Die ZSC Lions haben Zug soeben aus den Playoffs gekippt. Ortstermin. Die Atemluft im Bauch des Stadions ist getränkt mit Schweiss, Enttäuschung und Freude. Lärmiger Jubel und Trubel dringen aus der Kabine der Zürcher. Und im Gang davor stehen die ZSC-Bürogeneräle – Sportchef Sven Leuenberger und Manager Peter Zahner – mit gewichtiger Miene herum.
Da stellt ein vorwitziger Chronist dem ZSC-Sportchef die Frage, wozu er eigentlich den Leonardo Genoni noch brauche? Der Lukas Flüeler sei ja mindestens so gut. Sven Leuenberger mag auf diese Provokation nicht eintreten.
Es ist ja so, dass Leonardo Genoni (30) beim SC Bern noch einen Vertrag für nächste Saison hat. Es ist aber weitherum bekannt, verkündet und unbestritten, dass die Zürcher den mehrfachen HCD- und SCB-Meistergoalie à tout prix nach Vertragsablauf in Bern endlich zurückholen wollen. Schliesslich ist er ja ein eigener Junior, der im Frühjahr 2007 Zürich verlassen hat um in Davos und in Bern die Hockeywelt zu erobern.
Leonardo Genoni verdient beim SCB ziemlich genau 650'000 brutto im Jahr. Da er im August erst 31 wird und mindestens noch fünf gute Jahre vor sich hat und ihn Bern unbedingt halten will, darf er mit einer schönen Lohnerhöhung rechnen. Er dürfte ab 2019 der bestverdienende NLA-Torhüter aller Zeiten sein.
Soweit so gut. Aber nun hat Lukas Flüeler die ZSC Lions soeben mit einer Fangquote von 93,29 Prozent ins Halbfinale gehext. Der wehrhafte Riese (192 cm/ 99 kg) ist endlich wieder ein charismatischer Blocker mit einer zwingenden Ausstrahlung. Er ist der bisher beste Torhüter der Playoffs 2018.
Inzwischen haben die Zürcher die von Hans Wallson eingeschleppte «Schwedische Grippe» auskuriert. Dieses unsägliche pseudointellektuelle Puckgeschiebe quer, rückwärts, wieder quer und wieder rückwärts mit Walzerdrehungen in den Ecken statt vor dem Tor hatte alle und vor allem auch Lukas Flüeler verunsichert.
Nun ist wieder Hard-Rock-Hockey angesagt. Einfach, urig, rau, geradlinig, vorwärts und direkt wie die Musik der alten Status Quo. Und siehe da: Nach Wiederherstellung einer vernünftigen taktischen Ordnung spielt auch Lukas Flüeler wieder sein bestes Hockey.
Da auch nächste Saison ein nordamerikanischer Trainer (Serge Aubin) an der Bande stehen wird, dürfte sich am taktischen Layout und damit auch am Spiel von Lukas Flüeler wenig ändern.
Die «neuen» ZSC Lions brauchen Leonardo Genoni also nicht mehr. Neu in Anführungszeichen, weil es ja eigentlich eine Rückkehr zu den alten, wahren, meisterlichen nordamerikanischen ZSC-Tugenden in der Tradition von Kent Ruhnke, Larry Huras, Bob Hartley und Marc Crawford ist.
So oder so sind die ZSC Lions nun der gefährlichste Gegner für den Meister. Der SCB ist seit Mitte Dezember nicht mehr richtig gefordert worden. Hans Kossmann ist es hingegen gelungen, seine Jungs aus der Komfortzone zu vertreiben. Die ZSC Lions haben Playoff-Betriebstemperatur.
Dieses Halbfinale wird so ausgeglichen sein, dass die Torhüter mit ziemlicher Sicherheit die Differenz machen werden. Und wenn Lukas Flüeler, mit Vertrag bis 2020, besser oder gleich gut sein sollte wie Leonardo Genoni, dann macht es für die Zürcher definitiv keinen Sinn mehr, sich um Leonardo Genoni zu bemühen. Es ist dann besser, das Geld in Transfers von Feldspielern oder ins ausländische Personal zu investieren.
Und so stellt sich für Leonardo Genoni und dessen Agenten Erich Wüthrich die Frage: Warum eigentlich zurück nach Zürich? Warum nicht nach Zug? Ja, Zug. Zum dritten Mal in vier Jahren sind die Zuger unter Trainer Harold Kreis bereits im Viertelfinale aus den Playoffs geflogen. Zu den Versagern gehört erneut Torhüter Tobias Stephan (34). Sein Vertrag läuft Ende der nächsten Saison aus. Also zum gleichen Zeitpunkt wie der Kontrakt von Leonardo Genoni. Das passt.
Meister wird Zug nämlich nur mit einem Meistergoalie. Tobias Stephan ist, wie wir soeben gesehen haben, kein Meistergoalie. Es obliegt Zugs Sportchef Reto Kläy, nicht nur kurzfristig, sondern auch strategisch (langfristig) zu denken.
Wenn Sven Leuenberger Leonardo Genoni in Zürich also nicht braucht – wäre der aktuelle SCB-Torhüter dann, sofern er Bern verlassen wird, nicht der ideale, der perfekte Mann für Zug?Müsste sich Reto Kläy nicht bei Genonis Agent Erich Wüthrich melden?
Reto Kläy sagt auf eine entsprechende Anfrage: «Wer weiss, vielleicht habe ich ja schon angerufen ...». Leonardo Genoni ab Sommer 2019 nicht mehr in Bern, auch nicht in Zürich, aber in Zug? Transfer-Affaire à suivre.