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Eismeister Zaugg

Eismeister Zaugg in Seewen – Raeto Raffainer war nicht da

Ein Mittarbeiter erhascht einen Blick vom Restaurant in die Menschenleere Kunsteishalle Zingel vor dem Eishockey Schweizer Cup zwischen dem EHC Seewen und dem HC Davos vom Mittwoch, 14. Oktober 2020 i ...
Die Kunsteishalle Zingel hat ihren ganz eigenen Charme.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Eine Reise zu den Ursprüngen des Hockeys – schade, war der SCB-Obersportchef nicht da

Wo findet die wunde SCB-Seele Trost in diesen schwierigen Hockey-Zeiten? In der Provinz. Die Berner Hockeykultur lebt noch. Eine Reise in die Innerschweiz nach Seewen zu den Ursprüngen des Hockeys belebt die Seele eines geplagten, «ewigen» SCB-Anhängers.
11.03.2022, 09:3011.03.2022, 12:40
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Ach, schwer lastet das 1:5 gegen Ambri auf dem Gemüt des langjährigen, ja «ewigen» und gerade deshalb fachkundigen SCB-Anhängers Andreas Sigrist. Seit den 1970er-Jahren hat er sein Saisonabi. Er hat die Meistermannschaften von Paul-André Cadieux gesehen, gezimmert aus Muskelkraft. Die rauen, meisterlichen «Big Bad Bears» von Bill Gilligan und natürlich das meisterhafte Schablonenhockey von Kari Jalonen. Und dazwischen den Abstieg in die NLB durchlitten.

Aber was er jetzt erlebt, das Gejammer über die ach so hohe Belastung mit 7 Spielen in 14 Tagen, die ewigen Ausreden und das Festhalten in Nibelungentreue an einem glücklosen Trainer kann seine Hockeyseele nicht mehr erwärmen. Erst recht nicht im kalten, zugigen Berner Hockey-Tempel. Die zahlenden Kundinnen und Kunden denken beim SCB offenbar nicht gleich wie die ganz oben in der Champagner-Etage.

Der Chronist, Berner zwar, aber immer neutral fragt sich: Wo gibt es Ablenkung für einen leidenden SCB-Anhänger? Wo gibt es noch echtes, uriges Hockey bester Berner Art? Spannung, Leidenschaft, Disziplin? Er hat eine Idee: Wir fahren in die Innerschweiz. Nach Seewen.

An den Orten der alten Eidgenossenschaft hat es den Bernern schon immer gefallen. Und Seewen liegt ja grad neben Schwyz, sowieso ein Kraftort für das Berner Selbstvertrauen: Dort hat Schwinger-Legende «Rüedu» Hunsperger am 25. August 1974 seinen dritten Königstitel errungen. Im Schlussgang gegen seinen Freund, den Stadtberner Fernseh-Händler Fritz Uhlmann. Ein bernischer Schlussgang auf heiliger Innerschweizer Schwingererde – daran labt sich die Berner Seele heute noch. Und Seewen liegt ja gleich nebenan.

Das Amateurhockey ist eine andere Welt. Geprägt von den vergessenen Helden des Eishockeys. Die Berufsspieler in der höchsten Liga jammern in diesen Tagen fleissig über die ach so grosse Belastung. Man sei fast am Ende. Mental und körperlich. Es wird den SCB-Stars beispielsweise zugemutet, in 14 Tagen 7 Spiele zu bestreiten. Also jeden zweiten Tag zu arbeiten und kaum einer unterlässt es, in Ausreden-Interviews darauf hinzuweisen.

In Seewen treten die Amateure im Playoff-Halbfinal der MySports League an. Seewen musste im Viertelfinal gegen Dübendorf über die Maximaldistanz von fünf Partien und bestreitet jetzt gegen Huttwil das 9. Spiel in 16 Tagen. Aber anders als die fürstlich gelöhnten Berufsspieler ganz oben werden die Tapferen des echten Hockeys nicht nach jedem Training und Spiel kunstvoll massiert, mit wohlriechenden Ölen eingerieben, flauschigen Tüchern abgetrocknet und erlesenen Speisen gestärkt. Sie reden auch nicht ständig wie ganz oben von Erholung und wie wichtig guter Schlaf sei und so. Sie eilen nach dem Spiel so schnell wie möglich nach Hause. Weil sie am nächsten Morgen zur Arbeit erscheinen müssen. Zu echter Arbeit. Wo Leistung erwartet wird und keine Ausreden toleriert werden.

Dem geplagten SCB-Anhänger geht in Seewen bald einmal das Herz auf. Da ist schon mal die wunderbar bequeme, angenehme Art dem Spiel beizuwohnen. Es zieht nicht. Vielmehr lässt sich die Partie vom hintersten Tisch im Stadionrestaurant aus bequem wie in einer Loge verfolgen. Da mag Huttwils Sportchef Max Dreier höhnen, zwei ältere Herren, die Hockey von der Beiz aus verfolgen, mahne ihn an Walldorf und Statler von der Muppet-Show: Wer sonst im eiskalten, zugigen Berner Hockeytempel auf der Tribüne sitzen muss, weiss die Stadionbeiz in Seewen zu schätzen. Und bald einmal wird Hockey zelebriert, wie es der darbende SCB-Anhänger seit Monaten nicht mehr gesehen hat.

