Seit zwölf Jahren ist Mathieu Tschantré als Captain Biels Leitwolf. Er wird im April 35 Jahre alt. Er hat noch nie für einen anderen Klub gespielt. Von der Postur her (173 Zentimeter gross) kein Titan in einem Spiel der rauen Kerle. Aber ein Titan durch Anciennität, Beharrungsvermögen, Zähigkeit, Wille, Mut, Leidenschaft und Intelligenz. Er personifiziert Biels neuere Geschichte.
Wir sind nach der 2:6-Niederlage in Bern an einem Punkt angelangt, an dem Biel Geschichte schreiben kann. Deshalb ein kurzer Blick zurück.
Mathieu Tschantré beginnt seine Karriere 2001 in einer guten NLB-Mannschaft.
Er setzt sie fort in einer grossen NLB-Mannschaft, die 2008 in die NLA aufsteigt.
Er durchlebt in der höchsten Liga schwierige Jahre mit einem miserablen Biel, das sich zweimal erst im siebten Spiel der Liga-Qualifikation rettet.
Er wird Teil einer durchschnittlichen Mannschaft, die sich 2012 erstmals für die Playoffs qualifiziert.
Er ist dabei, als Biel eine gute Mannschaft wird und 2018 erstmals bis ins Halbfinale stürmt.
Und nun hat er die einmalige Chance, auch ein Teil von Biels erster grosser Mannschaft seit 1983, seit dem letzten Titelgewinn zu sein. Damals, als Biel die letzte Meisterschaft gewann, war Mathieu Tschantré noch nicht auf der Welt.
Biels Entwicklung von einem guten Klub der zweithöchsten zu einem grossen in der höchsten Liga war eine lange und schwierige. Aber noch schwieriger wird der letzte Schritt von einem guten zu einem grossen Biel.
Dieser letzte Schritt ist der erstmalige Vorstoss ins Finale auf Kosten des grossen SC Bern. Der Weg zu eigener Grösse führt über den Triumph über einen Grossen.
Gelingt Biel auf das 2:6 in Bern eine siegreiche Reaktion – dann hat Biel den ersten Schritt in den Adelsstand der Grossen gemacht. Am nächsten Dienstag wird diese Halbfinalserie in Biel entschieden. Eine Heimniederlage würde zwar erst den Ausgleich zum 2:2 bringen. Aber es wäre der Anfang von Biels Ende.
Mathieu Tschantré hört sich diese ganze Theorie aufmerksam an und sagt schliesslich. «Ja, so ist es.» Das Prädikat «gross» gebe es erst durch eine Final-Qualifikation.
Nur in einem Punkt widerspricht er. Das Spiel am Dienstag sei nicht entscheidend. «Wir müssen nicht dieses eine Spiel gewinnen. Wir müssen einfach diese Serie gewinnen.»
Sportchef Martin Steinegger stimmt der Theorie ebenfalls zu, dass jetzt der Schritt von einem guten zu einem grossen Biel gemacht werden kann. Der nächsten Partie vom Dienstag misst er eine grössere Bedeutung zu als sein Captain. Weil diese Partie zeigen werde, ob die Mannschaft in der Lage sei, auf die Niederlage in Bern zu reagieren.
Dieser letzte Schritt von «gut» zu «gross» ist der schwierigste. Vor einem Jahr führt Biel in der Halbfinalserie gegen Lugano mit 2:0. Und in der dritten Partie vor eigenem Publikum bis zur 27. Minute 3:0. Das Tor zum Finale steht sperrangelweit offen. Aber ein Treffer in Unterzahl (!) von Sébastien Reuille zum 3:1 bringt die Wende. Biel verliert das Spiel 3:6. Statt 3:0 steht es in der Serie nur noch 2:1 und schliesslich verliert Biel dieses Halbfinale mit 2:4.
Sportchef Martin Steinegger sagt zwar, dass die Umstände jetzt anders sind. Die Vergangenheit spiele keine Rolle. Aber die Erinnerung an dieses Scheitern gegen Lugano kehrt jetzt zurück wie ein böser Geist. Biel und die Angst vor dem letzten, grossen Schritt.
Am letzten Donnerstag haben die Bieler erste Ansätze zu Grösse gezeigt: Sie liegen gegen einen starken SCB in der zweiten Pause 1:2 zurück und sind dazu in der Lage, das Spiel zu «drehen» und in der Verlängerung zu gewinnen (3:2 n.V.). Im Laufe eines Spiels ist die eine starke Reaktion gelungen. Nun geht es um eine starke Reaktion von einem Spiel auf das nächste.
Was die Bieler ein wenig beunruhigen muss: Sie sind nicht von einem grossen SCB klar dominiert (38:20 Torschüsse) und 6:2 besiegt worden. Es war «nur» ein guter SCB. Aber ein SCB, der endlich, endlich zum ersten Mal in diesen Playoffs von der ersten bis zur letzten Minute Eishockey mit Inspiration und Leidenschaft spielte. Ansätze dazu waren schon am letzten Donnerstag während 40 Minuten zu sehen.
Wenn die Berner das gegnerische Spiel schon an der Wurzel, bei der Angriffsauslösung durch Forechecking «bekämpfen», wenn sie checken, laufen und schiessen, das Spiel gestalten und nicht verwalten, dann geraten die Bieler in Not.
