Für einmal geben wir einem Schiedsrichter das erste Wort. Danny Kurmann hat in Bern sein letztes NLA-Spiel geleitet – er gibt seinen offiziellen Abschied am 21. April beim Länderspiel Schweiz gegen Russland. Er sagte mit der Weisheit aus über 1000 Spielen: «Es war so einseitig, dass ich als Schiedsrichter das Spiel nicht einmal hätte beeinflussen können, wenn ich es gewollt hätte ...»
Wohl wahr. Nie mehr seit dem Frühjahr 2006, als Lugano den HCD zum Finalauftakt mit 5:0 besiegte – und mit 4:1 Meister wurde – hat es im ersten Finalspiel ein so klares Ergebnis gegeben.
Warum? Nun, wir haben SCB-Hockey wie Blitz und Donner gesehen. Sozusagen Eishockey als Naturereignis. Diese Bezeichnung trifft den Untergang des EV Zug am besten. Bei einem heftigen Gewitter gibt es keinen Schuldigen. Es ist höhere Gewalt. So lässt sich diese krachende Niederlage am besten erklären: Die Berner sind wie der Leibhaftige vom Berner Hausberg Gurten herabgefahren und über die Zuger hinweggebraust wie ein Gewittersturm. Wie ein Naturereignis, für das es nur eine Erklärung gibt: Höhere Gewalt. Nach dem 2:0 spürte jeder im Stadion: Es ist vorbei.
Auf das letzte Drittel (0:0) hätte man verzichten können. Und statt Hockey zu spielen hätte Francine Jordi aus Richigen bei Worb – sie sang die Nationalhymne – noch fünf oder sechs Lieder vortragen können. Beispielsweise «Ein Märchen aus Eis» – «Wunschlos glücklich» – «Du bist mein Held» (für den dreifachen Torschützen Mark Arcobello).
Bei einer gewöhnlichen Niederlage obliegt es dem Chronisten, die Schuldigen zu benennen, ihnen die Fehler vorzuhalten und, wenn die gut bezahlten Stars versagt haben, auch mit Schmähungen nicht zu geizen. Meist führt ja ein Scheibenverlust oder ein Stellungsfehler oder ein Missverständnis zu jenem Treffer, den wir dann hinterher, wenn wir wissen, wie es ausgegangen ist, als den Entscheidenden bezeichnen. Auch das Wort «Lottergoalie» ist dann bei der Beurteilung der Leistung des letzten Mannes in der Regel nicht mehr weit.
Aber all das wird diesem ersten Finalspiel nicht gerecht. Zug ist nicht das Opfer eines individuellen Fehlers, eines einzelnen Versagers geworden. Zug hat in Bern einen kollektiven Zusammenbruch erlitten. Alle sind daran beteiligt.
Im Pulverdampf der gewaltigen SCB-Offensive waren alle Zuger gleich klein, es gab keine Unterschiede mehr. Wir können eigentlich nur einen von aller Schuld freisprechen: Torhüter Tobias Stephan. Er war ganz einfach chancenlos. Der einsamste Mann im Berner Hockeytempel. Er stand alleine draussen im tobenden offensiven Unwetter, das da über seine Mannschaft hereinbrach und nicht enden wollte, bis die Entscheidung gefallen war.
Die Leistung der Berner personifiziert Martin Plüss. Er ist diese Woche 40 geworden. Bei nummerischer Unterlegenheit erzwingt er im besten Wortsinne das 2:0. Zum ersten Mal in unserer Hockeygeschichte hat ein 40-Jähriger im Finalspiel einen Treffer erzielt.
Kein Wunder hat der Mittelstürmer, der sich mit dem SCB nicht über eine Vertragsverlängerung einigen konnte, inzwischen auch Angebote aus Schweden und von den Kölner Haien. Diesen zweiten Treffer hatte der Captain in der 9. Minute erzielt. Und bereits zu diesem Zeitpunkt war allen klar, dass der SCB als Sieger vom Eis gehen wird.
Martin Plüss sagte hinterher auf die Frage, ob denn dieses 5:0 nun schon den Titel bedeute, mit der Weisheit von über 20 Jahren Hockey: «Es kommt drauf an, was wir aus diesem Spiel machen. Es ist ein Sieg, nicht mehr und nicht weniger.» In Zug habe man oft Probleme gehabt und man dürfe dem Gegner gar nicht erst die Initiative überlassen. Tatsächlich hat der SCB am 21. Januar in Zug 0:6 (0:2, 0:2, 0:2) verloren.
Gross ist nach diesem wuchtigen Auftakt die Versuchung, nun bereits das Ende der diesjährigen Finalgeschichte auszurufen. So wie es der berühmte amerikanische Politologe Francis Fukuyama nach dem Untergang des Kommunismus einst in seinem Bestseller «Das Ende der Geschichte» verkündet hat – und sich, wie wir heute wissen, gründlich geirrt, ja blamiert hat.
Die Geschichte dieser Finalserie 2017 ist noch lange nicht zu Ende. Gestern ist bloss mit Karacho das Vorwort geschrieben worden. Die Zuger sind das «Opfer» des besten SC Bern dieser Saison geworden. So geradlinig, wuchtig, präzis, schnell, kaltblütig haben die Berner diese Saison noch nie gespielt.
Das Publikum in Bern ist eher schwerblütig. Doch gestern hat es schon im ersten Drittel eine «Standing Ovation» gegeben. So früh wie seit Menschengedenken nicht mehr. Es ist, als hätten die Berner im Viertel- und im Halbfinale bloss langweiliges defensives Hockey-Schach und Spielkontrolle zelebriert, um den Finalgegner in die Irre zu führen. Um ein gewaltiges Offensivpotenzial bis zum Finale geheim zu halten und für die finale Entscheidung aufzusparen.
Anders als im richtigen Leben bieten die Playoffs in der Zeitspanne von acht Tagen mindestens viermal eine neue Chance. Der SCB hat zum Auftakt über seinem spielerischen Nominalwert gespielt. Aber der EV Zug weit unter seinen Möglichkeiten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der SCB auf dem gestrigen Niveau «durchzieht» ist wesentlich kleiner als die Wahrscheinlichkeit einer wundersamen Auferstehung der Zuger. Ein Gewitter zieht rasch vorüber. Die Mannschaft von Harold Kreis hat diese Saison immer wieder ihre Zähigkeit, ihre Unerschütterlichkeit unter Beweis gestellt. Eine ihrer Qualitäten ist es, nie aufzugeben und wieder aufzustehen. Die Zuger sind dazu in der Lage, die Niederlage wie Strassenstaub aus den Kleidern zu klopfen und wieder ganz von vorne zu beginnen.
Zugs Haudegen Timo Helbling war nach dem Spiel keineswegs kleinmütig oder gar zerknirscht. «Wir waren naiv und nervös und sind blindlings ins Verderben gelaufen.» Er ist sicher, dass das so nicht mehr passieren wird. «Wir haben gegen Davos mindestens so heftiges Forechecking überstanden.» War es fehlende Finalerfahrung? «Im Nachhinein sieht es so aus.»
Das Schlusswort überlassen wir wieder einem mit der Weisheit aus über 1000 Spielen. Ex-Spitzenschiedsrichter, Spielplan- und Cup-General Willi Vögtlin ist bei jedem Final dabei. Er muss auf den Pokal aufpassen. Er mahnt zur Vorsicht: «Es ist gefährlich, wenn schon während des ersten Spiels die Olà-Welle durchs Stadion geht.» Wohl wahr, lieber Willi. Aber ein leichter Sieg zum Auftakt ist immer noch besser als eine schwere Niederlage.