VIP-Loge im Amateurhockey: Das Spiel von der Beiz aus sehen …
VIP-Loge im Amateurhockey: Das Spiel von der Beiz aus sehen …bild: klaus zaugg

Die Ausgangslage ist dramatisch. Verliert Seewen, ist die Saison zu Ende und die Huttwiler stehen im Final gegen Basel. Dass beide Torhüter – Christian Schön bei Seewen und Kevin Liechti bei Huttwil – gar noch die Nummer 31 tragen, die Nummer des einstigen SCB-Kultgoalies Renato Tosio macht die Sache für einen in der Wolle gefärbten SCB-Anhänger noch besser.

Huttwil wird gegen ein tapferes Seewen nach zähem Ringen schliesslich 4:0 gewinnen. Was dem leidenden SCB-Anhänger gefällt: Da sieht er auf einmal zwei exzellent gecoachte, sehr gut organisierte Mannschaften. Lange Zeit zwar wenig spielerische Brillanz, weil Seewen den talentierteren Gegner zu kontrollieren vermag. Aber Taktik und Intensität sind auf höchstem Niveau. Kernige Checks inklusive. Er sieht zwei Teams, die ein Maximum aus ihrem Potenzial herausholen. Und wie die Huttwiler dann den Vorsprung verwalten – das erinnert fast ein wenig an die meisterlichen Schablonen von Kari Jalonen.

Hier kannst du die komplette Partie nachschauen.Video: YouTube/EHC Seewen

Dass der teuflisch schnelle, beinharte Yannick Lerch eine entscheidende Rolle spielt, freut den leidenden SCB-Anhänger ganz besonders: Lerch ist ein ehemaliger SCB-Elitejunior. Lerch wird hier in urchiger Schwyzer Art «Lärch» ausgesprochen und ist nicht eben populär: Im zweiten Halbfinal-Spiel hatte er die Saison von Dean Schnüriger beendet. Seewens Mittelstürmer prallte nach einem Check so unglücklich in die Bande, dass er mit gebrochenem Oberarm ins Spital gebracht wurde. Yannick Lerch musste für 2 plus 10 Minuten auf die Strafbank.

Vergeblich hatte Seewens Sportchef Mike Arnold versucht, Huttwils spektakulärsten Stürmer mit einer Video-Eingabe beim Einzelrichter einer Sperre zuzuführen. Er macht als Sportchef, das, was zu tun ist: Versuchen alles für seine Mannschaft herauszuholen. Huttwils Sportchef Max Dreier murrt zwar über die Schreibarbeit, die ihm der Fall beschert. Missstimmung kommt deswegen keine auf. Nach dem Spiel lässt Mike Arnold einen Kasten Bier in die Kabine der Huttwiler bringen. Mit Gratulation und besten Wünschen für den Final gegen Basel. Echtes Hockey eben.

Der Chronist kann schliesslich der Versuchung nicht widerstehen, noch ein wenig Salz in die SCB-Wunden zu streuen. Er weist Andreas Sigrist immer wieder darauf hin, wie gut das Spiel von Seewen organisiert sei. Da sehe man eben die Handschrift eines grossen Trainers. Albert Malgin, der Vater von ZSC-Start Denis Malgin, steht bei Seewen an der Bande.

Mit ganz besonderer Freude aber erzählt er die Geschichte von Daniel Bieri, dem Trainer, der Hockey Huttwil in den Final geführt hat. Vor gut zwei Jahren steckt Hockey Huttwil auf dem zweitletzten Platz in Abstiegsgefahr und ist in einem ähnlich lamentablen Zustand wie heute der SCB. Präsident Heinz Krähenbühl handelt. Er enthebt den berühmten Andreas Beutler (auch eine einstige SCB-Kultfigur) am 20. Januar 2020 des Amtes und befördert Daniel Bieri zum Cheftrainer.

Der Trainerwechsel hilft. Seither geht es nur noch aufwärts. Aus der zweitschlechtesten ist die zweitbeste Mannschaft der höchsten Amateurliga geworden. Kein Schelm wer sagt: Der SCB könnte von den Amateuren lernen. Eine Reise nach Seewen hätte SCB-Obersportchef Raëto Raffainer gutgetan.

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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KOHL
11.03.2022 09:49registriert März 2019
Der Chronist, Berner zwar, aber immer neutral - made my day😂
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JtotheP
11.03.2022 09:37registriert Februar 2018
"...aber inmer neutral" - Danke :D der war gut
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emptynetter
11.03.2022 13:27registriert April 2014
Irgendwann mal erhält der Eismeister Stadionverbot in Bern. Unterzeichnet von ML und RR.
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