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Du willst nur das Beste? Voilà:
2,5 Sekunden! Diese minimale Zeitspanne hat für die ZSC Lions inzwischen eine ganz besondere, dramatische Bedeutung.
Am 16. April 2012 gewinnen sie unter Bob Hartley durch ein Tor von Steve McCarthy 2,5 Sekunden vor Schluss in Bern im 7. Spiel 2:1 und den Titel.
Fredrik Pettersson åker ut 5+20 min efter den tacklingen. pic.twitter.com/FUAQdMpbFC
— Anton Johansson (@antonj85) April 25, 2018
Am 25. April 2018 stürzt die Welt der ZSC Lions exakt 2,5 Sekunden vor Schluss des 6. Spiels ein. 2,5 Sekunden vor dem Ende kracht ZSC-Topskorer Fredrik Pettersson in Luganos Topskorer Maxim Lapierre und wird zu Recht in die Kabine geschickt (5 Minuten plus Restausschluss). Es ist das spektakuläre Ende eines grossen, dramatischen Spiels. Lugano bringt das 3:2 über die Zeit. Es kommt am Freitag zum 7. und alles entscheidenden Spiel in Lugano.
Voraussichtlich wird der schwedische Stürmer für mehrere Partien gesperrt und steht nicht mehr zur Verfügung. So gesehen ein dummes, unverzeihliches Foul. Aber dieser Vorwurf greift zu kurz: In dieser letzten Szene hat dieser temperamentvolle Energiespieler einfach noch einmal alles versucht – am Rande der regeltechnischen Regularität.
Diese finale Szene erzählt uns im Grunde das ganze Drama in kürzester Kurzform: die heroischen Anstrengungen, die Leidenschaft, den Willen, die Kampfbereitschaft und letztlich die schiere Verzweiflung der ZSC Lions.
Die Zürcher haben alles versucht, alles gegeben und es hat doch nicht gereicht. Aber diese Szene zeigt uns eben auch die Widerstandskraft, den Willen und die Leidenschaft des besten Lugano seit dem letzten Titelgewinn von 2006. Topskorer Maxim Lapierre taumelt auf die Spielerbank, aber er bleibt auf den Beinen. Er personifiziert den ungebrochenen Willen, die Zähigkeit seiner Mannschaft.
Die Versager? Nein, die gibt es nicht. Fehler waren bei dieser Intensität und diesem Tempo unvermeidlich. Die Zürcher haben alles, wirklich alles probiert. Sie haben so gespielt, als gäbe es kein morgen mehr. Wohlwissend, dass am Ende der ultimative Preis, «der Chübel», die Meisterschaft winkt. Und dass es im Falle einer Niederlage im 7. Spiel in Lugano schwer wird.
Hätten die Zürcher etwas besser machen können? Nein. Es war einer dieser intensiven «Clash of the Titans», die es einmal, vielleicht zweimal in einer Saison gibt. Hochstehend, packend und für die Schiedsrichter extrem schwierig zu pfeifen. Stefan Eichmann und Micha Hebeisen haben dieses Drama bravourös geleitet.
Taktik? Nein, die Taktik spielte keine Rolle mehr. Das System ist durch den Kampf Mann gegen Mann und durch die Reduktion auf das ganz einfache Hockey ersetzt worden. Die Entscheidung, der Siegestreffer zum 3:2, ist auch typisch für dieses Drama. Nicht der erste Schuss geht rein. Es ist der dritte Abschlussversuch.
Der einzige Vorwurf: Die ZSC Lions wollten zu viel. Aber kann man zu viel wollen, wenn der Titel winkt? Nein. Was passiert, wenn Männer im Eishockey zu sehr wollen? Sie dominieren das Spiel. 40:18 Torschüsse – ein Wahnsinn.
