meist klar
DE | FR
Sport
Eismeister Zaugg

ZSC Lions – eigentlich ist es der beste Marc Crawford, den es je gab

Zuerichs Trainer Marc Crawford beim Eishockeyspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel, am Sonntag, 1. Januar 2023 in der Swiss Life Arena in Zuerich. (KEYSTONE/Michael Buholze ...
Wieder in Zürich: Marc Crawford.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

ZSC Lions – eigentlich ist es der beste Marc Crawford, den es je gab

Rom und der Zürcher Hockeytempel sind nicht an einem Tag erbaut worden. Also kann auch von Marc Crawford nicht verlangt werden, dass er an einem Tag eine Meistermannschaft formiert. Sein Debüt (2:1) im Heimspiel gegen Biel war vielversprechend.
02.01.2023, 15:0502.01.2023, 15:32
Folge mir
Mehr «Sport»

Die Wahrheiten leuchten auch im neuen Zürcher Stadion oben auf dem grössten Videowürfel Europas auf: 2:1 gegen Biel. 12'000 Zuschauer. Ein Heimsieg in einer ausverkauften Arena. Ein perfekter Einstand für Marc Crawford.

Er hatte die ZSC Lions im Frühjahr 2016 nach vier Jahren verlassen, um in die NHL zurückzukehren. Nun ist der charismatische Kanadier zurück. Wenn ein neuer Trainer kommt, ist es fast ein wenig wie beim 18-Minuten-Sketch «Dinner for One». Diener James hat dafür zu sorgen, dass die Geburtstagsfeier einer englischen Lady mit vier Gästen über die Jahre immer genau gleich abläuft. Sogar dann, als alle vier Gäste längst verstorben sind. Jedes Jahr fragt Diener James: «The same procedure as last year, Miss Sophie?» – «The same procedure as every year, James.»

Kennt eigentlich jeder: «Dinner for One».Video: YouTube/öffentlich rechtlich

Wie bei unglücklich Verliebten

So ist es eigentlich seit Anbeginn der Zeiten nach dem ersten Spiel eines neuen Trainers: «The same procedure as every year.» In verschiedenen Worten sind es seit Menschengedenken stets die gleichen Aussagen: Es wehe ein neuer Wind, nun schaue man vorwärts. Dazu ein paar nette Worte über den gescheiterten Vorgänger.

Die Leistung des Teams wird in den ersten Partien unter neuer Leitung allenthalben milde beurteilt. So wie ein unglücklich Verliebter jede Regung seiner Angebeteten als Zeichen der Zuneigung und Liebe deutet, so wird bei den ersten Spielen unter einem neuen Trainer in jedem Spielzug das Positive, das Neue, das Bessere gesehen. Auch wenn fast alles gleich ist wie unter dem alten Trainer. «The same procedure as every year.»

In Zürich werden die Trainer zwar nicht gerade jedes Jahr entlassen. Aber doch recht häufig. Seit Marc Crawford die ZSC Lions 2016 verlassen hat, sind alle seine Nachfolger des Amtes enthoben oder nicht mehr weiterbeschäftigt worden: Hans Wallson, Hans Kossmann, Serge Aubin, Arno Del Curto und soeben Rikard Grönborg.

Offensive Flaute

Auf dem Eis ist bei Crawfords Einstand am 1. Januar eigentlich fast alles noch so wie zuvor unter Rikard Grönborg. Die ZSC Lions gewinnen knapp 2:1. Gegen ein Biel, das ohne seine beiden erkrankten ausländischen Verteidiger auskommen muss. Die defensiven Frischlinge Noah Delémont (20), Yannick Stämpfli (22) und Luca Christen (24) hatten diese Saison bisher pro Partie noch nie mehr als zehn Minuten Eiszeit erhalten. Nun, da die ausländischen Titanen der Defensive fehlen, kommen alle drei gegen die ZSC Lions auf Saison-Rekordwerte: Noah Delémont auf 19:26, Yannick Stämpfli auf 18:52 und Luca Christen auf 13:56 Minuten. Im Tor steht der Veteran Simon Rytz (39). Er hatte den ZSC Lions schon 2015 im Viertelfinal das Leben schwer gemacht. Die Zürcher brauchten sieben Spiele, um Biel aus den Playoffs zu kippen. Der Coach der ZSC Lions damals: Marc Crawford.

