die ZSC Lions 2015 zum dritten Mal in Serie Meister geworden. Die Qualität der Schweizer Spieler verleitet den Sportchef dazu, die Wichtigkeit der ausländischen Spieler zu unterschätzen. Er hat mit Marc-André Bergeron und Ryan Keller zwei behalten, die letzte Saison die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt haben.
So mächtig und reich dieses Hockeyimperium auch sein mag – Titelgarantie gibt es keine. Die ZSC Lions sind Titanen der Liga – aber sie stehen wegen den mittelmässigen Ausländer im Titelkampf auf dünnem Eis.
Lugano steckt in der längsten sportlichen Krise seit dem ersten Titel von 1986. Alle Hoffnungen ruhen auf Cheftrainer Patrick Fischer, den «Indiana Jones des Eishockeys» und seinem «Shakespeare-Hockey.»
Einst fürchteten wir den Stau am Gotthard. In der Regel wird die Finalserie über die Ostertage gespielt. Ach, wie oft sind wir deshalb am Gotthard im Stau gestanden. Lugano hat 1986, 1987, 1988, 1989, 1990, 1991, 1999, 2000, 2001, 2003, 2004 und 2006 das Finale erreicht. Doch seit 2006 sind wir wegen Lugano nie mehr in den Osterstau geraten. Lugano ist seit dem letzten Titel von 2006 nicht mehr über die Viertelfinals hinaus gekommen.
Blenden wir zurück: nach Zeiten der Irrungen und Wirrungen baut Geo Mantegazza das «Grande Lugano». Weil er 1983 den Mut hat, einen charismatischen aber weitgehend unerfahrenen Trainer namens John Slettvoll mit allen Machtbefugnissen auszustatten. Der Schwede macht aus Lugano eine Titelfabrik. 30 Jahre später führt Geo Mantegazzas Tochter Vicky den HC Lugano.
John Slettvoll ist längst reich geworden und lebt wieder in Schweden. Wie ihr Vater hat auch sie den Mut, nach Zeiten der Irrungen und Wirrungen mit Patrick Fischer 2013 einen charismatischen aber weitgehend unerfahrenen Trainer mit allen Machtbefugnissen auszustatten. Der Zuger wird dem aktuellen SCB- Trainer Guy Boucher vorgezogen.
John Slettvoll holt 1986 im dritten Amtsjahr den ersten Titel. Und nun steht Patrick Fischer ebenfalls vor seinem dritten Amtsjahr. Der charismatische Zuger wie einst der eigenwillige Schwede?
Zwischen John Slettvoll und Patrick Fischer gibt es einen fundamentalen hockeytechnischen Unterschied. Der Schwede machte Lugano zum defensiv besten Team seiner Epoche. Patrick Fischer hat die offensiv talentierteste Mannschaft der Vereinsgeschichte zur Verfügung. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Titel.
Auf der hektischen Jagd nach dem verlorenen Ruhm mahnt Patrick Fischer ein wenig an Indiana Jones auf der Suche nach verlorenen Schätzen. Wir dürfen ein filmreiches Spektakel erwarten. Gleich vier Spieler haben das Potenzial zum NLA-Topskorer: Fredrik Pettersson, Linus Klasen, Damien Brunner und Tony Martensson. Die zweite offensive Welle mit Gregory Hofmann und Ilari Filppula ist gut genug, um bei der Konkurrenz die erste Geige zu spielen.
Aber wird dieser Sturm wirklich über die gegnerischen Verteidigungen hinwegbrausen? Letzte Saison ging die Viertelfinalserie gegen Servette wegen fehlender offensiver Durchschlagskraft verloren. In fünf von sechs Partien gelangen nicht mehr als zwei Treffer. Luganos Sturm bläst bei heiterem Wetter in der Qualifikation mit meisterlicher Stärke. Aber nicht bei Blitz und Donner in den Playoffs. Luganos Spiel mahnt an ein Drama von Shakespeare: Blankes (defensives) Entsetzen wechselt mit befreiender (offensiver) Erheiterung.
Warum das so ist, lesen wir im Buch der Bücher. «Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass die Reichen ins Himmelreich der Playoffs gelangen.» Matthäus 19, Vers 24. Dafür steht eine Episode aus einer Vorbereitungspartie. Lugano spielt in Köln gegen Langnau. Damien Brunner muss auf die Strafbank. Er reklamiert beim Schiedsrichter: «Wissen Sie überhaupt, wen Sie da auf die Strafbank schicken? Wissen Sie wer ich bin?» Die Episode endet mit einem Restausschluss für den selbstbewussten ehemaligen NHL-Stürmer.
Ob diese Begebenheit wahr ist oder nicht, lässt sich nicht überprüfen. Sie ist mir so überliefert worden. Sollte sie erfunden sein, dann ist es eine meisterhafte Dichtung um ein Problem Luganos aufzuzeigen: Arroganz. Lugano ist ein Titan. Aber ein Titan, der auf dünnem Eis steht.
Der SC Bern hat vieles, um die Qualifikation, Cup und die Meisterschaft zu gewinnen. Das Geld, das Selbstverständnis und die Mannschaft. Aber ist Guy Boucher der richtige Trainer?