Wenn eine Mannschaft so ungestüm vorwärts spielt, dann macht sie es dem Gegner einfach. Erstens wird die gegnerische Mannschaft in die eigene Zone zurückgedrängt und kann sich ums eigene Tor herum gruppieren. Das ist taktisch anspruchslos. Und nun sind ständig zehn Feldspieler in der defensiven Zone Luganos. Da wird es für die Zürcher immer schwieriger, einen Weg zum Tor zu finden. Immer wieder wird der Puck von einem Stock, einer Kufe, einem Schuh oder irgendeinem Körperteil abgelenkt. Das unvermeidliche ZSC-Drama.
So ungestümes Anrennen muss allerdings nicht in jedem Fall scheitern. Das vierte Finalspiel haben die Zürcher in der Verlängerung nach 75 Minuten 3:2 gewonnen – bei einem Torschussverhältnis von 53:25. Warum sollte also nicht noch einmal gelingen, was schon einmal funktioniert hat? Die ZSC Lions hatten so gesehen keinen Grund, nicht zu sehr zu wollen.
Item, die Zürcher hätten vielleicht cooler spielen sollen. Aber sie führten nie. Sie hatten nie Gelegenheit, den Gegner «kommen zu lassen». Zu kontern. Es ist eher möglich, Rennpferde gleich nach dem Startbox durch ein Handzeichen zu stoppen als junge Männer zu bremsen, die dem Titel auf einer rutschigen Unterlage in einem unberechenbaren Spiel nachjagen.
Und ganz nebenbei: Etwas mehr als 70 Prozent aller Tore im Eishockey fallen nicht nach Sturm-und-Drang-Perioden. Sondern nach schnellen Gegenangriffen.
Der Held? Auf dem Matchblatt natürlich Jani Lajunen, dem der Siegestreffer zum 3:2 gutgeschrieben wird. Auch das passt. Der Finne, der stille Center, der sein Spiel unspektakulär in den Dienst der Mannschaft stellt, macht schliesslich die Differenz.
Aber in Tat und Wahrheit ist die grosse, charismatische, die dominierende Figur dieser Partie (und dieser ganzen Finalserie) Luganos Torhüter Elvis Merzlikins. Der Renato Tosio des 21. Jahrhunderts. Seit dem legendären SCB-Meistergoalie von 1989, 1991, 1992 und 1997 hat es nie mehr einen so spektakulären Torhüter auf Schweizer Eis gegeben.
Elvis Merzlikins ist sogar besser als damals Tosio, weil stilsicherer und eleganter. Aggressiv, reflexschnell und doch unheimlich ruhig, immer im Spiel, den Puck immer im Auge. Er hat 38 von 40 Schüssen gehalten und seiner Mannschaft die 7. Partie am Freitag ermöglicht.
Zeitweise konnte diese Partie auf eine einfache Formel reduziert werden: Elvis Merzlikins alleine gegen alle Zürcher. Wird Lugano Meister, dann sollte der Pokal zuallererst dem lettischen Nationaltorhüter mit Schweizer Lizenz ausgehändigt werden.
Die grosse Frage ist nun: Können die ZSC Lions noch einmal aufstehen? Sind sie dazu in der Lage, die gestrige Leistung zu wiederholen? Eigentlich ist es fast unmöglich, eine solche Partie zu wiederholen. Sie haben mehr Energie verbraucht als Lugano und sie müssen eine tiefe Enttäuschung überwinden.
Aber sie haben sehr wohl eine Chance. Die Chancen stehen 50:50. Weil am Freitag alles anders ist. Im Hallenstadion war Lugano der Aussenseiter im Reduit der Defensive. In Lugano wird es genau umgekehrt sein. Nun sind die ZSC Lions Aussenseiter. Und nun wird Lugano alles probieren. Der erste Titel seit 2006 winkt. Die Meisterparty vor dem temperamentvollsten Publikum Europas.
Diese Ausgangslage kann diesmal Luganos Männer dazu verführen, am Freitag zu sehr zu wollen.