Biel ist zwar als Tabellenführer (punktgleich mit Servette) zum ersten Spiel im neuen Jahr nach Zürich angereist. Aber gegen diese «Pfadfinder-Verteidiger» und ihren Senioren-Torhüter müsste eigentlich eine der teuersten und offensiv bestbesetzten Mannschaften Europas schon fünf, sechs, sieben oder acht Tore oder gar ein «Stängeli» erzielen. Ein stürmisches Spektakel bieten. Offensiv rocken. Die Bieler vom Eis fegen.

Davon kann keine Rede sein. Wenn es denn hätte rocken sollen, so bleibt es bei einer offensiven Jam-Session. Das 1:0 fällt im Powerplay und erst in der 52. Minute erlöst Justin Azevedo die Zürcher mit dem umstrittenen 2:1. Ein Zittersieg.

Crawford ist noch forscher als Tangnes

Eigentlich ist alles so, wie es in den letzten Wochen immer war: Seit dem 6:4 in Zug am 27. November haben die Zürcher in sieben von elf Partien nur zwei oder weniger Tore erzielt. Sie haben beim 2:1 gegen die Bieler eigentlich nicht viel anders gespielt als zuvor unter Grönborg. Vielleicht ein bisschen leidenschaftlicher, bissiger, direkter. Aber höchstens ein bisschen.

Dass es nicht mehr so ist, wie es war, zeigt sich erst im vierten Drittel. Unten im Kabinengang nach der Partie. Die Spieler reden zwar so, wie sie immer nach dem ersten Spiel unter einem neuen Trainer reden. Aber der neue Trainer nicht.

Marc Crawford ist der beste Verkäufer seiner selbst unter den 14 Trainern der Liga. Noch eine Spur forscher als Zugs Dan Tangnes. Eigentlich ist es der beste Marc Crawford, den es je gab. Der 61-jährige Kanadier hat Charisma. Kein Wunder: Er ist seit über 20 Jahren im ganz grossen Trainer-Geschäft und hat viel erlebt, viel gefeiert: Stanley-Cup-Sieger, NHL-Coach des Jahres, Meister mit den ZSC Lions (2014), oft dramatisch verloren und auch schon für heftige Polemik gesorgt.

Am 4. März 2004 prügelt Vancouvers Todd Bertuzzi Colorados Steve Moore zur Bewusstlosigkeit und zum Karriereende. Erst zehn Jahre später ist der Fall – eines der übelsten Fouls der Geschichte – juristisch aufgearbeitet. Bei Vancouver steht Marc Crawford an der Bande und in der Kritik.

«Ich habe viel gelernt»

Das ist alles natürlich schon lange, lange her und Crawford hat so viel erlebt, dass er nicht mehr so schnell aus der Ruhe zu bringen ist. Ja, er wirkt jetzt noch charismatischer: Die Balance zwischen Leidenschaft und Selbstironie, Temperament und Humor ist noch besser geworden. Und tatsächlich sagt er nach dem Sieg über Biel, er sei ein bisschen weiser geworden. «In den letzten Jahren war ich ja Assistent und habe in dieser Rolle viel gelernt. Die Spieler kommen mit ihren Anliegen zum Assistenten.» Der Mensch habe einen Mund und zwei Ohren und er habe oft zugehört.

