Der Reisende ist von Pruntrut aus mit dem Zug schneller in Paris als in Genf. Der nächste TGV-Bahnhof ist nämlich nur eine Auto-Viertelstunde von Pruntrut weg in Frankreich erreichbar. Die Romantik der Abgeschiedenheit hinter den sieben Jura-Bergen ist inzwischen verloren gegangen. Die Autobahn von Biel her ist offen, es sind keine Pässe und Schluchten mehr zu überwinden.
Die Hockey-Romantik aber ist geblieben. Der HC Ajoie ist das Ambri der Romandie und so stark wie nie seit dem letzten Abstieg aus der höchsten Liga im Frühjahr 1993. Nacheinander sind nun drei NLA-Teams aus dem Cup gekippt worden: Lausanne (4:2), die ZSC Lions (5:4 n. P.) und nun die SCL Tigers (4:3 n. V.).
Der HC Ajoie ist der einzige Klub der Nationalliga, der nicht den Namen eines Dorfes, einer Stadt oder eines Kantons trägt. Sondern einer Gegend. Die Ajoie (zu Deutsch: Elsgau) ist ein sanftes, fruchtbares Hügelland, ein Obst- und Pflaumengarten, auch berühmt für die Produktion von Schnaps und Wein. Im Hauptort Pruntrut wird Hockey zelebriert.
Die Rückkehr zu neuem Ruhm kam im Sommer 2014 mit dem Engagement von Trainer Gary Sheehan (53). Der eingebürgerte Kanadier ist der «Arno Del Curto des Welschlandes». Ein Trainer, der mit einer sehr ähnlichen Hockeyphilosophie wie der echte Arno ein schnelles, intensives, mutiges und gut strukturiertes Offensiv-Hockey pflegt.
Spiele seiner Mannschaft sind nie langweilig. Weil die Spieler im übertragenen Sinne immer auf den Zehenspitzen und nie auf den Fersen stehen. Will heissen: Sie zwingen dem Gegner in allen Situationen das Spiel auf. Sie warten nicht. Wie Davos.
Daraus musste sich ein Spektakel und ein Sieg gegen die passiven, überheblichen Langnauer ergeben, die mit Rechenschieber-Hockey und dem geringstmöglichen Aufwand siegen wollten. Von einem Klassen-Unterschied war nie etwas zu sehen. Ajoie hätte eigentlich die Partie schon in der regulären Spielzeit entscheiden müssen.
Die Kabinentüre der Tigers blieb lange zu. Und als sich Langnaus Trainer Heinz Ehlers den Chronisten stellte, war sein Urteil vernichtend: «Die Leistung einzelner Spieler war respektlos gegenüber der Mannschaft, dem Klub und den Fans.» Eine Erklärung hatte er nicht und auf die Frage, ob dieses Versagen Konsequenzen habe, knurrte er: «Soll ich denn mit Junioren spielen? Soll ich die besten Schweizer Spieler und die Ausländer im nächsten Spiel in Zürich nicht einsetzen? Ich möchte mich zu diesem Thema nicht mehr äussern.»
Langnau war auch deshalb chancenlos, weil Ajoie längst nicht mehr ein von den Ausländern abhängiges «Ein-Linien-Team» ist. Beim Triumph über Langnau war nicht einmal ein Tor der kanadischen Stürmer Philip-Michaël Devos und Jonathan Hazen notwendig. Erstmals seit Menschengedenken spielen in Ajoie die zwei ausländischen Stürmer nicht mehr ständig in der gleichen Linie.
Mit Dominic Nyffeler (24) hat Ajoie zudem einen Torhüter mit NLA-Talent. Der Bruder von Lakers-Schlussmann Melvin Nyffeler (22) ist der wahre Held der Cup-Sensation. Er war krank und konnte die letzten drei Tage nicht trainieren. Weil der Ersatzgoalie verletzt war, stellte er sich doch ins Tor – und hexte. Den haltbaren Treffer zum 1:1 steckte er einfach weg – mit einer einleuchtenden Begründung: «Auf ein dummes Tor muss ja nicht noch ein zweites folgen ...»
Inzwischen ist Ajoie die Hoffnung der Hoffnungslosen der NLA. Wenn die Jurassier die zweithöchste Liga gewinnen, dann gibt es aus der NLA keinen Absteiger. Weil Ajoie nicht aufsteigen will, entfällt im Falle eines Titelgewinnes die Liga-Qualifikation.
Die Rapperswil-Jona Lakers sind noch besser, noch ausgeglichener als Ajoie. Gewinnen die Lakers die Liga, dann werden sie Teams wie Langnau, Ambri oder Kloten auf Augenhöhe im Kampf um den letzten Platz in der höchsten Liga herausfordern.
Aber vielleicht gelingt es Ajoie erneut, wie schon 2016, die zweithöchste Spielklasse gegen die Titanen aus Rapperswil-Jona, Langenthal und Olten zu gewinnen. Damals war das die vorzeitige Rettung für Biel. Ambri, Langnau und Kloten sollten im Frühjahr für den Fall eines Falles eine Fan- und Unterstützungsdelegation zu jedem Playoffspiel des HC Ajoie bereitstellen.