Ganz so einfach, wie es das Resultat (6:2) vermuten liesse, war die Sache für die Berner allerdings nicht. Ja, vielleicht werden wir am Ende sagen, dass die siebte Minute dieser dritten Partie der «Kulminationspunkt» dieser Serie war. Also der Augenblick, da Biels Spiel auf dem Höhepunkt angelangt ist, und fortan nie mehr dieses Niveau erreicht.
Die Berner sind zwar grimmig entschlossen. Sie müssen. Sie können Druck. Sie können Playoff. Sie können Halbfinal. Sie können Final. Sie können Meister. Das ist die DNA grosser Hockeyfirmen. Das unterscheidet eben die Grossen von den Guten. Die Grossen haben damit leben gelernt, dass immer Siege erwartet werden.
Aber die Verunsicherung ist in der Startphase zu spüren. Kari Jalonen hat schon wieder umgestellt. Nicht mehr vier ausländische Stürmer wie am Donnerstag in Biel. Nur noch drei (Mursak, Arcobello, Ebbett). Der schwedische Verteidiger Adam Almquist steigt von der Tribüne herab und kehrt ins Team zurück. Auch die Angriffsformationen mischt Kari Jalonen neu. Ein Zeichen, dass selbst der unerschütterliche Taktiker und grosse SCB-Welttrainer von leisen Zweifeln heimgesucht worden ist. Aber auch ein Zeichen, dass er die richtigen Schlüsse aus den zwei Niederlagen in diesem Halbfinale gezogen hat.
Für ein paar Sekunden öffnen die Hockeygötter allerdings erst einmal den Bielern das Finalfenster. Aber Damien Riat trifft nur den Pfosten und 20 Sekunden später trifft Jan Mursak in der 7. Minute zum 1:0.
Hätten die Bieler ihre Chance zum 1:0 genutzt, dann wäre das Selbstvertrauen der Berner arg erschüttert worden. Hätte, wäre – das sind die Worte der Verlierer. Mit dem 2:0 (im ersten Powerplay) ist schon nach 14 Minuten alles gelaufen. Die Bieler sind nicht dazu in der Lage ihr Spiel zu entfalten.
Antti Törmänen ignoriert den Grundsatz «Never change a winnig team» («Stelle nie ein siegreiches Team um»). Biels Trainer nimmt den finnischen Center Jarno Kärki aus der Mannschaft und ersetzt ihn durch den kanadischen Mittelstürmer Marc-Antoine Pouliot.
Der kräftige Finne hatte beim Sieg im ersten Spiel in Bern (4:2) mit einem Tor und einem Assist eine zentrale Rolle gespielt und er war beim Triumph in der zweiten Partie in Biel eine Schlüsselfigur: Er knöpfte SCB-Captain Simon Moser den Puck ab und ermöglichte Toni Rajala den Siegestreffer in der Verlängerung.
Sportchef Martin Steinegger wird zu diesem Personalentscheid befragt. Ob er damit einverstanden gewesen sei? Er sagt, es sei der Entscheid seines Coaches gewesen. «Aber natürlich haben wir darüber gesprochen und ich kann den Entscheid verstehen.» Was waren die Überlegungen? Es sei die Absicht gewesen, mit dem Wechsel Energie ins Team zu bringen. Man habe den Eindruck gehabt, der Kanadier sei frischer als der Finne.
Hätte Biel gewonnen, so würde nun an dieser Stelle Biels Trainer ausgiebig gerühmt. Das sei eben ein schampar moderner Trainer, der mit einer feinen Antenne die Energie seiner Spieler fühle und den Mut habe, alte Lehren zu ignorieren und in einer hochemotionalen Serie ein siegreiches Team umzustellen. Es hätte wahrscheinlich auch nicht ein polemischer Seitenhieb Richtung SCB gefehlt: Da sehe man, was ein junger, cooler Trainer erreichen könne, der nicht in schablonenhaftem taktischem Denken und alten Lehren gefangen sei.
Aber Biels Antti Törmänen hat gegen Kari Jalonens SCB 2:6 verloren und führt im Halbfinale nur noch mit 2:1.
Marcus Tullius Cicero, der wohl berühmteste Redner des alten Rom, hat einmal gesagt, die Ursache aller Dinge sei klein.
Vielleicht werden wir im Rückblick erkennen, dass Antti Törmänens kleine Umstellung die Ursache für Biels Scheitern war und den SCB und Kari Jalonen vor einem schmählichen Scheitern bewahrt hat. Und der Grund, warum Biel nach wie vor gut, aber eben immer noch nicht gross ist.
Kommt Biel ins Finale, ist alles vergeben und vergessen.
Ich habe Jalonen, den schlauen Hund, wohl unterschätzt.
Ich hätte es Jalonen ehrlich gesagt nicht zugetraut, dass er es wagt, die ganze Mannschaft durcheinanderzuwürfeln. Und sie so aufzustellen, dass jegliche Angriffsauslösung der Bieler mit Bärengewalt unterbunden wurde.
Hui, Antti, das wird jetzt deine Meisterprüfung am Dienstag.
P.S. Den finnischen Center Jarno Kärki hätte ich nicht rausgenommen.