Zuerichs Trainer Marc Crawford beim Eishockeyspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel, am Sonntag, 1. Januar 2023 in der Swiss Life Arena in Zuerich. (KEYSTONE/Michael Buholze ...
Während des Spiels hört Crawford natürlich nicht bloss zu.Bild: keystone

Wer nun Marc Crawford unten im Bauch des neuen Zürcher Hockey-Tempels zuhört, kommt zum Schluss: Er ist in Zürich am Ort seiner Bestimmung angelangt. Die Rückkehr ist für ihn mehr als bloss ein Job. Er sagt, es habe andere Offerten gegeben. Aber für ihn habe Zürich immer Priorität gehabt. Der Job hier sei einer der besten überhaupt. Als klar gewesen sei, dass Rikard Grönborg Ende Saison geht, habe er mit den ZSC Lions verhandelt. Zuerst für nächste Saison. Aber nun sei er jetzt schon da. Obwohl er seiner Frau Winterferien versprochen hatte. Er sei 61 Jahre alt und habe das Privileg, das tun zu dürfen, was er tun wolle. Und nicht das, was er tun müsse. Der Marc Crawford, der nicht mehr nach einer Rückkehr in die NHL strebt wie beim ersten Gastspiel in Zürich, der nun sein zweites Engagement sozusagen als Schlussfeuerwerk seiner Karriere sieht, wird der bessere Marc Crawford sein.

Der Trainer als Elektriker

Das 2:1 gegen Biel ist also der Auftakt und sagt noch wenig über das, was nun kommen wird. Marc Crawford spricht viel über die Energie im neuen Hockeytempel. Eine Energie, die auch die Spieler erfassen werde. Er ist der Elektriker, der diese Energie in die Kabine und aufs Eis umzuleiten hat.

Zweifelsfrei werden die ZSC Lions schon in naher Zukunft dynamischer, bissiger, intensiver spielen. Der neue Trainer ist beeindruckt von der Kadertiefe, von der Qualität der Mannschaft über vier Linien. Zweifelsfrei werden die ZSC Lions schon in naher Zukunft die Wechselkadenz erhöhen und schneller spielen. Und Marc Crawford spricht vom Willen der Spieler zur Wiedergutmachung: «Sie fühlen sich mitschuldig am Scheitern von Rikard Grönborg.»

Neuer Trainer, neues Glück: Ob die ZSC Lions erstmals seit 2018 wieder Meister werden, ist offen. Es ist auch noch nicht sicher, ob sie am Mittwoch den SC Bern bodigen werden. Sicher ist nur: Sie werden mit Marc Crawford besseres, wilderes, dynamischeres Hockey zelebrieren. Die Unterhaltung wird mit Sicherheit viel besser. So soll es ja sein: Die ZSC Lions sind auch ein Unternehmen der Stadtzürcher Unterhaltungsindustrie.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Despacito mit Eishockey-Spielern
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
8 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
insert_brain_here
02.01.2023 16:34registriert Oktober 2019
Verstehe nicht ganz warum der Text so geschrieben ist als wäre der Z mitten in der Krise und es müsste dringend alles umgekrempelt werden. Dritter Platz und beste Defensive bei zwei Spielen weniger, gerade den Leader - wen auch knapp - geschlagen.
270
Melden
Zum Kommentar
avatar
Antiklaus
02.01.2023 16:38registriert Dezember 2014
Schon ein bisschen respektlos, dass Biel wegen der Absenz von 3 Stammspieler gleich hoch verlieren sollte. (beim Z fehlten ja auch 2).. Biel ist viel besser als der Eismeister denkt.
242
Melden
Zum Kommentar
avatar
123und456
02.01.2023 15:34registriert Juli 2015
Letztendlich ein verdienter aber erstaunlich knapper Sieg gegen ein arg dezimiertes Biel.
Mir persönlich war Grönborg alles andere als sympathisch, er wirkte auf mich wie ein grantiger, sturer und überaus selbstbewusster Taktik-Freak, der sich nicht eingestehen konnte, wenn seine Taktik nicht aufging.
Vielleicht ist ein wenig ruppigeres, wilderes nordamerikanisches Hockey keine schlechte Idee?
235
Melden
Zum Kommentar
8
Malgin schiesst den ZSC zum Sieg in Spiel 1 gegen Biel – Fribourg überfährt Lugano

Dank zwei Treffern von Topskorer Denis Malgin wenden die ZSC Lions im Schlussdrittel einen 2:3-Rückstand und verhindern damit einen Fehlstart in die Playoff-Viertelfinals gegen Biel.

Zur Story