Eine Episode aus dem Buch der Bücher: Einst hatte Nebukadnezar einen Traum, der ihm den Schlaf raubte. Da ließ der König die Zeichendeuter und Wahrsager rufen, damit sie ihm sagten was er geträumt habe. Der Prophet Daniel erklärte es ihm. «Du hast einen Titanen gesehen. Sein Kopf war von gediegenem Golde, Brust und Arme von Silber, Bauch und Hüften von Erz, die Schenkel von Eisen, und die Füsse von Ton.»
Ein Traumbild, das eigentlich auch SCB-General Marc Lüthi heimsuchen könnte. Der Titan SCB ist sehr ähnlich strukturiert: Der Kopf, die Offensive ist von gediegenem Gold. Doch je weiter wir heruntersteigen, desto brüchiger wird der mächtige Hockey-Koloss. Am Ende sind wir in der Abwehr und beim Torhüter angelangt. An der Basis des Teams. Und dort sehen wir halt nicht mehr Gold, Silber, Erz oder Eisen. Wir sehen mit Marco Bührer im Spätherbst seiner Karriere tönerne Füsse.
Das mag nun etwas polemisch sein, trifft aber den Kern der Sache recht gut. Zum ersten Mal seit Einführung der Playoffs (1986) beschäftigt nämlich der SCB beim Saisonstart keinen ausländischen Verteidiger. Mannschaft ist spektakulär vorwärts programmiert.
Der SCB kann eine vierte Linie formieren, die bei den meisten Konkurrenten als erster Sturm durchgehen würde. Vier kanadische Stürmer, dazu drei offensive WM-Silberhelden (Moser, Plüss, Bodenmann) plus drei weitere Stürmer, die schon für die Schweiz an einer WM teilgenommen haben (Rüfenacht, Reichert, Scherwey) plus zwei weitere Nationalstürmer (Pascal und Alain Berger).
Die Stilrichtung ist klar: die Gegner mit unablässigem Ansturm zermürben. Die bange Frage zu diesem Spektakel ist allerdings: Gelingt es Trainer Guy Boucher, die Balance zwischen Abwehr und Angriff zu finden? Es gibt Grund zur Sorge. Der SCB hat keinen Verteidigungsminister mehr. Die zwei charismatischsten Abwehrspieler sind der Offensiv-Verteidiger Eric Blum und der «Krieger» Timo Helbling. Ein Verteidigungsminister wäre nur einer, der die Qualitäten von Helbling und Blum vereinen würde.
Und so kommt es, dass der SCB von vorne nach hinten (oder, wenn wir das Bild von Nebuzadnezar nehmen, vom Kopf bis zum Fuss) ein bisschen schwächer wird. Der nominell beste Sturm der Klubgeschichte wird von einer recht guten Verteidigung und einem durchschnittlichen Torhüter abgesichert. Der Koloss, der auf tönernen Füssen steht.
Sportchef Sven Leuenberger geht davon aus, dass Guy Boucher mit vier ausländischen Stürmern nichts anderes bleibt als das Spiel offensiver auszurichten und das Spektakel vors gegnerische Tor zu tragen. Ob der Kanadier dies tun wird oder nicht: der SCB trägt nun dessen taktische Handschrift. Scheitert Guy Boucher, ist es sein Scheitern. Triumphiert er, ist es sein Triumph. Der ganz grosse Erfolg (Meister) – und das muss mit diesem Team das Ziel sein – ist nur möglich, wenn er die Balance zwischen taktischer Diktatur und spielerischer Freiheit findet, und wenn er die Energie der Spieler richtig zu verwalten lernt. Beides war weder im Frühjahr 2014 (Sturz in die Abstiegsspiele) noch in den Playoffs von 2015 der Fall.
Und da ist noch etwas. Etwas frivol können wir die Ausgangslage so schildern: Was wäre, wenn die Frau von Marc Lüthi eines Tages sagen würde: «Du Marc, wir haben es super und es gefällt mir gut. Aber ich hätte halt schon lieber einen amerikanischen Milliardär. Gell, es macht Dir nichts aus, wenn ich mal bis Ende Mai schaue, ob ich einen finde. Wenn nicht, dann komme ich gerne wieder zu Dir.»
Genau so hat sich Guy Boucher verhalten. Die ganze Welt hat er wochenlang auf allen Kanälen wissen lassen, dass er soooo gerne wieder in der NHL arbeiten würde und mit wem er gerade flirtet. Es hat erwartungsgemäss nicht geklappt und so ist er halt beim SCB geblieben.
Dieses Vorgehen mag wegen einer NHL- Ausstiegsklausel juristisch korrekt und mit dem SCB abgesprochen sein. Aber es bleibt eines der Geheimnisse unserer Zeit, warum Marc Lüthi dieses Verhalten toleriert hat. Loyal sein und Loyalität verlangen ist beim SCB-Manager ja von zentraler Bedeutung und eines seiner Erfolgsgeheimnisse.
Wenn es nicht nach Wunsch läuft, dann wird dieses Theater auf Guy Boucher zurückfallen und die Polemik befeuern. Was eigentlich ganz gut ist: Der SCB-Trainer weiss, dass er zum Erfolg verdammt ist und alle Hinterausgänge der Ausreden versperrt sind.
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Auf weitere 9 Monate voller Polemik und Gotthelf-Zitate...ich bin schon fast ein wenig versucht zu sagen, seine Kolumnen gehören langsam zur kalten Jahreszeit wie Glühwein. Beides führt zwar gelegentlich zu Kopfschmerzen und doch lässt man sicher immer wieder darauf ein. :)