Wladimir Jursinow ist eine Trainerikone. Der 79-jährige Russe aus Moskau lebt in Kloten (wo er einst als Trainer wirkte) und arbeitet bei der WM als Berater der Russen.
Jeden Morgen macht er seinen Spaziergang durch die Altstadt von Bratislava und plaudert gerne über Gott und die Eishockey-Welt. Sein Akzent der deutschen Sprache hat Kultcharakter. Ja, ja, die Schweizer seien zwar klein «Aber schnell, seeehr schnell.» Hält inne und fährt fort: «Und flink, seeehr flink.» Das gefällt ihm natürlich. Schliesslich war er einst Nationalstürmer zu Sowjetzeiten.
Klar auch, welcher Spieler ihm in puncto Schnelligkeit und Wendigkeit auch aufgefallen ist: Zugs Lino Martschini. Mit 168 Zentimetern der kleinste Spieler dieser WM. «Ich habe nicht nachgeschaut, ob das so ist. Aber es wird wohl sein. Ein Problem ist es nicht für mich. Ich habe schon lange damit leben gelernt, der Kleinste zu sein. Ich bin ja schon als Schulbub deswegen aufgezogen worden. Inzwischen denke ich nicht einmal mehr daran.»
Er hat ja auch keinen Grund. Er hat sich auch zwei Jahre lang auf höchster nordamerikanischer Juniorenstufe durchgesetzt (2010 bis 2012) – und dort geht es hart zur Sache. Inzwischen leben wir sowieso in Zeiten, in denen die Torhüter selbst in der NHL immer grösser und die Stürmer immer kleiner werden. Aber flink und schnell müssen sie schon sein. Wie Lino Martschini eben.
Bei seinen ersten Titelkämpfen 2016 in Moskau ist er nach vier Partien (und einem Assist) noch auf die Tribüne verbannt worden. Nun hat er nach vier Spielen bereits drei Punkte auf dem Konto (1Tor, 2 Assists). Und was die Zuger freut: Er bildet mit Grégory Hofmann (26) eine Flügelzange.
Das Duo hat bereits vier Treffer erzielt. Hier bei der WM dirigiert Philipp Kuraschew (19) diese Flügelzange als Center. In Zug könnte es nächste Saison beispielsweise ein ausländischer Mittelstürmer sein. Und dann müssten eigentlich die gegnerischen Tornetze reissen. Soweit mag Lino Martschini denn doch nicht nicht denken. Immerhin sagt er gut gelaunt: «Gregory Hofmann und ich in der gleichen Linie – das wird für unseren Trainer zumindest eine Option sein...»
Lino Martschini ist zwar im Vergleich zu 2016 nicht grösser oder schwerer oder sichtbar kräftiger geworden. Aber er hat einen bemerkenswerten Reifeprozess durchlaufen. «Ich versuche, jeden Tag besser zu werden.» Heute wisse er besser, was er für eine optimale Vorbereitung brauche. Es sei zwar tatsächlich so, dass er nicht an Muskelkraft zugelegt habe. «Aber ich fühle mich wohler und sicherer. Das macht wohl den Unterschied aus.»
Er spricht von einer spielerischen und persönlichen Weiterentwicklung. Im Sommer 2016 nach der WM hat er geheiratet. «Das ist ja wohl auch ein Schritt zu mehr Verantwortung.» Und in Zug sei er in eine wichtigere Rolle hineingewachsen. Er sei zwar kein Mann der grossen Worte, aber inzwischen ergreife er in der Kabine auch mal das Wort. «Das bedeutet allerdings, dass ich auf dem Eis auch eine entsprechende Leistung zu erbringen habe.» Er habe in Zug ja sehr gute Vorbilder, was Leadership bedeute. «Zum Beispiel Raphael Diaz. Er war früher mein Idol und ist es jetzt, da ich mit ihm spiele, erst recht.» Er verdanke in Zug vielen Spielern viel, beispielsweise auch «Schnitz» (damit meint er den vormaligen Captain Fabian Schnyder), Josh Holden oder Reto Suri.
Seine Entwicklung sieht er auch im Zusammenhang mit dem neuen Trainer Dan Tangnes. Lino Martschini hat ja auch noch führungstechnische Saurier wie Doug Shedden erlebt. Er habe von jedem Trainer profitiert. Aber Dan Tangnes und Nationaltrainer Patrick Fischer seien in ihrer Art die Trainer für die neue Generation. Es werde nicht einfach befohlen. «Beide suchen das persönliche Gespräch und bemühen sich darum, zu erklären, was ich tun muss, um besser zu werden. Es ist dann natürlich an mir, das umzusetzen.» Das sei wohl eher der Führungsstil, der in die heutige Zeit passe.
Lino Martschini hat bereits in den Playoffs seine Weiterentwicklung bestätigt. 2017, dem Jahr des verlorenen Finals gegen den SCB, buchte er in 16 Playoffpartien 10 Punkte. 2019, dem Jahr des nächsten verlorenen Finals gegen den SCB, steuerte er in 14 Spielen sage und schreibe 17 Punkte bei.
Nun ist der Meistertitel erst recht das Ziel. Nach den Transfers von Leonardo Genoni und Grégory Hofmann wird der Erwartungsdruck nächste Saison ungleich höher sein als 2017 oder 2019. «Das ist gut so» sagt Lino Martschini. «Wenn wir eine Siegermentalität entwickeln wollen, dann müssen wir mit höheren Erwartungen umgehen können.»
Zug hat sehr gute Perspektiven. Lino Martschinis Vertrag läuft am Ende der nächsten Saison aus. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er noch im Laufe dieses Sommers, vielleicht sogar noch vor dem Schlussgang des Eidgenössischen Schwingfestes (am letzten Wochenende im August) vorzeitig um drei bis fünf Jahre verlängern wird. «Jetzt konzentriere ich mich erst mal auf die WM», wehrt er Fragen nach solchen Mutmassungen ab. «Aber Sie haben schon recht: ich habe auch bei meinem letzten Vertrag in Zug gar nie Spekulationen aufkommen lassen und schon vor der Saison verlängert.»
PS: Gilt auch für die WM